Begleitende Prosa zu Spielen ist ja gerade bei Videogames und Tabletops, mittlerweile aber auch bei Brettspielen, gang und gäbe. Meist wird darin die Hauptfigur oder die Spielwelt vertieft und mit Leben gefüllt – Was sich hier im vorliegenden Fall wohl schwierig gestalten könnte, ist „Mit Essen Spiel Man: Baudelaire der Spitzenkoch“ doch der begleitende Roman zur ebenso spaßigen wie lehrreichen, aber zugegeben eher simplen Kartenspielsammlung „Jeu-d'œuvre“ (Rezension (Link) gestern). Hier geht Autor Stephan C. Daniel den umgekehrten Weg: Anstatt die (nicht vorhandene) Spielwelt oder Hauptfigur zu vertiefen, beschreibt er in seinem humoristischen Werk stattdessen die Erfindung eben jener Kartenspielsammlung durch den sich dabei selbst findenden Baudelaire.
Der Protagonist ist ein mit Sternen ausgezeichneter Spitzenkoch, welcher trotz seines beruflichen Erfolges in eine Sinnkrise rutscht: Immer wieder hat er nörgelnde, notorisch unzufriedene Gäste. Da sich zudem mit seiner ebenfalls beruflich sehr erfolgreichen Freundin Fleur eine Beziehungskrise anbahnt, unternimmt er mehrere Reisen, um dabei ein bahnbrechendes neues Gastronomiekonzept und letztendlich als Nebenprodukt dessen auch das „Jeu-d'œuvre“-Kartenspiel (Link) zu entwickeln. Durch verschiedene Begegnungen (beispielsweise auf einer Gastro-Fachmesse, bei einem Sprachkurs und in Urlauben) kommt er nicht nur mit seinem wirklich interessanten Konzept weiter, sondern richtet auch sein Privatleben neu aus.
Spitzenkoch Baudelaire, dessen Lieblingsausruf offensichtlich „Halte ein!“ zu sein scheint und der vom Autor gern als "Bursche" bezeichnet wird, ist die Hauptfigur dieses 32 Kapitel umfassenden Romans. Er wird im Verlauf der Geschichte – im Gegensatz zu den Nebenfiguren – durchaus umfangreich charakterisiert, schafft es dabei aber nicht vollumfänglich die Sympathien des Lesers zu gewinnen. Dazu wurde der Protagonist vom Autor leider viel zu perfekt angelegt, er ist sozusagen der Übermann: Lifestyle- & gesundheitsbewusst, attraktiv, klug, sportlich, charmant und super tanzend. Dazu ist er eine echte Liebesmaschine, was im Romanverlauf – der überaus spitze Spitzenkoch betrügt seine Freundin mehrmals – als Schritt zur Selbstfindung verklärt wird. Das hat für mich persönlich ein kleines Geschmäckle, genauso wie einige chauvinistische, teils an der Grenze zum Sexismus kratzende Aussagen, von denen nicht immer klar ist, ob diese die Meinung vom „Protagonist“ Baudelaire, vom auktorialen Erzähler oder gar vom Autor sind. Dazu passt, dass besonders auch die weiblichen Charaktere mitunter auf ihr Äußeres reduziert werden. Des Weiteren zeigt er, wenn auch selten, charakterliche Inkonsistenzen; zumeist in Form eines flotten Spruchs, der vom Autor von seiner Funktion her vermutlich humoristisch gedacht ist. Vielleicht nicht gelacht, aber zumindest geschmunzelt habe ich bei der Lektüre dann jedoch auch tatsächlich – Wenn auch nicht so häufig, wie man es bei einer (sich selbst als solche bezeichnenden) „Ernährungskomödie“ erwarten würde.
Der Ernährungsteil des Buches ist Stephan C. Daniel dafür umso besser gelungen. Immer wieder streut er in die Geschichte wirklich sehr interessante Informationen zu diesem Thema ein, man saugt sozusagen nebenbei das Wissen auf – Quasi genauso wie beim Spielen von „Jeu-d'œuvre“. Dessen Entwicklungen und die damit einhergehenden Gedankengänge von Spielerfinder Baudelaire sind glaubwürdig beschrieben. Die (leider entweder gar nicht oder sehr fahrlässig lektorierten) Texte sind generell sehr „sprachlich“, daher man hat tatsächlich das Gefühl als würde der auktoriale Erzähler diese Geschichte erzählen. Dabei musste ich mich aber erst einmal daran gewöhnen, dass damit auch größere Zeitsprünge zum besseren Verständnis der Handlung einhergingen, aber irgendwann kam ich damit ganz gut zurecht. Gewöhnen musste ich mich auch an den gerade in der ersten Hälfte etwas zu geruhsamen Handlungsverlauf, welcher auf dem beruflichen Erzählzweig vorhersehbar in Richtung Erfolg zusteuert, auf dem privat-emotionalem Erzählzweig aber nach einigen Aufs & Abs (zugegeben, das ganze Fremdgehen ist schon interessant :-)) doch überraschend unspektakulär aufgelöst wird.
Wie auch das Spiel macht das 304-seitige Taschenbuch optisch eine Menge her. Das Aquarell-Cover ist schön designt, bei der Druckqualität gibt es auch nichts zu meckern. Und die im Innenteil verstreuten neun Aquarelle sehen wirklich schön aus :-) Daher ist der Preis von 14,90 € für einen Selbstverlag (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) akzeptabel.
Fazit: Wer schon ein paar meiner Buchkritiken gelesen hat – und erfahrungsgemäß gibt es in dieser Kategorie die meisten Stammleser des Blogs – kennt vielleicht den von mir sehr gern genutzten Ausdruck „typischer 3,5er“. Das ist ein eigentlich gutes Werk, welches zwar einige Kritikpunkte hat, im Endeffekt aber für Genre-Fans durchaus empfehlenswert ist. „Baudelaire der Spitzenkoch: Mit Essen Spielt Man“ (Link) wäre eigentlich genau so ein typischer 3,5er! Aber leider hätte diese Ernährungskomödie so dringend ein Lektorat benötigt, dass ich mich für diese Auflage gezwungen sehe um 0,3 Sternchen abzuwerten – und es tut mir ob der Wichtigkeit des Themas Ernährung in der Seele weh – sodass am Ende aber noch immer durchaus ordentliche 64 % beziehungsweise 3,2 / 5 Sternchen eines großkapitalistischen Buchhändlers bleiben.