Die sympathischen Podcast-Kollegen vom „System Matters“-Verlag scheinen nach dem Motto „Doppelt hält besser“ zu publizierenden, denn von kaum einem Spielsystem (egal ob PbtA oder OSR) gibt es nicht mindestens zwei Vertreter im Portfolio. Und so bekommt nun auch das mit Abstand ungewöhnlichste Produkt des Verlags, nämlich das Solo-Briefeschreib-Rollenspiel „Quill“ (Link), seinen Doppelgänger... Für die RollenspielerInnen unter meinen LeserInnen, die wirklich tief in der Erzählspiel-Materie drin sind, ist das jetzt gar keine Überraschung. Denn sowohl „Quill“ als auch nun „English Eerie“ stammen beide aus der Feder von Scott Malthouse. Und da stellt sich natürlich sofort die Frage, welches dieser beiden Schreibspiele besser ist? Während man in „Quill“ noch Briefe schrieb, sind es in „English Eerie“ nun Tagebucheinträge. Aber man textet nicht wild drauf los, stattdessen gibt ein einfacher Spielmechanismus vor, was nun wie genau passiert ist. Dabei ist der Spielaufbau recht simpel: Man mischt drei Königinnen sowie alle 4er, 5er, 6er & 7er eines Kartendecks und erhält so das Story-Deck. Von diesem zieht man nun die oberste Karte, welche beschreibt, was genau dem Spielcharakter heute passiert ist: Ein Herz bedeutet, dass ein Nebencharakter verletzt wird. Ein Kreuz bedeutet, dass ein Nebencharakter angreift oder anderweitig zum Hindernis wird. Ein Karo bedeutet, dass die Umgebung das Fortkommen verhindert und ein Pik bedeutet, dass man einen kleinen Hinweis zum Fortgang der Handlung findet. Wer diese Nebencharaktere und was diese Hindernisse sind, legen die jeweiligen Szenarien fest. Diese sind prinzipiell total unterschiedlich (im Regelwerk findet sind sowohl Grusel des 19. Jahrhunderts als auch Gegenwarts-Esoterik-Kram), mit der wilden, ungezähmten Provinz Englands ist ihnen jedoch der Handlungsort gleich. Zieht man nun also eine Hinderniskarte, würfelt man mit einem W10 gegen den Wert eben jener Karte. Ist das Ergebnis höher oder gleich, ist nochmal alles gut gegangen. Ist es darunter, verliert man einen Stimmungspunkt (so eine Art psychischer Lebenspunkt, bei dessen Sinken auf 0 das Szenario auf die denkbar schlimmste Art endet). Um dieses Ergebnis etwas herauszuzögern gibt es zudem Entschlossenheitspunkte, welche man zum Modifizieren der W10-Probe nutzen kann. Und das war es dann auch schon regeltechnisch: Man zieht eine Karte und würfelt eventuell, dann schreibt man das Ergebnis in einem Tagebucheintrag nieder. Dabei entspricht eine Karte jeweils einem halben Tag, sodass man quasi jeden Vormittag und jeden Abend einen Tagebucheintrag verfasst. Dass diese Tagebucheinträge dann immer dramatischer werden, liegt vor allem auch an den grauen Damen (also den Königinnen-Spielkarten). Wenn man eine solche zieht, passiert ein besonders dramatisches Ereignis. Zudem erhöht sich mit jeder gezogenen grauen Dame der Schwierigkeitsgrad um 1, sodass die W10-Proben immer schwieriger werden – Eine sehr schöne Eskalationsmechanik :-D Und so hat man dann am Ende einen richtig schönen Gruselroman aus der Ich-Perspektive, den man voller Stolz beim nächsten Kurzgeschichten-Wettbewerb einreichen kann ;-) Gar nicht gruselig ist dagegen die Produktionsqualität vom „System Matters“-Verlag (die mir dankenswerterweise eine 60-seitige Preview-PDF zur Verfügung stellten, sodass diese Rezension deren Bildmaterial verwendet), denn auch wenn ich natürlich nicht die Druckqualität einer PDF-Datei bewerten kann, haben mich doch die gelungene Übersetzung und die sehr stimmungsvolle Präsentation wirklich überzeugt. Fazit: „English Eerie“ (Link) fühlt sich an, als hätte sich der „Quill“-Autor nochmal hingesetzt und das Spielkonzept auf die nächste Stufe gehoben. Wer sich für Solo-Schreibspiele begeistern kann, wird diese Erzählspiel-Kleinod lieben :-D