Einen kleinen, aber feinen Vorteil haben „Achtung! Cthulhu“-SpielerInnen, wenn sie auf die vom „Uhrwerk Verlag“ lokalisierte Fassung der „Nullpunkt“-Kampagne zurückgreifen: Zwar erschienen die einzelnen Abenteuer logischerweise später als die englischsprachigen Originale, dafür war der Abstand der Bände aber deutlich geringer. Lediglich ein Jahr ist es her, dass das bisher beste Abenteuer „Helden der See“ (Link) erschien. Mittlerweile sollten aber alle Fans der pulpigen Chtulhu-Weltkrieg-Mischung die finsteren Pläne der Okkult-Nazis am Atlantikstrand vereitelt haben, sodass die Reise nach Istanbul gerade recht kommt :-D
Die Türkei gehörte im 2. Weltkrieg zu den wenigen Ländern, welche von einer direkten Kriegsbeteiligung verschont blieben. Gerade Istanbul war jedoch ein regelrechter Tummelplatz für AgentInnen aus aller Welt, welche die türkische Regierung und sich gegenseitig ausspionierten. Dabei müssen die Investigatoren, die erneut für den britischen Geheimdienst arbeiten, sehr vorsichtig vorgehen: Sobald sie öffentliches Aufsehen erregen, könnte das zu einer ernsten diplomatischen Krise führen, welche die Türkei in die Arme der Achsenmächte treibt. Im dritten Teil der „Nullpunkt“-Kampagne, welche nun das Jahr 1942 erreicht hat, geht man also erstmals „echter“ Agententätigkeit nach (inklusive Personenüberwachung, Gegenspionage und toter Briefkästen) – Eine schöne Abwechslung gegenüber den beiden vorherigen Abenteuern, welche die Spionagemissionen nur als erzählerisches Feigenblatt für mehr oder minder lineare Mythos-Action nutzten. In „Ehrenkodex“ ist das anders, hier stehen noch klassische „Cthulhu“-Tugenden wie Bibliotheksrecherchen und NSC-Abklappern im Fokus ;-) Das 104 Seiten umfassende Abenteuer gliedert sich in acht Kapitel:
1. Die Einleitung gibt einen groben Überblick. 2. In rund einem Viertel des Bandes wird der Ort des Geschehens, nämlich Istanbul, betrachtet. Hier erfährt man beispielsweise etwas über die alternativhistorischen Eckdaten und wichtige Orte, welche oft auch mit Bodenplänen vorgestellt werden. 3. Dort tummeln sich natürlich allerlei Gruppierungen und Persönlichkeiten, welche im... 4. …Kapitel über Spione und Geheimnisse noch näher beleuchtet werden. 5. Dann endlich werden die Handlungsstränge des Abenteuers, welches sich in drei Episoden nebst Epilog gliedert, vorgestellt. Diese Episoden gliedern sich wiederum in verschiedene Einzelszenen auf, von denen einige optional sind. So schrumpft der eigentliche Handlungskern des Abenteuers, welches gerade mal ein Viertel des „Ehrenkodex“-Bandes umfasst, weiter zusammen. 6. Vorgefertigte Charaktere, nämlich drei Männer und eine Frau, enthält dieses Kapitel. 7. Das kurze Kapitel Neue Regeln stellt die neuen Zauber aus regeltechnischer Perspektive vor. 8. Zuletzt noch die Einsatzbesprechung in Form von verschiedenen Handouts für die Investigatoren.Wie man also der Kapitelübersicht entnehmen kann, ist das eigentliche Abenteuer, im Verhältnis zum umfangreichen Gesamtwerk, recht kurz. Mein erster Eindruck war gar, als hätte ich hier eher einen Istanbul-Quellenband, der eine detailfreudig ausgearbeitete Sandbox enthält, an dem noch ein kleines Abenteuer (für das man kein Kampagnen-Vorwissen benötigt) drangeklatscht wurde – Das klingt jetzt negativer als es gemeint ist, aber die eigentliche Mission rund um das Wirken eines okkulten Ordens, der eine uralte Macht entfesseln will, wirkt seltsam losgelöst von der liebevoll ausgestalteten Spionagewelt, in welche man zuvor zwei Drittel des Bandes lang eingeführt wurde. Vielleicht sollte man „Ehrenkodex“ daher weniger als ein in sich abgeschlossenes Abenteuer sehen (wie es bei den beiden Vorgängern der Fall war), sondern vielmehr als Aufhänger für eine selbst entworfene Sandbox-Spionagekampagne? Wobei, dafür müssten die Investigatoren die Mission erst einmal überleben, was durchaus schwierig werden dürfte – Das Abenteuer selbst warnt davor, dass man ohne das richtige Timing chancenlos ist... Wie immer auf einem sehr hohen Niveau ist die Präsentation: Das auf alt getrimmte Design ist sehr stylisch, die Texte lesen sich flüssig, die düsteren Bilder sind sehr atmosphärisch und die zahlreichen Bodenpläne helfen beim Verständnis der Spielsituation. Hier gibt es wenig zu meckern, sodass ich den Preis von 17,95 €, den der „Uhrwerk Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) für das 104 Seiten umfassende Softcover verlangt, als angemessen betrachte. Fazit: „Achtung! Chtulhu: Ehrenkodex“ (Link) fühlte sich für mich ganz anders an als die ersten beiden Teile der „Nullpunkt“-Kampagne. Wo es vorher knallige und zugegeben auch recht lineare Cthulhu-Weltkriegs-Action gab, gibt es hier eine detailfreudige Sandbox mit einer etwas drangeklatscht wirkenden, eher an ganz normales 20er Jahre „Call of Cthulhu“ erinnernden, Beispielmission. Daher glaube ich fast, dass „klassische“ Cthulhu-Spielgruppen an diesem eher an ein Quellenbuch erinnernden Band sogar mehr Spaß haben werden als die Fans der bisherigen „Achtung! Cthulhu“-Abenteuer.