Der „Splitter Verlag“ hat sich wieder mal was getraut: Eine Kurzgeschichte über Straßenkinder und Künstler, die 1905 in ärmlichen Verhältnissen vor den Toren der französischen Hauptstadt Paris leben, wurde als großformatiges Hardcover auf den deutschen Markt gebracht. Da stellen sich mir natürlich gleich zwei Fragen: „Wer soll sowas eigentlich lesen?“ und „Lohnt es sich denn zu lesen?“ :-)
Bevor ich diese beiden Fragen beantworte, erstmal die Frage „Worum geht es überhaupt?“ ;-) Natürlich um die namensgebenden Straßenkinder von Montmartre, einem 1905 noch recht ärmlichen Quartier am Rande der Stadt. Die eher noch kindlichen Protagonisten Paulo, Pik-As, Strippe und Däumling sowie die Jugendliche Manon versuchen der Armut durch die Aufzucht von Fröschen zu entrinnen. Zu allem Unglück soll ihr Zuchtgebiet rund um den Froschteich bebaut werden (auch 1905 gab es schon Gentrifizierung :-P), wogegen sie sich mit dem Mut der Verzweiflung (und Streichen und Zwillen) wehren. Am Anfang scheinen sie damit auch Erfolg zu haben, ihnen gelingt es gar den Sohn des Bauunternehmers – Hauptfigur Jean – zu entführen. Wobei, eigentlich ist Jean ganz froh von der Kinderbande mitgenommen zu werden, kann er so doch der Tyrannei des egoistischen Vaters entfliehen. Außerdem kommt er hier in Kontakt mit den Künstlern des Viertels, was ihn in seinem Berufswunsch, Maler zu werden, bestärkt. Für die „Entführer“ ist er zu Beginn jedoch nur Mittel zum Zweck, um an Lösegeld zu gelangen und ihren Froschteich zu verteidigen. Erst langsam entwickelt sich eine Freundschaft…
Die Geschichte ist in ihrem Verlauf durchaus vorhersehbar (ehrlich, wer hat nach der Hälfte meiner Inhaltsangabe noch nicht gewusst, dass die Kinder Freunde werden?), lediglich die Auflösung – also nicht ob, sondern wie die Kinderbande den Teich rettet – überrascht dann doch ein wenig. Auch die handelnden Figuren bleiben ziemlich blass: Jean ist der zarte, unverstandene Künstler, dessen Vater ein ebenso skrupelloser wie egoistischer Choleriker. Von den titelgebenden Straßenkindern erfährt man, außer dass sie arm sind und gewalttätige Elternhäuser haben, eigentlich gar nichts (was macht die ältere Manon eigentlich bei diesen Jungs?) und so bleiben diese Charaktere auch austauschbar. So fällt es auch zu Beginn recht schwer, echte Sympathie für diese Protagonisten zu empfinden, gerade wenn sie ihre „Geisel“ Jean massiv bedrohen oder gar gewalttätig werden. Dabei irritiert zudem die Positionierung des französischen Künstlers Patrick Prugne, der das Leben und das Verhalten dieser Kinderbande stark romantisiert und mich zu der Frage bringt, welche Botschaft diese Geschichte haben soll? Der Zweck heiligt die Mittel? Das Leben ist ein Kreislauf? Am Ende ist eh alles zwecklos?
Die Frage kann ich nicht beantworten, wohl aber die in der Einleitung gestellte Frage „Wer soll sowas eigentlich lesen?“ ;-) Ideal ist dieser Comic für anspruchsvolle Leser, die ein bisher eher unbeachtetes Thema für sich entdecken mögen. Vor Allem aber werden mit „Die Straßenkinder von Montmartre“ diejenigen Leser glücklich, welche sich an wirklich prachtvollen Zeichnungen erfreuen. Denn der Zeichen- beziehungsweise eher Malstil von Patrick Prugne mit seinen in warme Farben getauchten Aquarellen ist eine echte Augenweide! Atmosphäre pur, fast möchte man einen romantischen Spaziergang durch das Armutsviertel unternehmen :-D
Die mit rund 50 Seiten recht kurze Geschichte wird zudem durch nochmal knapp 30 Seiten Skizzen und Notizen ergänzt. Dieses Bonusmaterial wertet den insgesamt 80seitigen Comic nochmal auf, der auch so schon durch die hervorragende Druckqualität (welche die Zeichnungen hervorragend zur Geltung bringt) des „Splitter Verlags“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) jeden Cent des 17,80 € teuren Hardcovers wert ist.
Fazit: In der Einleitung fragte ich „Lohnt es sich denn zu lesen?“ und ich kann die Frage mit einem „Ja, aber…“ beantworten. Ja, „Die Straßenkinder von Montmartre“ (Link) lohnt sich zu lesen, aber man muss sich bewusst sein dass sich der Lesegenuss primär aus der großartigen Malerei und Atmosphäre des Comics zieht. Die vorhersehbare Handlung mit ihren blassen Charakteren rückt hier in den Hintergrund. Freunden optisch ansprechender Comic-Kunst kann ich diesen atmosphärischen Ausflug ins Armutsviertel jedoch aufrichtig ans Herz legen!