Bekanntermaßen bin ich ja eher ein Fan komplexerer Brett- und Kartenspiele. Da ist es umso verwunderlicher, dass ausgerechnet das simple Deduktionsspiel „Love Letter“ (Link) mit seinen insgesamt nur 16 Karten und kaum 5 Minuten Spielzeit je Runde zu meinen absoluten Kartenspielfavoriten gehört. Mittlerweile wurde das Spielprinzip in verschiedene andere Settings übertragen, dabei blieb der eigentliche Spielmechanismus aber weitestgehend gleich – Bis jetzt, denn „Lovecraft Letter“ fügt gleich 9 Karten hinzu und stellt die Spielbalance auf den Kopf! Ist das nun eine wahnsinnige Verschlimmbesserung oder eine sinnvolle Weiterentwicklung?
Gleich die erste Überraschung: Das an die mystischen Werke des berühmten Gruselliteraten angelehnte „Lovecraft Letter“ besitzt sogar so etwas wie eine kleine Story! In den goldenen 20ern ist ein entfernter Cousin in Ägypten auf irgendetwas Seltsames gestoßen. Lovecraft-typisch fällt dieser dem Wahnsinn anheim, sodass die SpielerInnen nun sein Werk vollenden müssen… Die Verbindung zum Spielmechanismus ist nun, dass die jeweilige Handkarte die aktuelle Spur darstellt und der Rundensieger eben jenen Verwandten gefunden hat… Okay, die Hintergrundgeschichte ist kaum mehr als ein Feigenblatt, welche das Vorhandensein von Mythos-Monstern anstatt der klassischen Liebesbrieffiguren rechtfertigt ;-) Das grundlegende Spielprinzip ist dabei gleich geblieben: Man hat eine Karte auf der Hand, zieht dann in seiner Runde eine weitere Karte und legt sogleich eine der beiden Karten ab, um deren Effekt abzuhandeln. Wer als letzter übrig bleibt gewinnt :-) Sind bei der kompletten Leerung des Zugstapels noch mehrere SpielerInnen dabei, gewinnt derjenige mit dem höchsten Kartenwert. So weit, so bekannt, so simpel, so genial :-D
Aber hey, dieses Kartenspiel spielt in einem Cthulhu-Setting, da geht es um übernatürliche alte Wesen und dem unausweichlichen Wahnsinn! Diesem Hintergrund zollt „Lovecraft Letter“ mit den neun neuen Wahnsinnskarten seinen Tribut. Diese haben einerseits die gleichen Fähigkeiten wie die altbekannten Karten, andererseits aber auch gleichwohl mächtige wie gefährliche Zusatzfunktionen. Dies wird spielmechanisch wie folgt abgehandelt: Liegt auf dem Ablagestapel des Spielers eine Wahnsinnskarte, kam er mit dem Mythos in Kontakt und gilt ab jetzt als wahnsinnig. Spielt er ab der folgenden Runde eine Wahnsinnskarte aus, darf er deren mächtige Aktion nutzen (z.B. einen beliebigen nicht-wahnsinnigen Spieler sofort ausscheiden lassen) oder die „normale“, also altbekannte Aktion. Allerdings ist der Mythos für den schwachen Geist der wahnsinnigen SpielerInnen gefährlich, daher wird ab der folgenden Runde stets eine Wahnsinnskontrolle fällig: Hierzu werden vom Zugstapel so viele Karten gezogen, wie man bereits an Wahnsinnskarten auf seinem Ablagestapel hat. Zieht man während der Kontrolle eine weitere Wahnsinnskarte, scheidet man sofort aus. Der siegreiche Spieler darf sich ein Geisteszustandtsplättchen als Siegpunkt nehmen. Grün, wenn er wahnsinnig ist, rot, wenn er stabil ist. Eine Spielpartie endet erfahrungsgemäß nach ca. 15 bis eher selten 30 Minuten, wenn ein Spieler entweder drei grüne oder zwei rote Siegpunkte besitzt. Durch das erfolgreiche Ausspielen der Cthulhu-Karte gewinnt man zudem sofort! Dann hat man seinen Cousin gerettet und ist der Held des Tages ;-)
Dieser Spielmechanismus ist stimmig, verfälscht das echte „Love Letter“-Spielprinzip aber doch merklich. Meine Testgruppe und ich hatten den Eindruck, als ginge das Spielgefühl gerade im fortgeschrittenen Spielverlauf eher weg von Deduktion & Bluff hin zum Glücksspiel. Spaß machte uns auch diese Variante, aber zugegebenermaßen sind wir irgendwann zum klassischen Spielprinzip gewechselt, indem wir einfach die neun Zusatzkarten außen vor ließen ;-) „Pegasus Spiele“ (welche mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zukommen ließen) präsentiert mit „Lovecraft Letter“ ein nettes kleines Kartenspiel, welches gerade durch seine stimmige Präsentation begeistert. Die Produktionsqualität (stabile Pappbox, 31 Karten, 18 Geisteszustandsplättchen und eine 16 Seiten starke Anleitung) ist auf gewohntem Niveau, sodass der Preis von 9,95 € vollkommen akzeptabel ist.
Fazit: „Lovecraft Letter“ (Link) ist ohne die Zusatzkarten die wohl atmosphärisch dichteste Variante des hervorragenden „Love Letter“-Kartenspiels. Mit den Zusatzkarten ändert sich das Spielgefühl merklich – Für mich persönlich war das zwar keine wahnsinnige Verschlimmbesserung, aber doch eher eine zwar sehr stimmige, aber nicht unbedingt notwendige Erweiterung. Das ist aber sicherlich Geschmackssache ;-) Da mit „Lovecraft Letter“ (Link) aber neben der wahnsinnigen auch die normale Variante gespielt werden kann, gibt es hierfür eine aufrichtige Kaufempfehlung!