Jetzt geht es mit großen Schritten auf Weihnachten zu. Übermorgen ist schon der 1. Advent und damit beginnt die besinnliche Vorweihnachtszeit. Da geht man doch gerne mal in sich und ist irgendwie auch empfänglicher für „alle haben sich lieb“-Realitätsfluchten – Nicht umsonst kommen jetzt die kitschigsten Filme ins Kino ;-) Und genau in diese Kerbe schlägt auch die Graphic Novel „Unterm Sternenzelt“ vom renommierten „Splitter Verlag“ – Ob die unfreiwillige Familienzusammenführung eines Obdachlosen und eines geistig Behinderten wohl mein Herz erwärmen wird? Jean-Pierre Rousseau, von seinen Freunden Amédée genannt, hat es nicht leicht: Nicht nur, dass er schon seit Jahrzehnten als Obdachloser unter der Brücke haust – Jetzt sollen er und seine Saufkumpanen auch noch von dort vertrieben werden, damit sich die Touristen nicht an dem Elend stören. Doch plötzlich scheint sich sein Schicksal doch noch zum Guten zu wenden: Seine Tante, die sich früher von ihm abgewendet hatte, ist gestorben und hinterlässt ihm ein kleines Häuschen. Ein Glücksfall, doch ist das Erbe an eine Bedingung geknüpft: Amédée muss die Vormundschaft für den am Down-Syndrom leidenden Nicolas übernehmen und sich um ihn kümmern. Kein leichtes Unterfangen, denn Nicolas ist zwar prinzipiell sehr pflegeleicht, hat aber eine ausgeprägte Fluchttendenz. Denn er ist ein riesiger Fan des ersten Kosmonauten Juri Gagarin, in dessen Fußstapfen er treten will... Es kommt also, wie es kommen muss: Nicolas verschwindet spurlos. Um das Haus nicht zu verlieren, machen sich Amédée und seine Freunde auf eine abenteuerliche Suche, bei welcher sie eher zufällig einem alles verändernden Familiengeheimnis auf die Spur kommen... „Unterm Sternenzelt“ ist so eine typisch französische „Feel good“-Komödie, die gar nicht groß verschweigt, dass die darauf abzielt die LeserInnen mit einer „alles wird gut“-Geschichte vor allem auf der emotionalen Schiene abzuholen. Die grundlegende Figurenkonstellation ist dabei altbekannt: Auf der einen Seite der verschrobene Erwachsene, der sich sowohl mit seiner bisherigen als nun auch neuen Situation schwer tut. Und auf der anderen Seite der naiv-herzensgute Schützling, der trotz aller Irrungen und Wirrungen eine emotionale Bindung aufbaut – Das hat schon beim Alpenmädchen Heidi und ihrem Großvater geklappt und funktioert auch bei „Unterm Sternenzelt“ :-) Wobei in dieser Graphic Novel aber weniger das emotionale Zueinanderfinden im Mittelpunkt steht als vielmehr (im 1. Kapitel) die anfängliche Überforderung Amédées mit seiner neuen familiären und wohnlichen Situation sowie (im 2. Kapitel) die spätere Suche nach dem entlaufenen Nicolas und der Aufdeckung des dunklen Familiengeheimnisses. Gerade das zweite Kapitel, welches im französischen Original dem Abschlussband der zweiteiligen Miniserie entspricht, unterhält dabei wirklich gut mit einer gekonnten Mischung aus leichtgängiger Komödie und seichtem Drama; wohingegen sich das erste Kapitel (also der erste Auftaktband im französischen Original) mit der Etablierung der mitunter sehr schrägen Figuren (Amédées bester Freund und dann auch Mitbewohnter ist ein durchgeknallter Voodoo-Christ-Juden-Moslem und all die anderen Obdachlosen stehen ihm bei der „Individualität“ in nichts nach ;-)) und ihrer sozialen und emotionalen Beziehungen untereinander ein wenig schwer tut. Dem entgegen ist dem Autor Aurélien Ducoudray die zwar nicht immer tiefgängige, aber stets nachvollziehbare Charakterisierung der Figuren gut gelungen. Gerade die Darstellung von Nicholas und seinem Down-Syndrom ist wirklich eindringlich, er wird niemals nur auf seine Andersartigkeit reduziert. Ebenso gut gelungen ist die grafische Umsetzung der Geschichte. Der bunte und detailreiche, comichafte Stil der Zeichnerin Anlor ist wirklich sehr gefällig. Gefällig ist da natürlich auch wieder die Druckqualität vom „Splitter Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte), welcher für ein 104 Seiten dickes Hardcover (inklusive ein paar Bonusseiten) akzeptable 22,80 € verlangt. Fazit: „Unterm Sternenzelt“ (Link) ist eine perfekt in die Vorweihnachtszeit passende, aber etwas seichte „Feel good“-Graphic Novel, welche dank ihres herzlichen Umgangs mit den Themen Obdachlosigkeit und Behinderung durchaus zu Gefallen weiß.
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