Fangen wir vielleicht doch gleich mal mit einer vorauseilenden Rechtfertigung an: Ich hab nichts gegen erotische Comics. Wenn sie emotional packend sind, ist mir egal, wie nackig die Leute da rumlaufen. Man denke nur an die lesbische BDSM-Romanze „Sonnenstein“, da war der 1. Zyklus ein echtes Meisterwerk, oder an das ergreifende Viagra-Drama „Die Erektion“. Entsprechend lasse ich mich aber auch nicht von der „Fleischbeschau“ ablenken, wenn eine Geschichte schlecht ist, dann ist sie eben schlecht, egal wie viele nackige Brüste da durchs Bild wackeln ;-) 

 
Und damit kommen wir auch schon zu „Die Göttin“, einem 56 seitigen Erotik-Comic, der trotz abgeschlossener Handlung nur der Auftaktband eines Zweiteilers ist. Die Protagonistin Nanna ist eine Kunststudentin, die kurz vor ihrer praktischen Prüfung in Kalligrafie und Buchmalerei steht. So richtig bekommt sie das Malen der keltischen Liebesgöttin Anann aber nicht hin, denn für erotische Zeichnungen fehlt ihr die Sinnlichkeit. Zum Glück hat sie aber eine ebenso verständnis- wie geheimnisvolle Kunstlehrerin, welche ihr ein keltisches Amulett schenkt – Und plötzlich wird aus dem grauen Studentenmäuschen ein von sexuellem Verlangen getriebener Schwan... Ja, tatsächlich, dieser letzte Satz ist tatsächlich ernst gemeint. Und er fasst die Geschichte auch ganz wunderbar zusammen, denn darum geht es wirklich die ganze Zeit: Nanna hat, dem magischen Amulett sei Dank, immer stärkere und intensivere Sexträume. Von hinten, von vorn, von oben, von unten, zu zweit und zu dritt, in der Dusche und in der Küche – Nanna steigert sich so sehr in ihre erotischen (Tag-)Träume hinein, dass sich selbst ihre eigentlich sexpositiven (und nicht immer solidarischen) Freundinnen langsam Sorgen um sie machen... 

Selten war ich nach der Lektüre eines Comics so ratlos, noch dazu nach der Lektüre eines Comic aus dem „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) – Immerhin haben die Bielefelder ja quasi das Monopol auf franko-belgische Bildergeschichten mit Niveau und Anspruch. Aber in „Die Göttin“ finde ich einfach nichts davon. Okay, ein wenig Niveau gibt es doch, denn die zahlreichen Sexzeichnungen driften nur selten in plakative Pornografie ab. Aber inhaltlich? Die „Geschichte“, und ja ich habe das Wort jetzt provokant in Anführungszeichen gesetzt, besteht prinzipiell nur aus einer Aneinanderreihung von teils mehrseitigen Sexträumen. Dazwischen ein paar rudimentäre Dialoge, in denen Nannas Freundinnen sie erst übergriffig zu mehr Sex drängen, um dann irritiert zu sein, dass sie wirklich Sex hat. Dazu gibt es, aber das sind kaum zwei Seiten, noch die Andeutung einer Mystery-Komponente (Nanna/Annan), aber die wird nach einem Wimpernschlag bereits von der nächsten Sexszene weggewischt...
  
Fazit: Vielleicht kommt ja tatsächlich im zweiten Band noch der große Story-Twist, und dann krieche ich reumütig zu Kreuze, weil ich „Die Göttin #1“ (Link) jetzt so verrissen habe. Aber Stand jetzt, nur den Auftaktband betrachtend, haben wir hier einen hübsch gezeichneten Erotik-Comic, der inhaltlich kaum über einen selbstgedrehten Pornhub-Clip hinaus geht.

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