In all dem aktuellen Brimborium um die Gründung der „Liga Deutscher Helden“ vergisst manch einer, dass es schon sehr viel früher einen deutschen Superhelden gab: Captain Berlin, erfunden vom Autor & Regisseur Jörg Buttgereit, kämpft bereit seit 1982 (und seit 2013 als Comicheld) gegen Superschurken wie den Elefantenmensch, Cthulhu, Kim Jong-Il, Honecker und natürlich Hitler höchstselbst! Nachdem viele Einzelhefte vergriffen sind, veröffentlicht „Weissblech Comics“ nun den den ersten Sammelband, welcher die Geschichten der Hefte 1 – 4 erstmals in chronologischer Reihenfolge erzählt.
Captain Berlin, nur echt im gelben Spandex mit Berlin-Flagge als Umhang und knallrotem Schlüpper, ist eine Geheimentwicklung des Widerstands. 1944 wurde er als verbesserter Supermensch erschaffen um gegen Hitler zu kämpfen. Gleich sein erster Einsatz gegen den Diktator schlägt allerdings fehl, da er ihn zwar festnehmen kann, ihn damit jedoch unfreiwillig vor dem Stauffenberg-Attentat rettet. Hitler kann entkommen und schwört Rache: Mit Germanikus erschafft seine treue Dienerin Ilse von Blitzen einen eigenen Übermenschen, welcher nun seinerseits Jagd auf Captain Berlin macht... Im weiteren Verlauf der Geschichte erlebt Captain Berlin den Atombombenangriff auf Hiroshima mit (während er mechanische Ninjas verprügelt), wodurch er die seine Flugfähigkeiten erhält. Und die braucht er auch, muss er doch u.a. gegen Cthulhu und mutierte Riesenechsen antreten :-)
Der Kampf für das Gute und gegen Hitlers verbliebene Schergen zieht sich durch die Jahrzehnte bis hin in die Gegenwart. Immer wieder erlebt Captain Berlin dabei historische Ereignisse und Persönlichkeiten aus seiner ganz eigenen Perspektive. Das ist natürlich mega trashig (beispielsweise entspringt aus der Fukushima-Katastrophe ein mutiertes Kaiju), aber auch mega unterhaltsam. Jörg Buttgereit kommt aus der B-Movie-Szene der 80er Jahre und genau so fühlen sich die 132 Seiten dieses Sammelbandes an – Und das meine ich keinesfalls despektierlich, sondern als großes Lob :-)
Dadurch, dass die acht Geschichten in chronologischer Reihenfolge und zusammenhängend angeordnet sind, fällt aber auch die einzige echte Schwäche auf: Die Hauptfiguren, in diesem Sammelband primär die deutliche Superman-Persiflage Captain Berlin als Protagonist und die diabolische, aber erschreckenderweise auch irgendwie sexy Ilse von Blitzen als Antagonistin, sind wahnsinnig flach. Irgendwie fühlt es sich falsch an, ausgerechnet fehlende Charaktertiefe bei solch einem Trash-Comic zu kritisieren, aber ich hätte schon gern ein wenig mehr über beide erfahren ;-)
Mit fast jeder Geschichte wechseln die Zeichner und damit auch die Zeichenstile. Wie immer ist das natürlich Geschmackssache, teils wirken die Bilder dank der Kolorierung aber arg oldschool. Mit wenigen, großflächigen Farben erinnert man sich an die goldene oder silberne Zeit der Comichefte zurück – Hätte ich es nicht besser gewusst, ich hätte nicht geglaubt, dass die Comics weniger als ein halbes Jahrzehnt alt sind. Die altbackene Präsentation ist ein bewusstes Stilmittel, welches den Sammelband (natürlich zusammen mit dem ungewöhnlichen Protagonisten) gegenüber anderen Comics hervorhebt. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass eine moderne Präsentation (wie etwa auf dem gelungenen Titelbild) eine größere Leserschaft für „Weissblech Comics“ (welche mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) erschließen könnte. Parallel zu diesem Sammelband für 14,90 € (Link) ist auch das siebte Einzelheft (Link) erschienen. Mach weiter so, Captain Berlin!
Fazit: „Captain Berlin: Supersammelband #1“ (Link) ist ein echtes Kleinod deutscher Comic-Kunst: Mit einer mega trashigen Geschichten und einer bewusst altbackenen Präsentation ist dieser Sammelband keine bloße Superman-Persiflage, sondern ein gezeichnetes 80er-Jahre-B-Movie-Feuerwerk :-)