Wer hätte das gedacht? Ich hab in der Literatur- & Comic-Sektion dieses Blogs ja nun schon mehrere Bücher vorgestellt, welche auch lesbische Liebesbeziehungen thematisierten. Und jedes Mal sparte ich nicht mit Kritik, war dies doch beispielsweise bei „Pathfinder #2“ nur ein durchschaubarer Eyecatcher und bei „Die Kinder der Kirschblüte“ unreflektierter Selbstzweck. Fast hatte ich also schon den Glauben daran verloren, mal in modernen Werke eine niveauvolle, klischeearme Liebesgeschichte (egal ob lesbisch oder nicht) lesen zu dürfen. Doch Überraschung, ausgerechnet der Auftakt der BDSM-Comicserie „Sonnenstein“ bietet genau das. Und dazu noch dezenten Humor und schöne Bilder.
Die Handlung ist dabei recht schnell erzählt: Lisa und Ally sind zwei einsame, heterosexuelle junge Frauen die sich über ein Internetportal für Freunde der härteren Gangart kennenlernen. Nach zwei Monaten erotischer Chats komm es zu einem Treffen, die beiden Protagonistinnen haben BDSM-Sex (übrigens eine anerkannte Krankheit mit Kennziffer ICD-10 F65.5 (Link) :-P) und verlieben sich langsam ineinander. Und das war es dann schon, Fortsetzung folgt… Also wirklich eine recht simple Geschichte, die vom Handlungsumfang die beiden Negativbeispiele der Einleitung nicht übersteigt. Was diesen Comic aber so großartig macht ist die behutsame, liebevolle Einführung und Entwicklung der Hauptfiguren. Denn die beschließen halt nicht einfach so von jetzt auf gleich, dass sie Lesben und BDSM-Fans sind. Nein, man kann die Entdeckung ihrer Neigungen, die Zweifel, die Angst, aber auch die Freude durch gut geschriebene Texte und treffend gezeichnete Mimik und Gestik nachempfinden.
Den dominanten Part in der Beziehung nimmt dabei die schon etwas erfahrenere Ally ein, die als einsame Software-Entwicklerin mit exzessiven Sexspielzeug-Kaufverhalten eine zwar glaubwürdige, aber im direkten Vergleich noch etwas langweilige Figur ist. Auf mich wirkte sie dabei psychisch ein wenig angeknackst, sodass ich hoffe dass sie in weiteren Ausgaben der Comic-Reihe noch deutlich tiefgründiger ausgearbeitet wird. Die ungleich spannendere Figur ist das "Mauerblümchen" Lisa, welche eigentlich nur mal ein wenig rumexperimentieren will und sich dann eingestehen muss, dass sie sich in Ally verliebt hat und hier ihre sexuellen Bedürfnisse erfüllt sieht. Zu dem Liebespaar gesellen sich noch zwei wichtige Nebencharaktere hinzu: Alan ist Allys Exfreund und Sexspielzeug/-kleidungsentwickler, der als bester Freund ein- und ausgeht. In der Figur sehe ich noch deutliches Potential, denn er scheint schon noch etwas Interesse behalten zu haben. Valerie dagegen bleibt als zickiges, prüdes Quotenblondchen noch ziemlich blass und dient bisher nur dazu, das Unverständnis der Gesellschaft bei sexuellen Abweichungen darzustellen. Was zugegeben eigentlich ein wichtiger Aspekt der Handlung ist, siehe dazu nachher noch weiter unten im Text.
Da Lisa noch recht unerfahren ist, hat das Buch zudem eine aufklärerische Komponente. Grundregeln (z.B. ein Safeword, hier übrigens der Buchtitel), Spielarten und vor allem auch Handlungsmotivationen werden fast schon beiläufig erklärt, sodass man auch als Laie gut einen Eindruck bekommt was die beiden da eigentlich genau machen. Da ich nun nicht der ultimative Experte auf diesem Gebiet bin, habe ich den Comic von einer BDSM-erfahreneren Freundin P. (die ihren vollen Namen aus Angst vor sozialer Ächtung hier in der bayrischen Provinz nicht genannt haben möchte – ganz so, wie es auch Lisa im Comic bei Valerie erlebt) lesen lassen. Sie fand die gesamte Geschichte sehr glaubwürdig und realistischer als die thematisch recht ähnlichen „50 Shades of Grey“-Romane.
Lobend erwähnen möchte ich auch noch die vielen humoristischen Stellen des Buches. Diese sind dabei in keinster Weise plump, sondern stets passend zumeist durch Situationskomik platziert. Außerdem loben möchte ich die Zeichnungen: Wie bereits erwähnt sind Mimik und Gestik gut gelungen, außerdem gefällt mir durchgehend die warme Farbwahl. Der Zeichenstil der Figuren mag manchen Lesern auf einem Teil der Bilder eventuell etwas detailarm erscheinen, aber das ist natürlich Geschmackssache. Die Darstellung von sexuellen Handlungen und nackten Körpern (wobei die gar nicht so oft nackt sind, weil sie so viel Latex tragen ;-)) ist dabei geschmackvoll und nicht sehr explizit. Ein großer Internetbuchhändler gibt als empfohlenes Mindestalter 16 – 17 Jahre an, das ist meiner Meinung nach so vollkommen in Ordnung.
Ebenfalls vollkommen in Ordnung ist die Verarbeitung, welche „Panini Comics“ (die mir dankenswerterweise diesen Comic als Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) vorlegt. Das Hardcover ist stabil, der Druck ist scharf und die generelle Haptik ist wundervoll, auch die Übersetzung und das Lektorat haben gut gearbeitet. Der Preis von 24,99 € für so ein doch eher Nischenprodukt ist durchaus gerechtfertigt. Noch dazu, wo die 132 Seiten neben der Handlung auch noch umfangreiches Bonusmaterial wie Konzeptzeichnungen, Alternativcover und Autoren-Monolog mitbringen.
Fazit: Wer hätte das gedacht? Da muss erst ein BDSM-Comic kommen, um zu zeigen dass man auch niveauvolle Lesben-Liebesgeschichten zeichnen kann. Ich war jedenfalls von der einfühlsamen Geschichte, dem Humor und natürlich den stilvollen Zeichnungen begeistert :-) Kaufempfehlung!
Aber ich bin auch nur ein Mann, daher hier ein zweites Fazit von meiner „Experten-Freundin“ P.: „Erstmal die Entwarnung: Auch wenn es beim ersten Durchblättern so aussieht, das ist kein Lesben-Porno sondern eine glaubwürdige SM-Geschichte. Die Liebesgeschichte ist ein wenig simpel, aber trotzdem nachvollziehbar und ja auch anregend. Kann man(n) sich kaufen.“
Und weil meine Freundin Nadine den Comic mittlerweile auch gelesen hat, hier sogar noch ein drittes Fazit: „Eine sehr schön gezeichnete, erregende Liebesgeschichte :-D Tatsächlich liebevoll und romantisch. Ich bin auf den zweiten Teil echt gespannt, wie es mit ihnen weitergeht! Ich finde es ist ein perfektes Valentinstaggeschenk für gelangweilte Pärchen ;-) :-D ;-) “
Wer sich von dem Buch nun genauso begeistern lassen will wie wir, kann sich auf der Verlagsseite (Link) weitere Informationen holen.