Mit seiner franzöischen Miniserie „Die Erektion“ über die (erotische) Midlife-Crisis eines Langzeitpärchens beweist der renommierte „Splitter Verlag“ mal wieder, dass er seinen Werbeslogan „Comics für Erwachsene“ mehr als nur verdient hat. Der Auftaktband (Link) endete ja mit einem (im Rahmen der Genre-Konventionen) spannenden Cliffhanger und ich war deshalb gespannt, wie der Autor Jim die verfahrene Situation auflösen würde... Ein kleiner Rückblick: Lea wird 48 Jahre alt. Sie feiert in kleiner Runde, lediglich ihre beste Freundin Alexandra nebst On/Off-Liebschaft Jean-Fabrice sowie ihr Langzeitfreund Florent sind anwesend. Letzterer hat sich für die mit ihrem Alter hadernde Protagonistin ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk ausgedacht: Still und heimlich hat er sich eine große Menge Sildenafil (landläufig als Viagra bekannt) eingeworfen, was wohl irgendwie (und zwar nicht nur aus medizinischer Sicht) eine ziemlich blöde Idee war, denn damit beginnt das Drama: Erst ist Lea eifersüchtig, weil sie glaubt, Florents titelgebende Erektion wäre auf Alexandra zurückzuführen. Und als sie schließlich erfährt, dass dies stattdessen ein erotisches Geburtstagsgeschenk sein soll, fühlt sie sich nicht mehr begehrenswert und eskaliert richtig ;-) Ganz viel Blabla und noch mehr Drama später muss Florent auf der Couch schlafen, doch dann steht mitten in der Nacht die hilfsbedürftige Alexandra vor der Tür! Und genau hier beginnt der abschließende zweite Band. Alexandra hat sich (wieder mal) von Jean-Fabrice getrennt, der daraufhin in einer Mischung aus liebeskrankem Stalker und gewaltbereitem Manipulator vor Leas Wohnung umher marodiert. Während sich die verängstigte Alexandra deshalb in die schützenden Arme von Florent flüchtet (was natürlich dafür sorgt, dass sich seine Erektion einfach nicht beruhigen will ;-)), wächst Lea über sich hinaus und konfrontiert Jean-Fabrice mit all seinen Missetaten. Kleiner Spoiler: Das gelingt ihr auch beeindruckend gut, sodass sie sich, berauscht von ihrem Erfolgserlebnis, eine Ecstasy-Tablette einwirft und einen 17-Jährigen verführt... Okay, ich glaube spätestens ab diesem Punkt sollte sich bei den aufmerksamen LeserInnen dieser Buchbesprechung mindestens eine Augenbraue skeptisch nach oben gezogen haben. Denn „Die Erektion #2“ bietet so einige Plot-Twists, welche zweifelsohne im Rausch des Lesens gut funktionieren, bei längerer Betrachtung jedoch eher von zweifelhaftem moralischen Wert sind. Beispielsweise, dass Lea im drogeninduzierten Siegestaumel geschätzt 5 Meter Luftlinie entfernt von ihrem Langzeitpartner einen Minderjährigen verführt (was an sich schon fragwürdig ist), obwohl sie vorher unglaubliche eineinhalb Comic-Bände lang die Treue und Liebe angepriesen hat – Ihre aus Selbstzweifeln gewachsene Eifersucht war ja sozusagen die tieferliegende Ursache dieser Geschichte, die Viagra-Erektion nur der konkrete Anlass. Sicherlich ist auch fragwürdig, dass Florent der ebenfalls an sich selbst zweifelnden Alexandra ihre Schönheit dadurch „beweist“, dass er sie seine Erektion anfassen lässt. Okay, das kann man(n) vielleicht sogar noch irgendwie als lebensbejahenden französischen Humor deuten. Aber spätestens bei einem ganz entscheidenden Plot-Twist blieb mir das Lachen dann doch im Hals stecken: Florent gesteht Alexandra, dass er mit ihr im Urlaub, als sie total besoffen war und deshalb tief und fest schlief, den Beischlaf vollzogen hat. Ja, vorher beim Betrinken war sie noch total geil auf ihn und als er ihr das jetzt offenbarte, fand sie das auch eher amüsant, aber sind wir mal ehrlich: Zum Tatzeitpunkt war das ein sexueller Missbrauch einer wehrlosen Person. Ich hab keine Ahnung, wie man damit in Frankreich umgeht, aber hier in Deutschland gibt es dafür bis zu zehn Jahre (§205 StGB). Keinesfalls glaube ich, dass hinter all diesen fragwürdigen Plot-Twists eine böswillige oder gar misogyne Geisteshaltung steht, schon allein weil der französische Humor gern mal etwas freizügig-liberaler ist. Nichtsdestotrotz beschleicht mich das ungute Gefühl, dass der Autor hier für den gefälligen Abschluss der Geschichte und den Transport seiner (moralischen?) Botschaft einige undurchdachte Story-Schnellschlüsse in Kauf genommen hat. Jetzt habe ich aber ganz schön viel gemeckert und eigentlich war das gar nicht meine Intention. Denn auch wenn manche erzählerische Schlenker fragwürdig erscheinen, funktioniert und unterhält die Geschichte mit ihren durch und durch ambivalenten ProtagonistInnen doch sehr gut. In „Die Erektion“ werden die großen Themen der (primär weiblichen) Midlife-Crisis besprochen und das auf eine gefällige Weise. Gerade dieser Thematik wegen ist die zweibändige Miniserie dann auch kein Feel-Good-Comic, stattdessen möchte ich lieber Parallelen mit dem feministischen Gedichtband „Milk & Honey“ von Rupi Kaur (Besprechung im letzten Trashtalk-Podcast, Link) ziehen: Man fühlt sich bei der Lektüre auf eine gute Art schlecht und hinterher merkt man, wie man durch das Reflektieren des Themas emotional gereift ist – Ja, das sind große Worte, aber sie werden dieser Miniserie mehr als gerecht! Die Präsentation des zweiten Bandes schließt sich nahtlos an den Auftaktband an: Schöne Zeichnungen und eine tolle Druckqualität vom „Splitter Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte). Der Preis von 16,80 € für ein 72 Seiten starkes Hardcover geht hier definitiv in Ordnung. Fazit: Schon „Die Erektion #1“ (Link) war keine leichte Kost, aber „Die Erektion #2“ (Link) setzt hier mit zweifelhaften Plot-Twists noch einen drauf. Aber trotzdem (ich traue mich irgendwie nicht „gerade deshalb“ zu schreiben) kann ich für Fans von Midlife-Crisis-Beziehungsdramen eine unbedingte Kaufempfehlung aussprechen - Denn selten hat es sich so gut angefühlt, sich beim Lesen schlecht zu fühlen :-)
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