Fantasy-Comics, egal welchem Untergenre sie sich zuordnen, reihen ja doch gern mal allerlei Klischees aneinander: Mächtige Adelshäuser herrschen über strauchelnde Reiche, die von fiesen Hexen und märchenhaften Monstern bevölkert werden... Das muss natürlich nicht schlecht sein, aber gerade weil es das alles in der Trilogie „Die Seuche“ eben nicht gibt, sticht sie aus der Masse hervor.
1. Ein matriarchales Fischerdörfchen wird von einer heimtückischen Seuche heimgesucht: Erst hustet man sich die Seele aus dem Leib, dann wird man fleckig und ist dem Tode geweiht. Als seien das nicht genug Herausforderungen für die Dorfgemeinschaft, wird eines Tages auch noch die Leiche eines verfeindeten Stammes angeschwemmt – Welcher sich diese auch noch mit Gewalt zurückholt. Dabei gerät auch die feministische Kämpferin Valnes (Link) in Gefangenschaft – Doch mit einigem diplomatischen Geschick einigt man sich auf eine gemeinsame Expedition, um die Ursache der Seuche herauszufinden...
2. Mittlerweile hat sich das kleine Expeditionsgrüppchen mit zwei KämpferInnen eines weiteren, ziemlich archaischen Stammes erweitert. Doch nicht alle Mitglieder der Gruppe überleben die Reise, denn immer wieder greifen blutrünstige Monster an. Und auch Die Brohm (Link), ein grausamer Unterdrückerstamm, wollen Valnes und ihren MitkämpferInnen daran hindern, die Wahrheit über die Seuche herauszufinden.
3. Sie sind so weit gekommen und haben so vielen Gefahren getrotzt – Und doch war alles umsonst! Denn die mittlerweile arg dezimierte Expeditionstruppe ist in die Gefangenschaft der Brohm geraten, die sie zur Arbeit in den Edelsteinminen zwingt. Natürlich versuchen Valnes und ihre Mitgefangenen zu fliehen, doch letztlich geht es doch nur darum, Das Erbe (Link) dieser Reise zu bewahren...Eines muss ich dem Autor Jean-Charles Gaudin, der hier zusammen mit dem Zeichner Frédéric Peynet arbeitet, wirklich lassen: Selten hatte ich beim Lesen eines Fantasy-Comics so viele ambivalente Gefühle. Denn die „Die Seuche“-Trilogie bietet, oberflächlich betrachtet, eigentlich nur eine ziemlich simple und in ihrer Figurenkonstellation arg vorhersehbare Reisegeschichte. Diese verläuft, bis auf die Gefangenschaft am Ende, fast schon bedrückend schematisch: Dialog über Kulturkonflikte → Kampf, bei dem immer ein Pferd und manchmal ein Mitreisender stirbt → Dialog über Kulturkonflikte → Kampf, bei dem immer ein Pferd und manchmal ein Mitreisender stirbt → Dialog über Kulturkonflikte... Ich denke, es ist offensichtlich, was ich meine ;-) Aber getreu dem eigentlich ja ziemlich abgenutzten Motto „Der Weg ist das Ziel“ schafft es der Autor hier trotzdem, das Interesse der LeserInnen hoch zu halten. Dies geschieht dabei weniger durch die Frage nach dem Ursprung der Seuche, sondern vielmehr durch die interessante Gruppendynamik der sehr diversen ProtagonistInnen: Drei verschiedene Kulturen reiben sich hier wegen verschiedenster Spannungsfelder (Atheismus versus ausgeprägte Religiosität, Matriarchat versus Patriarchat, sexuell restriktive Moralvorstellungen versus frei ausgelebte Sexualität) aneinander. Das liest sich vor allem deshalb interessant, weil hier niemand wirklich gut weg kommt. Wie alle anderen Figuren auch kommt selbst die Protagonistin Valnes eher unsympathisch herüber. Durch das Fehlen einer sympathischen oder wenigstens charismatischen Identifikationsfigur bleibt die moralische Einordnung den LeserInnen überlassen. Man fühlt sich mit jedem Band immer mehr dazu ermutigt, die Geschichte selbst zu interpretieren, anstatt die Perspektive der Hauptfigur zu übernehmen. Letztlich hat Jean-Charles Gaudin hier also sehr klug agiert, wenn auch auf Kosten der Zugänglichkeit... Noch einmal sehr deutlich merkt man das bei der Auflösung der Geschichte, welche man entweder als schlichtweg genial oder auch als ungemein blödsinnig empfinden kann – Der Autor will einfach, dass man über das Gelesene nachdenkt und seine eigenen Schlüsse zieht! Fazit: „Die Seuche“ (Link) ist eine sehr stimmig gezeichnete Fantasy-Trilogie, die vom Autor bewusst etwas sperrig gestaltet wurde. Je nachdem, ob man als LeserIn bereit ist, sich mit den aufgeworfenen Reibungspunkten auseinander zu setzen, hat man hier entweder eine ziemlich solide Abenteuergeschichte oder aber ein grandioses Metapher-Meisterwerk :-) Der Verlag „Bunte Dimensionen“ (welcher mir dankenswerterweise Rezensionsmuster zur Verfügung stellte) beweist mit "Die Seuche" erneut, dass er für Fantasy-Fans ein echter Geheimtipp ist.