Kolonialismus verbinden wir ja meistens mit der Vergangenheit, immerhin haben die ganzen Länder der 3. Welt ja mittlerweile ihre Unabhängigkeit erkämpft. Wirklich geändert hat sich dann aber doch nichts – Denn auch wenn der Raubbau von Rohstoffen nun unter einer anderen Flagge stattfindet, sind es doch die Industrienationen, die den Profit einstreichen. In der Graphic Novel „Kivu“ wird dieser ausbeuterische Post-Kolonialismus eindringlich thematisiert. Der 28jährige Karrierist François Daans wird von einem multinationalen Großkonzern in den Kongo geschickt, um in der ebenso umstrittenen wie ressourcenreichen Region Kivu einen willfährigen (also korrupten) Handlanger zu rekrutieren. Eine Reise ins moderne Herz der Finsternis, denn Milizen, Banden und auch Soldaten morden, vergewaltigen und brandschatzen in der gebeutelten Region nach Gutdünken. Kaum fünf Minuten vor Ort, läuft ihm zudem ein junges Mädchen vors Auto, um welches er sich im Verlauf der Geschichte liebevoll kümmern wird – Was seinen Chefs im fernen Europa, aber auch seinem Reisebegleiter, dem Söldner Peter de Bruyne, so gar nicht gefällt. Denn François kann sein Gewissen nicht ausschalten und verprellt damit hochrangige Militärs, die sich durch Korruption an der Ausbeutung der Region bereichern. Rasch gerät François daher ins Fadenkreuz... Vorweg, diese Graphic Novel ist wichtig und richtig. Man lernt sehr viel über die Probleme des kapitalistischen Post-Kolonialismus und auch über die beeindruckende Arbeit des Friedensnobelpreisträgers Denis Mukwege. Aus pädagogischer Sicht macht „Kivu“ also alles richtig! Nun waren wir aber ja alle mal in der Schule und wissen auch, dass faktenreiche Bildung nicht immer so mega spannend ist... Das große Problem ist der Protagonist der Geschichte: François mag ja ein kluger, sympathischer Mann sein, mit dem ich sicherlich auch mal ein Bierchen trinken gehen würde. Er ist in dieser Geschichte aber leider der blasse Pfadfinder, der mit staunenden Augen durch die Gräuel der Region stolpert. Dabei wirkt seine Afrikareise so, als würde der Autor Jean van Hamme mit ihm eine Checkliste abhaken wollen... „Hier sehen wir den grausamen Colonel“, „Hier sehen wir den typischen weißen Touristen, der schwarze Prostituierte ausprobiert“, „Hier sehen wir Mord und Vergewaltigung“ und „Hier sehen wir mit Denis Mukwege endlich mal einen Hoffnungsschimmer in dieser verkommenen Region“. Das wirkt halt alles ein wenig reißbrettartig und auch sehr gewollt – Gerade auch, weil man das Gefühl hat, als würden die Nebenfiguren entweder nur als Klischee oder als Deus ex Machina (der Sohn des Sicherheitschefs glaubt dank US-Filmen, er sei Rambo, und metzelt entsprechend auch halb Kivu nieder, um François immer wieder aus misslichen Lagen zu retten) fungieren. Das ist vergeudetes Potential, denn gerade die Betroffenen haben in so einem Setting doch die spannendsten Geschichten zu erzählen :-( Ich will „Kivu“ jetzt gar nicht so sehr kritisieren, wie es den Anschein hat. Denn auch wenn man eine viel spannendere Geschichte hätte erzählen können – Ihre emotionale Wirkung entfaltet sie trotzdem! Das liegt aber primär an den eindringlichen Zeichnungen, die das real existierende Grauen zwar nicht explizit, aber doch bedrückend realistisch darstellen. Nach der Lektüre dieser Graphic Novel fragt man sich wirklich, ob man jedes Jahr das allerneuste Smartphone benötigt, für dessen Hightech-Ausstattung die Menschen in Kivu leiden müssen... Ich danke dem „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) daher explizit dafür, dass er sich getraut hat, so ein schwieriges Thema als hochwertigen, 72 Seiten starken Hardcover-Comic auf den Markt zu bringen. Fazit: „Kivu“ (Link) hat zwar erzählerische Schwächen, dank seiner bedrückenden, brutalen Stimmung ist man davon dann aber doch so sehr gefesselt, dass man diese pädagogisch äußerst wertvolle Graphic Novel absolut gebannt durchliest. Meine absolute Empfehlung für den Einsatz im Schulunterricht, wenn auch der Brutalität wegen eher für die höheren Jahrgangsstufen.
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