Auf der diesjährigen SPIEL hatte ich die Gelegenheit, mir von Nachwuchsentwickler Kai Herbertz sein Indie-Kartenspiel "Das Katastrophenspiel" vorführen zu lassen. Hier rettet man die Welt, indem man ein Rettungsteam zusammenstellt und ausrüstet, um den Lösungsanforderungen der Katastrophen gerecht zu werden. Aber damit greife ich jetzt eigentlich schon Kai vor, also lasse ich einfach mal ihn zu Wort kommen ;-) Hallo Kai. Da ich Dich auf der SPIEL kennengelernt habe, falle ich gleich mit der Tür ins Haus: War es Deine erste SPIEL als Aussteller und wie liefs?
"Hallo Philipp. Vielen Dank für die Interview-Einladung! Die SPIEL war in der Tat die erste Spielemesse, zu der ich als Aussteller hingefahren bin. Privat war ich, von zwei Ausnahmen abgesehen, seit 1997 jedes Jahr auf der Messe. Dieses Jahr war die Messe ein besonderes Erlebnis, da ich den Trubel von der anderen Seite kennenlernen konnte. Als unbekannter Spieleautor an einem Stand in der letzten Halle der Messe hatte ich nicht erwartet viele Exemplare meines Spiels an den Mann oder die Frau zu bringen, insofern waren die vielen Verkäufe eine angenehme Überraschung. Ich habe mir ein paar Verbesserungen des Stands für das nächste Jahr überlegt, aber schon auf der Messe konnte ich ein paar Dinge optimieren: Am ersten Tag wurde der Tisch für die Demo-Runden vom Roll-up verdeckt. Außerdem stand er direkt neben dem Warenlager, insofern war das keine einladende Atmosphäre. Wir haben dann am zweiten Tag den Tisch an die andere Seite vom Stand gestellt und konnten so mehrere Demo-Runden durchführen. Das ist übrigens essentiell, denn immer wenn Leute dort saßen und sichtlich Spaß beim Spielen hatten, kamen auch andere Leute zum Stand und haben sich erkundigt. In den Momenten ohne Spielrunde haben sich zwar viele Leute interessiert den Roll-up angesehen, sind dann aber doch lieber weitergegangen. Dementsprechend überlege ich, ob man nächstes Jahr gegebenenfalls zwei Tische für Spielrunden aufstellt."
Nun aber zu Dir: Stell Dich doch bitte mal den Lesern vor.
"Ich wurde 1977 in Düsseldorf geboren. Nach der Schule und dem Zivildienst bin ich nach Aachen umgezogen um Elektrotechnik an der RWTH Aachen zu studieren. Im Anschluss daran habe ich ein paar Jahre in London gelebt und eine Doktorarbeit am Imperial College London geschrieben. Als ich damit fertig war, wurde eine zu meinem Thema passende Stelle am Fraunhofer Institut FHR in Wachtberg ausgeschrieben. Dementsprechend bin ich 2011 nach Deutschland zurückgekehrt und arbeite seit März 2011 am Fraunhofer FHR."
Wie wurdest Du Spieler und warum Spieleentwickler?
"Traditionell werden an Weihnachten immer Spiele ausgepackt, insofern ist wohl meine Familie “schuld” daran, dass ich spiele. Jetzt, in etwas reiferem Alter, ist es ein guter Weg, um mit alten Freunden bei unseren monatlichen Brettspiel-Treffen in Kontakt zu bleiben. Ich denke dass man automatisch anfängt Spiele zu analysieren, wenn man oft und viel spielt. Sobald man herausgefunden hat, wie und warum gewisse Mechaniken funktionieren, ist der nächste Schritt, dass man herausfinden will, ob man auch ein vernünftiges Spiel entwickeln kann."
Mit "Das Katastrophenspiel" hast Du ein eigenes Kartenspiel mit einer interessanten Thematik entwickelt. Worum geht es dabei?
"In "Das Katastrophenspiel" schlüpfen die Spieler in die Rollen von heldenhaften Rettern einer nicht näher spezifizierten europäischen Katastrophenschutz-Einrichtung. Es geht darum weltweit Hilfe zu leisten, aber nur eine Gruppe innerhalb der Organisation kann die höchste Auszeichnung für die geleistete Arbeit bekommen. Das Spiel besteht aus einer Weltkarte mit 6 Regionen. Es liegen immer 5 Kaufkarten und 5 Katastrophenkarten aus. In ihrem Zug erwerben die Spieler neue Kaufkarten, bewegen ihre Figur in eine andere Region und / oder versuchen eine Katastrophe in der Region mit ihrer Spielfigur zu bekämpfen. Am Ende von 8 Spielrunden gewinnt derjenige, der die meisten Siegpunkte erworben hat. Siegpunkte erhählt man durch das bekämpfen von Katastrophen, wobei die erhaltenen Siegpunkte im allgemeinen proportional zur Schwierigkeit der Katastrophe sind."
Kannst Du etwas über die Spielmechanik sagen?
"Die Grundidee besteht darin, dass man die Symbole der eigenen Karten mit den Symbolen auf den Katastrophenkarten vergleicht. Ich habe mich dabei an den Grundbefürfnissen orientiert, so dass die anfänglichen Symbole Feuerlöschen, Medizinische Versorgung, Vorräte wie Nahrungsmittel und Unterkünfte, repräsentieren. Der Grund für die Verwendung von Symbolen besteht darin, dass ich das Spielmaterial möglichst sprachunabhängig halten wollte, so dass man einfach nur die Anleitung übersetzen muss, um einen neuen Markt anzusprechen. Um jedoch nicht nur simple Mustererkennung nach dem Motto “Aha, ich habe drei Leute, die Feuer löschen können. Demendsprechend gehe ich zur brennenden Raffinerie, die 3 Feuerlöscher-Symbole benötigt” als Spielmechanismus zu verwenden, habe ich auch ein optionales Würfelelement eingebaut. Wenn einem Symbole fehlen, so erlauben manche Karten es, per Würfelwurf diesen Mangel auszugleichen. Das führt dazu, dass der Spieler nicht-triviale Entscheidungen treffen muss: “Mache ich eine einfache Mission, bei der ich alle Anforderung erfülle und sie somit automatisch schaffe oder versuche ich mit dem Risiko zu Scheitern die größere Katastrophe zu beseitigen, die mir deutlich mehr Siegpunkte als die einfache Mission gibt.”"
Warum sind die Regeln, wie sie sind? Also z.B. warum ein Kartenspiel? Und warum spielt man nicht kooperativ?
"Diese Frage finde ich äußerst spannend, da sie mir eine Art Tunnelblick meinerseits vor Augen führt: Wenn ich über meine Lieblingsspiele nachdenke (z.B. "Eldritch Horror", "Battlestar Galactica", "Big Book of Madness"), fällt mir auf, dass alle in irgendeiner Weise Karten enthalten. Selbst Spiele wie "King of Tokyo" oder "Pandemic Legacy" enthalten Karten, auch wenn das nicht der hauptsächliche Mechanismus ist. Jedenfalls mag ich Spiele mit Karten wohl sehr gerne, so dass ich ganz von alleine ein sehr kartenlastiges Spiel entwickelt habe. Ein Spiel wie "Schach" oder "Captain Sonar" oder "Tak" ohne Karten und ohne Würfel zu entwickeln ist beinahe undenkbar für mich. Was den fehlenden kooperativen Aspekt angeht, so bereue ich fast, dass man gegeneinander spielt, denn viele Leuten auf der Messe wollten gerne ein kooperatives Spiel haben. Im Moment entwickle ich die Regeln für eine kooperative Variante, die dann auf der Homepage als Gratisdownload (Link) zu finden sein werden, sobald sie fertig sind. Allerdings wollte ich mich auch von dem thematisch Verwandten und sehr erfolgreichem "Pandemic"/"Pandemie" absetzen."
Wie kamst Du darauf, dieses Spiel zu entwickeln? Hast Du einen eventuellen fachlichen Hintergrund?
"Irgendwann, nachdem ich auf dem PC das neue "XCOM" gespielt habe, hatte ich die Idee, dass es interessant wäre, wenn man ein ähnliches Spiel, aber ohne Gegner, entwickeln würde. Statt Aliens hatte Ich Felder mit ausbreitendem Feuer im Sinn und einen Helden, der das Feuer löscht. Allerdings habe ich diese Idee nicht weiter verfolgt. Ein paar Monate später ist mir das wieder eingefallen und so habe ich in einer Brainstorming-Session potentielle Katastrophen aufgeschrieben. Dann habe ich mich gefragt, was benötigt würde, um die Katastrophen und deren Auswirkungen zu bewältigen. Ich fing mit den Grundbedürfnissen Nahrung, Unterkunft und Gesundheit an und habe dann noch weitere Erfordernisse hinzugefügt. Von da an war es noch ein langer Weg zum fertigen Spiel, einschließlich vieler Testspiele. Einen direkten fachlichen Hintergrund habe ich nicht. Ich bin in der Forschung tätig und obgleich das Fraunhofer FHR auch Projekte im Katastrophenschutz bearbeitet, so ist dies nicht mein hauptsächliches Aufgabengebiet."
Lass den Leser doch bitte mal über Deine Schulter schauen: Wie kann ich mir die Entwicklung eines Kartenspiel vorstellen?
"Zu einem guten Spiel gehören meiner Meinung nach unter anderem:
A) einfache Regeln, B) wenig Totzeit zwischen den Spielzügen, C) echte Entscheidungen, die man treffen muss, D) Interaktion zwischen den Spielern und zu guter Letzt E) keine Eliminierung von Spielern.
Mit diesen Leitlinien im Hinterkopf, habe ich begonnen das Spiel zu entwickeln. Da ich eine Liste von Fertigkeiten und die Katastrophennamen hatte, habe ich angefangen den Katastrophen sinnvoll die benötigten Fähigkeiten zur Abhandlung der jeweiligen Katastrophe zuzuordnen. Der erste Prototyp entstand so, dass ich Symbole aus der Schrift "Wingdings" genommen habe und die auf Papier gedruckt habe. Ich habe von alten Sammelkartenspielen noch viele Karten übrig und habe das bedruckte Papier zusammen mit den Sammelkarten in Kartenhüllen gesteckt, damit ich für die Testversion einen einheitlichen Kartenrücken hatte und die Karten auch eine gewissen Stabilität aufwiesen, was bei reinem Papier nicht der Fall gewesen wäre. Nachdem ich den Prototyp fertig hatte, wurde das Spiel von meinen Testern ausgiebig gespielt. In der ursprünglichen Fassung gab es einen festen Mix aus Katastrophen der sich jede Runde geändert hat, so dass die Katastrophen immer schwieriger wurden. In der Designphase wirkte das wie eine gute Idee, aber im Testspiel hat sich schnell herausgestellt, dass das nicht funktioniert. Zum einen hat der Aufbau mit genauer Konstruktion des Katastrophendecks viel zu lange gedauert im Vergleich zur jetzigen Fassung, bei der immer eine Mischung aus den 1,2,3 und 5 Siegpunkt Katastrophen ausliegt. Zum anderen waren auf der Hälfte des Spiels alle Teams mittellos – es kamen keine leichten Katastrophen mehr nach, um Geld zu verdienen, und für die schweren Missionen fehlte die Ausrüstung. Glücklicherweise betrug die Spieldauer mit 3 Spielern nur etwa 35 Minuten, so dass wir viele Testspiele durchführen und iterativ das Design verbessern konnten. Bei meinen anderen, unveröffentlichten Spielen, für die man zwei oder mehr Stunden braucht, fehlte diese schnelle Rückkopplung. Dementsprechend befinden sich diese Projekte noch im Design-Limbo. Nachdem das Spielkonzept dem Test standgehalten hat – es ist immer ein sehr gutes Zeichen, wenn das Spiel sogar den Leuten Spaß macht, die verloren haben – musste das Layout für das fertige Produkt gemacht werden. Zum Glück hat alles noch rechtzeitig zur Spielemesse geklappt, wobei ich im Nachhinein feststelle, dass man mit der Produktionsphase am besten schon Anfang Juli oder früher anfängt, um auf unvorhergesehene Widrigkeiten noch reagieren zu können."
Wie wird es mit dem Kartenspiel weitergehen? Wird es Erweiterungen geben? Oder ein aufgehübschtes Design?
"Ideen für eine Erweiterung habe ich zwar schon, allerdings sind die Verkaufszahlen noch so gering, dass sich eine Erweiterung noch nicht lohnen würde. Ich schließe aber nicht aus, dass es in Zukunft eine Erweiterung geben könnte. Ein aufgehübschtes Design wäre zwar schön, allerdings wird das nur kommen, wenn ein anderer Verlag das Katastrophenspiel neu auflegen wollte oder die Erstauflage ausverkauft wäre. Ich selbst halte es derzeit für sinnvoller an einem weiteren Spiel zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass dieses neue Spiel optisch noch ansprechender ist."
Wo kann man "Das Katastrophenspiel" mal kennenlernen? Bist Du auf Messen oder Cons unterwegs?
"Das Katastrophenspiel kann man am Donnerstag den 01.12.2016 ab 19 Uhr im Magestore (Link) in Düsseldorf (Graf-Adolf-Straße 41, 40210 Düsseldorf) bei einer dort stattfindenden Brettspielrunde ausprobieren. Ich werde nächstes Jahr auf der Spielemesse in Essen wieder einen Stand haben. Es könnte sein, dass ich auch auf anderen Messen, z.B. der RPC, bin. Das steht allerdings noch nicht abschliessend fest."
Und, da ich es noch nicht im regulären Spielwarenhandel gefunden habe, wo kann man es erwerben?
"Im Anschluss an die Demorunde im Magestore Düsseldorf am 01.12.2016 wird das Spiel dort erhältlich sein. Ansonsten führe ich derzeit Verhandlungen mit mehreren Geschäften in Düsseldorf, ob das Spiel auf Kommissionsbasis dort angeboten werden kann. Spielgut (Link), ein Geschäft in der Schweiz, verkauft meines Wissens ebenfalls "Das Katastrophenspiel", wobei es allerdings nicht im Webshop auftaucht."
Und damit kommen wir zur letzten Frage: Hast Du für andere angehende Spieleautoren ein paar Tipps & Tricks?
"Am wichtigsten ist es einfach anzufangen. Solange das Spiel nur eine Idee ist, kann man nicht wirklich beurteilen, ob es überhaupt Spaß macht. Man sollte sich eine Gruppe von Spieltestern suchen, die ehrlich sagen, wenn etwas nicht funktioniert. Allerdings geht es nicht nur um Beschwerden, sondern um konstruktive Kritik, warum etwas keinen Spaß macht und möglicherweise sogar was man ändern könnte. Das Testen des Spiels mit verschiedenen Spielerzahlen ist auch extrem wichtig, da manche Schwachstellen sich erst bei einer bestimmten Anzahl offenbaren. Zum Beispiel hat man anfangs bei "Das Katastrophenspiel" die abgehandelten Katastrophenkarten als Erinnerungsstütze behalten. Eine Partie mit fünf Leuten hat aber gezeigt, dass es bei so vielen Spielern zu wenige Katastrophenkarten gibt, so dass die Regel geändert wurde und die Katastrophenkarten immer wieder unter den Stapel gelegt werden. Eine kurze Spielzeit ermöglicht es das Spiel sehr oft zu testen und zwischen den Testspielen auch Änderungen einzubauen. Dementsprechend sollte man erstmal ein einfaches Spiel erfinden, statt sich direkt an Spielen mit einer hohen Komplexität zu versuchen. Das sind erstmal alle Tipps, die mir spontan einfallen. Ich hoffe dass das hilfreich war."
Ich danke Dir herzlich für das Interview und verweise gerne noch einmal auf die bilinguale Webseite (Link) des Spiels und auf den BGG-Eintrag (Link).
"Vielen Dank für das Gespräch und die vielen spannenden Fragen :-)"
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