Wenn ich irgendetwas habe, was so in Richtung „guilty pleasure“ geht, dann ist es ganz zweifelsohne Weltkriegs-Pulp. Egal ob im Spiel (z.B. „Achtung! Cthulhu“ (Link) & „Dust 1947“ (Link)) oder im Comic (z.B. „Die Eisendivisionen“ (Link) & „Spynest“ (Link)), mit futuristischem Kriegsgerät wie fliegenden Untertassen und Kampfrobotern ausgestattete Okkult-Nazis sind einfach die eindrucksvollsten Bösewichte. Unter dieser Prämisse müsste ich die sechsteilige Comic-Reihe „Das Große Spiel“ eigentlich vollumfänglich abfeiern... Der zweite Weltkrieg ist in dieser Reihe etwas anders verlaufen: Frankreich hat den Krieg bereits nach ein paar Monaten gegen Nazi-Deutschland gewonnen und konnte so seinen Status als Weltmacht beibehalten. Das Nazi-Regime, auch wenn sich Hitler bereits 1941 umgebracht hat, besteht jedoch weiter, da die westlichen Alliierten es als Bollwerk gegen die Sowjetunion benötigen. Hilft aber nix, denn die Sowjets marschieren trotzdem zackig bis Berlin. Doch dort stellen sich ihnen plötzlich Werwolf-Krieger in dem Weg... Also eine ganz andere Weltordnung, in welcher der französische Boulevardjournalist Nestor Serge seine übernatürlichen Abenteuer erlebt:
1. In „Ultimate Thule“ (Link) geht im Mai 1945 ein französisches Luftschiff beim Überqueren des Nordpols verloren. Ein Unfall? Vielleicht auch nicht, deshalb soll sich Nestor einer Expedition anschließen. Die ist natürlich geheim und so muss der Boulevardjournalist versuchen, seinen Reisetreffpunkt unerkannt über Nazi-Deutschland zu erreichen. Was gar nicht so einfach ist, hetzten ihm die deutschen Behörden doch einen waschechten Superhelden auf den Hals...
2. Irgendetwas geht in der Arktis vor sich und die Nazis wollen nicht, dass irgendjemand etwas davon erfährt... So beginnt der zweite Band „Dunkle Götter“ (Link) mit einem deutschen Angriff auf einen britischen Spionage-Stützpunkt. Der dort stationierte Beobachter überlebt schwer verletzt, doch bevor ihn Nestor interviewen kann, greifen die Nazis ihn mit einem Selbstmord-Werwolf an! Und wie er alsbald feststellen muss, sind auch die Sowjets an den Vorgängen rund um den Nordpol interessiert...
3. Der Abschlussband des ersten Zyklus trägt den Titel „Brodelnde Erde“ (Link) und selten war ein Titel so passend. Denn Nestor muss (gemeinsam mit seinen mittlerweile angesammelten Verbündeten) feststellen, dass unter der Arktis noch eine zweite Welt existiert – Und ein Teil von ihr will nach draußen ;-) In diesem dritten Band dreht der Autor Jean-Pierre Pécau nochmal richtig auf und protzt u.a. mit Nazi-Superhelden, fliegenden U-Booten, Reichsflugscheiben und streng geheimen Nazi-Stützpunkten im ewigen Eis. Das ist natürlich arg drüber, aber macht wirklich Spaß :-D
4. Der zweite Zyklus lässt den eisigen Norden hinter sich. Nestor wird in die fernöstlichen Kolonien entsandt, was ihm gar nicht so recht passt, wo doch in der französischen Hauptstadt gerade eine Revolution ausgebrochen ist. Aber schnell merkt er, dass in Indochina (Link) nicht alles mit rechten Dingen zugeht, denn eine mysteriöse Schmetterlingsart tötet Menschen in Sekundenschnelle.
5. Nestor begleitet in „Drachenkönig“ (Link) weiter die französischen Kolonialtruppen, die gegen vietnamesische Rebellen und die mysteriösen Schmetterlinge vorgehen. Auf ihrer Mission durchstreifen sie das Land und treffen u.a. einen französischen Rechtsextremisten, der sich mitten im Dschungel seine ganz eigene Sklavenplantage aufgebaut hat – Und als ob das nicht genug wäre, verbirgt er ein gar schreckliches Geheimnis...
6. Der Abschlussband der sechsteiligen Reihe trägt den Titel „Antinea“ (Link) und führt Nestor diesmal nach Algerien. Dort tritt er offiziell bei einer Wüstenrally an, doch eigentlich nutzt er das nur als Vorwand, um in abgesperrten Bereichen über französische Kolonialverbrechen zu forschen. Schnell finden er und seine Mitfahrer eine sagenumwobene Schlucht mitten im algerischen Ahaggar-Gebirge, die sich als tödliche Falle entpuppt...
Wer sich nun vielleicht gefragt hat, was die seltsame Artikel-Überschrift wohl bedeuten mag: Der erste Zyklus, den man sehr gut alleinstehend lesen kann, umfasst drei Bände. Der zweite Zyklus umfasst ebenfalls drei Bände, allerdings stehen die beiden Indochina-Bände für sich genommen auch so eng beieinander, dass man sie als einen Zyklus sehen kann (auch wenn es dort schon ein paar Schwenker in die Sahara gibt). Der sechste Band, also der Abschluss der Reihe, steht für sich so alleine, dass man ihn fast schon als Ein-Band-Zyklus sehen kann ;-) Und danach geht’s nicht weiter, daher die Null in der Überschrift, und das ist verdammt ärgerlich. Denn gerade die ersten drei Bände bieten wirklich tolle Pulp-Action und noch dazu einen interessanten Weltenbau. Ärgerlich ist hier lediglich, dass diese Alternativgeschichtswelt nur sehr beiläufig und mit großen Lücken erklärt wird. Ich habe z.B. nach den sechs Bänden immer noch keine Ahnung, wie Europa gerade aussieht: Ja, die Sowjets waren schon in Berlin, aber sind sie das immer noch (dann wäre Nazi-Deutschland ja, bis auf die Nordpol-Kolonie, ziemlich zusammengeschrumpft) oder haben die ganzen Wunderwaffen (Düsenjäger, Werwölfe, Superhelden, Reichsflugscheiben etc.) doch irgendwas gebracht? Und irgendwann tauchen mal japanische Soldatenzombies und irgendwelche Gestaltenwandler im vietnamesischen Dschungel auf, was hat das zu bedeuten? Hier gibt die Reihe absolut keine Antworten :-( Ich weiß nun nicht, ob der Autor hier etwas geschludert hat oder ob es einfach daran liegt, dass die Serie urplötzlich nach dem sechsten Band abbricht. Jedenfalls merkt man ganz deutlich, dass hier eigentlich mehr Bände angedacht waren – Das Ende als einen Cliffhanger zu bezeichnen, ist fast schon eine Untertreibung. Obwohl, da die Figuren immer mal wieder H.P. Lovecraft erwähnen, könnte man das „Offenes Ende, aber wir wissen, dass alle sterben“-Finale auch als cthulueske Verneigung verstehen? Vielleicht rede ich mir damit aber auch dieses schreckliche Ende schön – Liebe LeserInnen, erinnert Ihr Euch noch an den gelungenen Pulp-Comic „Neptune“ (Link), der seine tolle Geschichte mit vier hingerotzten Bonusseiten beendete? Wenn ich jetzt „Das Große Spiel“ anschaue, dann war dieses Hauruck-Ende rückblickend doch eine echt liebe Geste des Autors... Okay, genug über den schrecklichen letzten Band hergezogen. Gerade der erste Zyklus mit den fiesen Nordpol-Nazis macht wirklich Spaß :-D Klar, man muss natürlich die typischen Pulp-Genrekonventionen mögen, aber hier macht „Das Große Spiel“ mit seiner unterhaltsamen Geschichte und dem interessanten Alternativgeschichtssetting wirklich Spaß. Zudem sind auch die Zeichnungen sehr gut gelungen, da schlägt das Fan-Herz höher :-) Ärgerlich ist lediglich, dass der Protagonist Nestor Serge so unglaublich unsympathisch ist und dazu auch noch so blass bleibt. Außer, dass der Ex-Kampfpilot ein ein kleines bisschen links und ein großes bisschen arrogant ist, und dass er reihenweise großbusige Frauen vernascht, bleibt von dieser Figur auch nach sechs Bänden nichts hängen. Schade, aber dann ist man am Ende auch nicht traurig, wenn den Abschlussband gelesen hat... Jaja, ich hör ja schon auf über den sechsten Band zu motzen :-P Die sechs Hardcover-Bände (welche mir von „Bunte Dimensionen“ dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurden) umfassen jeweils 48 – 56 Seiten und kosten zwischen 14 – 16 €. Pulp-Fans können also ohne Bedenken zugreifen, gerade der 1. Zyklus (also die Bände #1-3) ist quasi ein Pflichtkauf. Fazit: Selten habe ich eine Comic-Reihe erlebt, deren schwaches Ende rückblickend so negativ auf die gesamte Serie abgestrahlt hat... Die ersten drei Bände von „Das Große Spiel“ (Link) sind quasi ein Pflichtkauf, die nächsten zwei Bände sind immerhin noch gute Genre-Kost. Der letzte Band jedoch ist eine komplette Nullnummer, der man auf jeder Seite anmerkt, dass hier noch viel mehr geplant war.
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