Uli Oesterle konnte mit seinen ernsthaften Comics, welche gelegentlich weit abseits des Mainstreams zu verorten sind, schon einige Leser und auch Kritiker begeistern. Sein preisgekröntes Werk „Schläfenlappenphantasien“, damals noch als schwarz-weißes Softcover von „Zwerchfell“ veröffentlicht, wurde 2000 gar für den renommierten „Max und Moritz“-Preis nominiert. „Carlsen Comics“ würdigt sieben seiner Klassiker zusammen mit einer neuen Geschichte im Hardcover-Band „Kopfsachen“. Dabei beschränkt man sich hier nicht auf schnöde Reprints, sondern verbessert die Geschichten noch mit neuer Kolorierung und leicht veränderten Texten. Wie der Name des Buches „Kopfsachen“ schon andeutet, beschäftigen sich die acht grafischen Erzählungen des Buches mit psychologischen Problemen aller Art:
- Grandios startet der Band mit Hector Umbra: Getrennte Wege, einer kleinen Fortsetzung von Oesterles populärem Comic „Hector Umbra“. Der trinkfeste und kettenrauchende Protagonist besitzt die Fähigkeit, die Wahnvorstellungen anderer Leute zu sehen – Und sie auszulöschen! Eigentlich hat er den Job zwar aufgegeben, doch als sich eine verzweifelte junge Frau an ihn wendet, rafft er sich nochmal auf. Nur um viel zu spät zu bemerken, dass wohl nicht alles so ist, wie er dachte... Die erste und zugleich neuste Geschichte dieses Buches ist auch zugleich das Highlight. Sie ist trotz ihrer Kürze mit einem spannenden, wenn auch etwas vorhersehbaren Twist wirklich unterhaltsam. Zudem kann man hier schön sehen, wie weit sich der Künstler zeichnerisch weiterentwickelt hat im Vergleich zu seinen teils fast zwanzig Jahre älteren Werken, die nun folgen werden :-) - Stark geht es auch in Forever weiter, bei dem man den sozialen Abstieg von Anton, einem wirklich schlechten Menschen, beobachten kann. Der hat einen chinesischen Tätowierer geprellt und dann auch noch anfahren lassen, woraufhin dieser ihn verflucht. Und der Fluch lässt ihn immer mehr zum Außenseiter und Geächteten werden, als sich die Tätowierung immer weiter ausbreitet... - Anschließend folgen Die süßen Erinnerungen des Otto Mallorca. Dieses Frühwerk lässt sich ganz kurz zusammenfassen: So süß sind die Erinnerungen von Otto Mallorca gar nicht, denn er ist ein wahnsinniger Massenmörder... Selten habe ich eine so verstörende Geschichte gelesen, auch wenn ich schon zu verstehen glaube, was der Autor damit ausdrücken möchte. Letztendlich überwiegt bei mir aber die Abscheu, sodass sie für mich der einzige echte Schwachpunkt des Buches ist. - Nach dem Tiefpunkt geht’s wieder bergauf: Gerade mal Vier Minuten sechsundvierzig braucht die imaginäre Vorstellung des Sängers Tom Waits, um den für einen Vertreter von Hundehaarbürsten verlassenen Tiberius wieder moralisch aufzupäppeln. Das ist inhaltlich nicht spektakulär, aber sehr cool inszeniert. - Ein wenig ins mysteriöse rutscht der Sammelband dann mit Gib ab, in der die angeblich erfundene (und dann vielleicht doch nicht?) Lebensgeschichte der Verbrecherlegende Stiller Chet erzählt wird, der mit finsteren Mächten paktiert. - Ein wenig wie ein Lückenfüller wirkt die kürzeste Geschichte Der Unsichtbare über einen Mann, der von niemandem wahrgenommen wird. Nicht schlecht, aber im Vergleich zu den meisten anderen Geschichten dieses Buches sehr schwach. - Dafür folgt jetzt gleich noch ein Highlight: Kopfschmerzen handelt von einem Durchschnittsmann, bei dem plötzlich eine (Verfolgungs-)Wahnvorstellung in Form eines kleinen Kobolds vor der Tür steht. Dieser macht ihm das Leben zur Hölle, aber als er versucht dagegen anzukämpfen, bringt dieser auch noch seine Freunde mit... Eine wirklich gute Geschichte darüber, wie Wahnvorstellungen das Leben erschweren. - Zum Schluss folgt noch eine leicht überarbeitete Neuauflage des Klassikers Frass. Hier geht es um den Top-Gourmet Serafin Brûte II., für den gutes Essen der reine Lebensinhalt ist und welcher so eine Art Geschmacksfetisch entwickelt hat – Was ihn, nachdem er plötzlich nichts mehr schmeckt, in eine tiefe Krise stürzt. Seine Lösungsversuche nehmen daraufhin immer extremere Formen an... Eine gleichsam faszinierende wie auch eklige Geschichte. Irgendwie der perfekte Schlusspunkt für dieses Buch ;-)
Insgesamt haben mir also dreiviertel aller Geschichten gut bis sehr gut gefallen – Welche, da die Geschichten ja unterschiedlich lang sind, gut sieben Achtel des 176 Seiten starken Hardcovers ausmachen. Dieses besitzt eine ganz hervorragende Haptik, welche den Lesegenuss nochmal deutlich aufwertet. Da hat „Carlsen Comics“ (welche mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) wirklich sehr gute Druckqualität geliefert, sodass der Preis von 16,99 € vollkommen in Ordnung geht. Fazit: Uli Oesterles „Kopfsachen“ (Link) ist eine lesenswerte Zusammenstellung seiner düsteren Werke, welche sich teils an sehr schwierige Themen heranwagen. Ein wirklich guter Sammelband, für welchen man sich aber die Zeit zum Nachdenken und Interpretieren nehmen muss.
Tags