Nicht nur MathematikerInnen wissen, dass Minus mal Minus überraschenderweise Plus ergibt ;-) Mit der gleichen Rechenformel kann man auch mein Verhältnis zum Indie-Rollenspiel „Dread“ darstellen: Obwohl ich zu beiden Faktoren (Horror-Genre und würfelfreies Erzählspiel) einzeln betrachtet jeweils eine ziemlich negative Einstellung habe, kommt hier als Produkt eine positive Meinung raus. Klingt komisch, ist aber so :-D Aber warum ist das so? „Dread“ ist ein primär auf OneShots ausgelegtes Erzählrollenspiel im Horror-Genre, welches komplett ohne eine klassische randomisierende Spielmechanik (also z.B. Würfel oder Karten) auskommt. Stattdessen zieht man Steine aus einem „Jenga“-Turm – Fällt er nicht um, hat man die Probe geschafft. Fällt er jedoch um, ist der Charakter tot oder wahnsinnig oder sonstwas, jedenfalls aber raus aus dem Spiel. Das klingt jetzt total simpel und das ist es auch, aber ein absoluter NoBrainer ist „Dread“ deswegen trotzdem nicht. Denn einige wenige Sonderregeln bringen Würze in den ohnehin schon spannenden Spielablauf: Einerseits kann sich ein Spieler opfern (den Turm umwerfen für einen besonders „umwerfenden“ Abgang ;-)) oder die Probe verweigern (automatischer Fehlschlag), andererseits kann die Menge der gezogenen Holzklötzchen variiert werden. Und hier kommen wir zu einem Herzstück des Spiels: Der Charaktererschaffung. Die unterscheidet sich stark von anderen Rollenspielen, da es in „Dread“ keine Attribute oder Eigenschaften gibt. Stattdessen füllt man rund ein Dutzend individueller Fragen aus, welche den Charakter definieren. Das können natürlich besondere Fähigkeiten sein (je nachdem, ob man eine Sportskanone oder ein Technik-Geek ist, wird z.B. die Anzahl der gezogenen Holzklötzchen bei einer sportlichen Probe variieren), aber auch geheime Ängste und Motivationen sowie besondere emotionale Verbindungen zu den MitspielerInnen. Logisch, dass solch gut ausgearbeiteten Charaktere in einem Erzählspiel dann die Handlung fast ganz von alleine tragen :-) Ich glaube, ich habe noch nie eine Zusammenfassung der Regeln und der Charaktererschaffung in einem solch kurzen Absatz zusammengequetscht :-P Aber im Prinzip war es das auch tatsächlich schon mit der Spielmechanik. Trotzdem kommt das stylisch designte Hardcover-Regelbuch auf stattliche 240 Seiten. Und das liegt weniger am großzügigen Layout und den vier vorgefertigten Abenteuern (von SciFi-Survival bis Teenie-Slasher ist da alles dabei) als vielmehr an den zahllosen Tipps & Tricks, die es selbst Horror-Fremdlingen wie mir ermöglichen, eine spannende Spielrunde zu veranstalten. Neben allgemeinen Tipps (z.B. wie man Splatter richtig darstellt) wird hier auch gezielt auf die Besonderheiten von „Dread“-Szenarien eingegangen. Dabei sind die Texte allesamt gut geschrieben und lektoriert – sie stehen der Design-Qualität in nichts nach – sodass man den Preis von 29,95 € sehr gern an den umtriebigen Kleinverlag „System Matters“ zahlt ;-) Fazit: „Dread“ (Link) ist eines dieser Rollenspiele, deren Spaßfaktor man erst richtig begreift, wenn man sie selber ausprobiert hat. Denn so simpel die „Jenga“-Mechanik auch ist, sie ist durchdacht und sorgt für unverhoffte Spannung. Daher meine Empfehlung: Auch wenn man (wie ich) weder Horror noch würfellose Erzählspiele mag, sollte man „Dread“ unbedingt mal ausprobieren und sich im Praxistest davon überzeugen lassen :-D