Im letzten Jahr sind ja einige Abenteuer für das Steampunk-Rollenspiel "Space 1889" erschienen. Und diese haben offensichtlich einige Fans gefunden, war doch "Der marsianische Patient" beim Leserpreis "GOLDENER STEPHAN 2015" in der Kategorie "Bestes Abenteuerbuch" mit über 40 % der klare Gewinner. Ob das etwas dünnere Abenteuerheftchen "Fremde Erde" an diesen Erfolg anknüpfen wird? Bevor ich meine Rezension beginne noch schnell ein dickes "Danke!" an den "Uhrwerk Verlag", der mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte. "Fremde Erde" bietet gleich zwei ausgearbeitete Abenteuer, die inhaltlich zusammenhängen. Hauptperson ist der junge Marsianer Kime, welcher als Waise vom verarmten Lord Feltam-Hithe aufgenommen wurde und nun als eine Art Schoßhündchen bei gesellschaftlichen Anlässen präsentiert wird. Denn Kime ist nicht nur ein exotischer Außerirdischer, er hat auch die besondere Fähigkeit schweben zu können. Natürlich weckt solch eine einmalige Fähigkeit Begehrlichkeiten. Kime wird entführt um als Zirkusattraktion herzuhalten, kann aber entkommen und gerät zwischen die Fronten des Londoner Dockarbeiterstreiks. Das war bis hierhin übrigens kein Spoiler (die folgen in den nächsten Abschnitten), weil der Text so ähnlich auf der Heftrückseite steht :-P Das zweite Abenteuer spielt dann Jahre später: Kime wurde beim Dockarbeiterstreik von der Ideologie des Kommunismus infiziert und ist nun die Gallionsfigur des marsianischen Proletariats im Kampf gegen das herrschende Kastensystem. Natürlich wollen dunkle Mächte den Aufrührer beseitigen, hier kommen dann die Spieler zum Zuge... Das erste Abenteuer erstreckt sich über 19 des insgesamt 32 Seiten umfassenden Abenteuerheftes. Es ist grob in drei Abschnitte aufgeteilt: Die Handlung beginnt bei einem abendlichen Fest des Lord Feltam-Hithe, der seine marsianische Attraktion präsentiert. Eine Gelegenheit, ausgiebig soziales Charakterspiel stattfinden zu lassen, bevor am nächsten Morgen die Detektivarbeit beginnt da Kime verschwunden ist. Schnell sollte klar werden, dass ein abgeranzter Zirkus in der Nähe etwas mit dem Verschwinden zu tun hat. Hier kann weiter ermittelt werden, je nach Verhalten der Spieler sollte es auch ein wenig Action geben. Bis hierhin fühlt sich "Fremde Erde" übrigens - natürlich abgesehen davon dass ein echter Marsianer gesucht wird - genauso an wie das viktorianische Detektiv-Rollenspiel "Private Eye". Und da ich dieses bekanntermaßen mag, ist diese Aussage als Lob zu werten :-D Egal wie gut oder schlecht sich die Spieler anstellen, Kime entkommt von alleine und reist nach London. Dort wird er bald die Ikone des Dockarbeiterstreiks. Schlecht für ihn, da die Industriellen den Streik mit tödlicher Gewalt beenden wollen. Nun kommt dann mal richtig Action ins Spiel, mit angreifenden Luftschiffen, Massenpaniken, brennenden Häfen und revolutionären Straßenschlachten. Leider ist diese letzte Szene nicht sehr detailliert ausgearbeitet, trotzdessen ist sie ohne Frage ein würdiger Abschluss für das zwar lineare, aber durchweg spannende erste Abenteuer. Offener ist das zweite Abenteuer angelegt. Es spielt viele Jahre später auf dem Mars: Kime hat sich mit ein paar treuen Aufständischen in einer ebenso wichtigen wie antiken Pumpstation verschanzt. Belagert wird die von den Truppen des örtlichen Machthabers Shune, der nebenbei auch noch einen wichtigen britischen Agenten als Geisel versteckt hält. Insgesamt also eine verzwickte Situation, in der die Spieler dank der eher losen Handlung (insgesamt nur 7 Seiten Umfang) aber sowohl diplomatisch als auch kämpferisch ans Ziel kommen können. Der Ausgang des Abenteuers wird jedenfalls den weiteren Verlauf der Mars-Geschichte stark beeinflussen. Beide Abenteuer, die man eigentlich gar nicht richtig miteinander vergleichen kann (lineares Detektiv-Abenteuer gegen offenes Kampf/Diplomatie-Szenario), sind spannend und werden "Space 1889"-Spielern für jeweils 1 - 2 Spieleabende viel Freude bereiten. Gerade der erste Teil ist dabei besonders auch für Einsteiger geeignet, da er durch seine Linearität (ausgenommen der etwas schwammig ausgearbeitete Endkampf) recht idiotensicher spielbar ist und gleichzeitig alle Aspekte des "Space 1889"-Rollenspiels (Soziales Charakterspiel, Detektivarbeit, Kämpfe, exotische Wesen etc.) aufzeigt. Für erfahrene Spielleiter sollten beide Abenteuer kein Problem darstellen, auch wenn man ein wenig Vorbereitungszeit investieren muss. Hilfreich sind die wie immer kompakten, klaren Werte-Tabellen der Gegner sowie eine Kopiervorlage des Luftschiffhafens. Negativ aus Spielleitersicht finde ich wie schon in "Der marsianische Patient", dass wichtige Informationen nicht hervorgehoben sind sondern im Fließtext verschwinden. Aber das war es eigentlich auch schon mit der Meckerei ;-) Das 32-seitige Abenteuerheft ist wieder in typischer "Uhrwerk Verlag"-Qualität gedruckt: Ein stabiler, farbiger DIN-A4-Umschlag mit schönem Cover umschließt in Graustufen gedruckten, zweireihigen Text mit ein paar wenigen, dafür aber schönen Illustrationen. Die 9,95 € sind absolut gut investiertes Geld. Fazit: Zwei spannende Abenteuer, die jeweils 1 - 2 Spielabende lang Freude bereiten mit ordentlich Abwechslung und im Endeffekt weltbewegenden Entscheidungen. Die Druckqualität stimmt auch, daher kann ich hier definitiv eine Kaufempfehlung abgeben.