Mittlerweile gut drei Jahrzehnte ist die Wiedervereinigung her. Schau ich mir so die Altersstatistiken meiner Blog-LeserInnen und Podcast-HörerInnen an, haben also viele den über vier Jahrzehnte andauernden Wettstreit der politischen Systeme zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik nicht mehr persönlich mitbekommen. Umso mehr bedarf es der historischen Aufarbeitung – Nicht nur, aber eben auch in Comicform. Der französische Journalist & Moderatur Philippe Collin hat bereits mit „Die Reise des Marcel Grob“ (Link) eindrucksvoll bewiesen, wie solch ein Bildungscomic aussehen kann. Ob ihm mit seinem neusten Werk „Das Spiel der Brüder Werner“ erneut solch ein Meisterstück gelingen wird? Die Geschichte beginnt im Jahr 1945 und zeichnet hiernach anhand mehrere geschichtsträchtiger Momente das Leben der beiden jüdischen Waisenkinder Andreas und Konrad Werner nach: Sie fliehen aus dem von den Sowjets belagerten Berlin nach Leipzig und verstecken sich dort jahrelang. Als Konrad während des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 für seinen kranken Bruder Medikamente plündern will, wird er von der Volkspolizei verhaftet und vor eine schreckliche Wahl gestellt: Entweder arbeiten sie ab jetzt für die Staatssicherheit (kurz Stasi) oder sie werden für immer getrennt, weil Konrad in den Knast und Andreas ins Umerziehungslager muss. Sie entscheiden sich für die Karriere bei der Stasi und steigen rasch auf: Anfangs als einfache Grenzsoldaten eingesetzt, überwachen sie später den Mauerbau 1961. Doch dann werden sie auf eine Geheimmission angesetzt: Konrad soll als Spion in den Westen gehen. Andreas dagegen soll, getarnt als Physiotherapeut, die eigenen SportlerInnen überwachen. Zwölf Jahre hören die beiden nichts voreinander, bevor sie sich 1974 unerwartet wiedersehen: Es ist die Fußballweltmeisterschaft und durch das Losglück treffen die Nationalmannschaften der DDR und der BRD aufeinander. Beide Brüder, noch immer im Auftrag der Stasi, haben es in den Betreuerstab der beiden Teams geschafft: Konrad versucht Unruhe zu erzeugen, indem er sensible Informationen nach Außen durchsticht und indem er innerhalb der Spieler Zwietracht sät. Andreas dagegen horcht die Spieler aus, um herauszufinden, ob sich vielleicht jemand in den Westen absetzen will. Doch auch wenn er ein hervorragender Stasi-Agent ist, steht es schlecht um seine Systemtreue. Denn eigentlich will er im Westen ein neues Leben beginnen – Und sein Bruder soll ihm dabei helfen, das Fußballspiel zwischen der DDR und der BRD zur Flucht zu nutzen... Fußball ist ein wichtiges Thema in diesem Comic: Alles dreht sich um das einzige jemals stattgefundene Länderspiel zwischen den beiden rivalisierenden deutschen Staaten. Zahlreiche Fußball-Berühmtheiten treten hier auf und die dargestellten Spielszenen sind wirklich intensiv gezeichnet (Sébastien Goethals beweist wie schon in „Die Reise des Marcel Grob“, was für ein Ausnahmetalent er ist, wenn es um historische Atmosphäre geht). Doch eigentlich handelt es sich um einen politischen Agententhriller, der auch noch mit einem Hauch Familiendrama verfeinert wurde. Dabei sind die beiden Protagonisten sehr ambivalente Figuren, die nachvollziehbar handeln und sich (zumindest anfangs) sehr motiviert als Vollstrecker eines Unrechtsstaates verdingen. Hier wäre es für Philippe Collin ein Leichtes gewesen, auf den 152 Seiten eine eindeutige schwarz/weiß-Geschichte zu erzählen, aber stattdessen sind alle handelnden Figuren und auch beteiligten Organisationen (von der Stasi bis zum DFB) in moralischen Grautönen gehalten. „Das Spiel der Brüder Werner“ wird zudem noch von einem kurzen Bonusteil ergänzt, in welchem tiefer auf die dargestellten Ereignisse eingegangen wird. Also ein echter Bildungscomic, den sich der „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) da ins Programm geholt hat. Fazit: Wie schon mit „Die Reise des Marcel Grob“ haben Philippe Collin und Sébastian Goethals mit „Das Spiel der Brüder Werner“ (Link) erneut einen herausragenden Bildungscomic geschaffen, der Pflichtlektüre in jeder Schule sein sollte. Ein Meisterwerk!
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