„Die DORP“ (Link) sind ja schon seit vielen, vielen Jahren eine feste Institution in der Rollenspielszene. Neben ihrem großartigen Podcast und kreativen Ergüssen (Rezensionen, Spielmaterial, Event-Videos) fungieren sie mittlerweile auch als Publisher für kleine, aber sehr feine Rollenspiele. Die „1W6 Freunde“ (Link) sind das vielleicht bekannteste Beispiel, aber auch das aus einem 24h-Kreativwettbewerb heraus entstandene Indie-Fun-RPG „Schrecken aus der Tiefe“ (Link) hat eine gewisse Popularität erreicht. Und zwar eine so große, dass nun die erweiterte, dritte Edition erschienen ist. Als Fan kleiner, feiner Indie-Produkte musste ich mir das Regelbüchlein gleich mal zulegen ;-)
Das zum Zeitpunkt der Entstehung (2005) mit einem Preis für den innovativsten Hintergrund prämierte Rollenspiel handelt grob gesagt von mutierten Meeresmonstern, die tun, was mutierte Meeresmonster halt so tun ;-) Beispielsweise streben hyperintelligente Quallen im Taucheranzug recht subtil die Weltherrschaft an, während riesige Godzilla-Echsen einfach mal alles platt trampeln. Dabei sind sie im Grunde bloß arg missverstandene Wesen, verteidigen sie sich doch einfach nur gegen die umweltzerstörende, hochtechnisiert die Tiefsee besiedelnde Menschheit. Mehr gibt es zum Setting eigentlich nicht zu sagen, das Regelwerk gibt nur einen recht groben Rahmen vor, den man als Spielleiter dann mit eigenen Ideen füllen kann. Aber zugegeben, so wirklich mehr Spielwelthintergrund braucht man eigentlich auch gar nicht, da das System zum einen gezielt auf kurze Spielrunden hin konzipiert wurde (nach zwei Stunden Realzeit ist das Spiel vorbei) und vom Realismus-Level noch nah genug unserer Gegenwart ist, sodass man sich rasch in dem Setting zurechtfindet (das Regelwerk selbst referenziert hier auf die betagte Unterwasser-SciFi-Serie „seaQuest DSV“).
Ein Rollenspiel, welches auf zwei Stunden Realzeit ausgelegt, darf sich natürlich nicht groß mit Regeln aufhalten. „Schrecken aus der Tiefe“ ist ein sehr erzählorientiertes System, welches den Spielleiter mehr zu einer Art Schiedsrichter macht. Die Spieler erzählen, was ihre Charaktere für Aktionen versuchen, und der Spielleiter entscheidet dann anhand der Charaktereigenschaften der Figuren sowie anhand des gesunden Menschenverstandes ob der Versuch ihnen gelingt, ob er ihnen misslingt oder ob die Chance eher 50:50 ist. Ist dies der Fall, wird mit einer simplen W6-Probe (man könnte auch eine Münze werfen, da 50:50) das Resultat ermittelt. Dabei gilt die erzählungsfördernde Regel, dass sich der Spielleiter im Zweifel immer für das bessere Ergebnis entscheiden muss: Dies bedeutet, wenn er sich nicht sicher ist ob eine Aktion sicher gelingt oder die Chancen eher 50:50 stehen (also ob eine Probe angebracht ist), dann gilt die Aktion als sicher gelungen. Daher, wenn er zwischen misslungen und 50:50 schwankt, dann muss der sich für die Probe entscheiden. Tja, und das war es eigentlich auch schon mit den Regeln!
Ebenso simpel ist auch die Charaktererschaffung: Anstatt feste Werte zu verteilen geben die Spieler ihren Figuren nur rudimentäre Angaben. Zu Beginn wählt man frei die Bezeichnung sowie die körperlichen Eigenschaften. Dann wählt man fünf passende Stärken und drei Schwächen, welche den persönlichen Spielstil ebenso beeinflussen wie die Entscheidung des Spielleiters, ob Aktionen gelingen (z.B. jemand mit der Stärke „Zwei schnelle, muskulöse Beine“ kann vermutlich sehr viel einfacher eine Verfolgungsjagd gewinnen als jemand mit der Schwäche „Muss humpeln, da nur ein Bein übrig“). Zudem muss man noch charakterliche Merkmale festlegen, welche das Verhalten der Spielfigur beschreiben. Und das war es dann auch schon wieder – Statt eines überkomplexen Charakterbogens reicht hier eine Notizzettel vollkommen aus.
Die 2017er Edition enthält neben neuen, gelungenen Illustrationen und einem neuen Layout auch vier Beispielszenarien über den heroischen Kampf der MVA (Meeres-Volks-Armee), welche man zu einer kleinen Kampagne (allerdings mit verschiedenen Charakteren, da manche Missionen eher für kleine, schleichende Quallen, andere dagegen für angriffslustige Riesenechsen gedacht sind) verbinden kann. Jedes der vier Szenarien enthält eine Seite mit Infos & Fluff-Texten, immerhin drei enthalten auch noch eine ganzseitige Karte des jeweiligen Einsatzortes. Die Abenteuerausarbeitung ist also eher grob, für eine so kurze Spielzeit und improvisationsfreudige Spiel(leit)er geht das aber vollkommen in Ordnung. Ebenfalls vollkommen in Ordnung – welch großartige Überleitung, mal so nebenbei bemerkt :-P – gehen neben den eigentlichen Texten an sich sowohl der PoD-Druck als auch Lektorat & Layout. Der Preis von 7 € für die Druckversion geht, na ratet mal, auch vollkommen in Ordnung. Die PDF ist sogar kostenlos – Also keine Ausrede, schaut Euch das Spiel mal an :-D
Fazit: Die 2017er Version von „Schrecken aus der Tiefe“ (Link) ist ein kleines, feines Indie-Erzählspiel. Mit einer Prise Humor und einem, trotz der Simplizität, überraschend gut funktionierendem Regelsystem sorgt es für tolle, maximal zweistündige Abenteuer :-)