Zum legendären Literatur-Detektiv Sherlock Holmes gibt es ja Unmengen an Geschichten, darunter auch in Form einer französischen Comic-Reihe. Im Original zweiteilig, bringt der renommierte „Splitter Verlag“ diese hierzulande unter seinem beliebten Label „Splitter Double“ als jeweils abgeschlossenen Sammelband heraus. Neben einem stets sehr gefälligen Inszenierungsstil zeichnen sich diese Comics auch durch teils ungewöhnliche Story-Ansätze und Figuren-Interpretationen aus, beispielsweise zuletzt beim Cthulhu-Crossover „Die Chroniken des Moriarty“ (Link), bei dem plötzlich Sherlocks Erzbösewicht zum (Super-)Helden wurde. Was für eine neue Rolle wird nun wohl Dr. Watson zugedacht? 1891 stürzt Sherlock Holmes beim Kampf mit Professor Moriarty am Reichenbachfall in den Tod. Doch eine Leiche wird nie gefunden, sodass sich sein treuer Biograf und Detektiv-Assistent Dr. Watson weiterhin große Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr macht. Aber Sherlock kommt nicht, und so steigert sich Dr. Watson immer mehr in seinen Wahn, dass eine Intrige Moriartys dahinterstecken muss. Und tatsächlich, rasch führen seine Ermittlungen zum Erfolg und er findet den Leichnam – Umringt von zahlreichen orientalischen Mystikern, die seine Seele gefangen halten. Beim Versuch, den toten Sherlock mit Gewalt zu befreien, wird dann auch Dr. Watson gefangengenommen. Aber anstatt ihn zu töten, haben sich Moriartys Schergen etwas viel Grausameres ausgedacht: Dr. Watson erwacht in einer afghanischen Leichenhöhle und muss sich dort seiner schlimmsten Schuld stellen... Oder ist alles eigentlich ganz anders? „Dr. Watson“ verfolgt prinzipiell einen sehr interessanten Story-Ansatz mit der Frage, wie sich der treue Assistent mit dem Tod seines besten Freundes Sherlock auseinandersetzen würde. Seine im ersten der beiden Teilbände gehegten Zweifel sind nachvollziehbar, die eigenmächtigen Ermittlungen (welche er genauso kreativ und deduktiv löst wie Sherlock höchstpersönlich) lesen sich spannend. Der erste Teil des Doppelbandes liest sich gut weg und macht richtig Lust auf den Abschluss der Geschichte – Glücklicherweise ist dies ein „Splitter Double“, denn im französischen Original mussten die LeserInnen gut drei Jahre darauf warten ;-) Der zweite Teil spielt dann in Afghanistan auf gleich zwei Zeitebenen: Einerseits versucht sich der entführte Dr. Watson aus der Leichenhöhle zu retten, andererseits wird er dabei immer wieder von Erinnerungen aus seiner Vergangenheit heimgesucht. Denn als junger Arzt war er schon einmal hier, um mit der britischen Kolonialarmee eher minder erfolgreich einheimische Rebellen niederzukämpfen (Die Geschichte wiederholt sich irgendwie immer wieder :-(). Dort wird er dem Aufklärungskommando eines gewissen Moriarty zugeteilt, den er im entscheidenden Moment im Stich lässt – Dr. Watson als Feigling und Moriarty als vorbildlichen Kameraden, da bekommen beinharte Sherlock-Fans sicherlich Herzrasen ;-) Die Geschichte wird dann letztendlich ein wenig konstruiert, aber in diesem fiktiven Universum doch irgendwie logisch aufgelöst – wie genau verrate ich natürlich nicht – nur um echten Sherlock-Fans nochmal einen richtigen Tiefschlag zu versetzen! Autor Stéphane Betbeder interpretiert die Beziehung von Sherlock Holmes und Dr. Watson so radikal um, dass einem der Mund offen stehen bleibt. Wären Sir Arthur Conan Doyles Detektivgeschichten eine Religion, dann wäre „Dr. Watson“ pure Blasphemie! Wie die anderen Comics dieser Reihe weiß „Dr. Watson“ mit seiner Präsentation sehr zu gefallen. Der Detailgrad und die Dynamik der Illustrationen passt, die Kolorierung auch – Gerade die London-Szenen im ersten Teil sind richtig atmosphärisch, dem entgegen wirkt Afghanistan recht trostlos (wie im echten Leben halt auch :-P). Wie immer gut ist die Druckqualität vom „Splitter Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte), sodass der Preis von 19,80 € für 96 Seiten im Hardcover in Ordnung geht. Fazit: „Dr. Watson“ (Link) reiht sich qualitativ nahtlos in die Reihe der anderen Sherlock Holmes-Comics ein :-)
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