Wem ich schon mal vom viktorianischen Detektiv-Rollenspiel „Private Eye“ vorgeschwärmt habe (u.a. in einer der ganz frühen Podcast-Episoden (Link)), dem habe ich auch von dem herausragenden Gratisrollenspieltag-Kurzabenteuer „Die Erbschaft“ (Link) vorgeschwärmt :-) Dort geht es um den Mord an einem Industriellen – Oder besser gesagt um drei Morde, die unabhängig voneinander passieren. Im nunmehr 13. Abenteuerband „Aller guten Dinge sind sechs“ passiert quasi genau das Gleiche, nur halt alles ein wenig aufgeblasener und übernatürlicher. Ob ich wieder so begeistert sein werde? Die Betrügerin Emily O'Keefe hat sich unter dem Pseudonym Cassandra Usher einen Namen als hervorragendes Medium gemacht, dass der treudoofen Kundschaft für sehr viel Geld sehr nützliche Ratschläge aus dem Reich der Toten überbringt. So auch eines Nachts während einer Seancé auf dem altehrwürdigen Chilham Castle... Doch natürlich ist Cassandra kein echtes Medium, stattdessen recherchiert sie im Vorfeld ihres Esoterik-Betruges einfach nur akribisch die Hintergründe ihrer Opfer, um denen dann genau das zu sagen, was sie hören wollen. Diesmal war sie jedoch ein wenig zu übermotiviert, denn die sechs Seancé-TeilnehmerInnen glauben, dass ihre dunkelsten Geheimnisse durch Cassandras Kontakt zu den Toten enttarnt werden könnten.... Am nächsten Morgen ist das Medium nicht mehr am Leben! Der hinzugezogene Dorfpolizist befragt pflichtgemäß alle BewohnerInnen und GästInnen des Chilham Castle und hält am Ende gleich sechs grundverschiedene Geständnisse in den Händen – Denn alle sechs Seancé-TeilnehmerInnen behaupten, dass sie Cassandra ermordet haben... Aber wie ist es denn jetzt wirklich gewesen? Eben genau das sollen die SpielerInnen dieses ziemlich offen gestalteten Mordfalls herausfinden. Dabei verläuft dieses Abenteuer nicht in den klassischen Bahnen anderer „Private Eye“-Fälle (also von Hinweis zu Hinweis zu Hinweis durchrätseln). Stattdessen bekommt die Spielleitung quasi eine kleine Sandbox voller Hinweise, ZeugInnen und (Möchtegern-)TäterInnen, in welcher sich die SpielerInnen nach Herzenlust austoben können. Das ist für eben jene ein ziemlich spaßiges Unterfangen, können sie anhand der Rekonstruktion der Mordnacht doch ziemlich rasch einige motivierende Anfangserfolge feiern (daher herausfinden, wer alles das bereits gestorbene Opfer noch einmal ermordet hat), bevor sie die durchaus knifflige „wahre“ Lösung herausfinden. Für die Spielleitung ist dieser Kriminalfall – trotz aller Hilfestellungen wie beispielsweise Beziehungsübersichten, Handouts & Fallzusammenfassungen – dagegen sehr schwierig zu leiten, da es keinen klassischen Handlungsfaden gibt und man quasi mit all den zahlreichen Figuren (neben den sechs geständigen Hauptfiguren tummeln sich im Chilham Castle und dem angrenzenden Dörfchen noch allerlei Nebenfiguren) auf jede neue Entwicklung reagieren muss. Ganz ehrlich, trotz aller Hilfestellungen würde ich mich das persönlich nach rund fünf Jahren Spielleitungserfahrung nicht unbedingt zutrauen... Wer aber etwas mutiger ist als ich, bekommt hier wieder ein richtig schön präsentiertes Abenteuer: Neben den bereits erwähnten Hilfestellungen gibt es wieder wirklich spannend zu lesende, sehr liebevolle Figuren- und Schauplatzbeschreibungen :-) Zu Auflockerung dienen zwei sehr kurze Bonusabenteuer, die allerdings eher grob ausgearbeitet wurden und daher für die Spielleitung fast genauso anspruchsvoll sind wie der Hauptfall... Präsentiert wird „Aller guten Dinge sind sechs“ in gewohnter „Private Eye“-Qualität: Atmosphärische Texte werden aufgelockert von zahlreichen alten Fotografien und etwas Kartenmaterial. Layout und Lektorat sind gut gelungen, sodass man das 72-seitige Softcover rasch und gern durchgelesen hat. Für dieses möchte die „Redaktion Phantastik“ (welche mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat) annehmbare 16,95 €, was für einen Kleinverlag durchaus in Ordnung geht. Fazit: „Aller guten Dinge sind sechs“ (Link) ist mir mit seiner sehr spannenden Ausgangslage definitiv ans Herz gewachsen :-D Die SpielerInnen werden dieses "Private Eye"-Abenteuer lieben, aber SpielleiterInnen seien vorgewarnt: Im direkten Vergleich gehört dieser angebliche Sechsfachmord zu den am schwierigsten zu leitenden Kriminalfällen der gesamten Reihe.