Und gleich noch ein Interview mit einem (Spiele-)Autor, den ich auf der diesjährigen SPIEL kennengelernt habe: Stephan Daniel entwickelte die "jeu-d''œuvre"-Kartenspielebox sowie den begleitenden, humoristischen Roman "Mit Essen Spielt Man! Baudelaire der Spitzenkoch". In dem umfangreichen Interview spricht er dabei nicht nur über seine Werke, sondern philosophiert über einordnende Genre-Begrifflichkeiten und meine Altersdiskriminierung ;-) Absolut lesenswert! Zu allererst, stell Dich doch bitte den Lesern vor :-)
"Hallo Philipp, danke daß Du Dir die Zeit genommen hast, Dich mit meinen beiden Werken zu beschäftigen. Was wollen Deine Leser denn konkret über mich wissen? Ich bin Stephan, nach meiner Gesellenprüfung studierte ich Volkswirtschaft in Marburg, dort bin ich geboren und aufgewachsen. Parallel zum Studium hatte ich mich mit einem Werbe- und Webdesign-Büro selbstständig gemacht. Schließlich bin dann nach München gezogen, wo ich u. a. auch als Ausbilder für Mediengestalter aktiv war. Inzwischen lebe ich allerdings in Piding. Piding ist zwar nur 20 Fahrradminuten von der Salzburger Innenstadt entfernt, liegt jedoch in Deutschland. Hier kannst Du in der Mittagspause mal eben tausend Höhenmeter den Berg rauf wandern oder gelegentlich wunderschöne Radtouren unternehmen. Es soll ja bekanntlich Leute geben, die hier in der Region ihre Ferien verbringen. Sehr empfehlenswert!"
Wie und warum wurdest Du Autor und Spiele-Erfinder?
"Zunächst würde ich beinahe sagen, daß ich gar kein neues Spiel „erfunden“ habe. Ich habe höchstens eines optimiert, indem ich, nachdem ich es auf mein Thema angepasst habe, einfach die Regeln erweitert hatte. Dabei kam ich übrigens zu einer spannenden Erkenntnis - doch dazu später mehr. Wie gerade erwähnt, bin ich Geselle und komme daher ursprünglich aus dem Handwerk. Also generell einer Berufsgattung, in der man Dinge von vorne bis hinten gestaltet, plant, baut … - genauer gesagt komme ich, familiär bedingt, aus der Modebranche und bin Damen-Maßschneider, jedoch nur für Damen (bitte nicht verwechseln mit Änderungsschneider!). Den Beruf knapp beschrieben: Als Damenschneider fertigst Du Unikate an und wenn alles gut läuft machst´ Frauen glücklich. Du nimmst Maß, skizzierst Figurinen, zeichnest und berechnest Schnitte, berätst zu Schnitt und Figur, hast Ahnung von Stoffen, schneidest zu, machst Anproben, nähst und bügelst. Alles in allem ein höchst abwechslungsreicher und spannender Job, nur leider kann man damit in Deutschland keinen Blumentopf mehr gewinnen. Darum knüpfte ich mit dem VWL-Studium an, wobei mir allerdings der BWL-Part deutlich mehr Spaß gemacht hatte. Von VWL ist allerdings eine ganze Menge hängen geblieben; nämlich meine makromäßige Sichtweise auf die Dinge. Nun bist Du als Werbe- und Webdesigner wesentlich weiter weg vom Kunden. Ein auf Dauer unbefriedigendes Gefühl. Vor etwa zwei oder drei Jahren war ich deshalb an einem Punkt, an dem ich nach einer Veränderung für meine beruflichen Abläufe geschaut hatte. Das war für mich schlussendlich die Motivation, wieder mal ein Produkt zu fertigen. Zum Schluß etwas in den Händen halten und sagen zu können: Ist von mir. Das macht mich stolz :-) "
Fangen wir mal mit dem Thema an, was wohl mehr meiner Leser interessiert: "jeu-d''œuvre" ist ein kartenbasiertes Bildungsspiel. Worum geht es dabei und wie funktioniert die Spielmechanik?
"Spannende Frage. „jeu-d''œuvre“ ist lediglich der Sammelbegriff für alle Spiele, die Du mit den enthaltenen Karten spielen kannst. „jeu-d''œuvre“ ist deshalb die Bezeichnung für eine Produktlinie. Auch alle Spiele, welche ich noch entwickeln werde. Dazu werde auch Brettspiele zählen, die ich noch entwickeln werde und die mit Essen zu tun haben - nur möchte ich an dieser Stelle noch nicht zu viel verraten. Die Spielmechanik, und jetzt komme ich auf meine spannende Erkenntnis von vorhin zurück: Die Mechanik ist nicht neu und das war auch gar nicht meine Absicht. Denn bei diesem Projekt stand für mich einzig eine Sache im Fokus: Die Spieler sollen die Regeln möglichst schnell verstehen und umsetzen können. Warum also das Rad neu erfinden? Leider möchte ich Dir widersprechen Philipp: „jeu-d''œuvre“ ist in meinen Augen weder ein Bildungs- noch ein Lernspiel. Zumindest richte ich mich mit meinem Angebot an eine Zielgruppe, die Lust hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen und nicht an Leute, die ich dazu erst überreden müsste. Das ist nicht meine Aufgabe; jeder ist eingeladen, sich selbst davon zu überzeugen. Ich möchte Dir dies gerne kurz an Hand der verschiedenen Spiele-Ideen etwas detaillierter erörtern. Zuvor sollten wir uns jedoch auf die Metaebene begeben und uns einig darüber werden, dass, von allen Seiten betrachtet, A) entweder jedes Spiel der Welt ein Lernspiel ist, oder B) jedes Spiel der Welt kein Lernspiel sein kann. Selbst ein Ballerspiel ist am Ende des Tages ein Lernspiel, weil Du damit die Fertigkeiten des Ballerns, Taktik usw. nicht nur erlernen, sondern auch trainieren kannst. Und hier kommt mein Punkt: Jedes Spiel ist nur immer genau dann ein Lernspiel, wenn der Spieler sich mit der transportieren Thematik beschäftigen „soll“ oder „muss“. Also alles nur eine Frage der Sichtweise - Zurück zur Spielmechanik: Bei allen Spielideen bzw. „Varianten“ schlüpfen die Spieler in die Rolle eines „Sportlers“ und jede einzelne Runde in einem Spiel ist immer eine Trainingseinheit. Der jeweilige Gewinner wird Spitzensportler. Die Kartenspiele werden von 2-5 Spielern gespielt (ab 10 Jahre, kurzweilig von 15 bis 45 Min). Beide Kartendecks enthalten die gleichen Lebensmittel, jedoch unterschiedliche Angaben dazu. Wichtig für die Taktik: 2/3 der Lebensmittel sind pflanzlich und 1/3 tierischer Natur. „Nahrtett“ baut auf dem „Quartett“ auf. Kurz: Du sammelst Nahrung. Doch Quartett ist kein Bildungsspiel! „Nutzen-Vergleich“ und „Preis-Leistungs-Vergleich“ bauen auf dem „Trumpf“-Spiel auf, warten allerdings mit ein paar Verfeinerungen auf. Denn ohne einen Bedingungssatz ist es unlogisch die Karte auszuspielen. Auch Trumpf ist kein Bildungsspiel! Und „Protein-Poker“ baut auf … genau „Poker“ auf. Du wirst es sicher erraten: Ja, Poker ist ebenfalls kein Bildungsspiel. Das ist mir wirklich wichtig: Nach drei Jahrzehnten Grünen-Politik, sollten wir „Auto-Trumpf-Spiele“ auch lieber mit Bedingungssatz spielen; würde meiner Ansicht nach mehr Sinn ergeben, wenn wir sagen: „Weil ich eine Porsche-Karte habe, fahre ich heute ein Beschleunigungsrennen und verheize ordentlich Sprit. 345 PS, wer hat mehr?“. Oder: „Weil ich eine Polo-Karte habe, fahre ich heute eine weite Strecke mit minimalem Verbrauch. 1 Liter/100 km, wer hat weniger?“. Frage an Deine Leser: Seid ihr der Meinung, dass es sich dann um Bildungsspiel handelt? Ich denke nein, denn nur wer sich für Autos begeistert, spielt Auto-"Trumpf". Und mit Poker kannst Du Kopfrechnen lernen, mit "Trumpf" lernst Du Bedingungssätze und mit Quartett feilst Du an Deinem Orientierungssinn und wo weiter. Es geht mir um das „Spiel nebenbei“, rein um den Zeitvertreib. Dieser Punkt ist mir äußerst wichtig. Hätte ich gewollt, daß „jeu-d''œuvre“ als Lernspiel durchgeht, hätte es außerdem eine ISBN-Nummer bekommen können; so wie ein Buch. Dazu sollte ich vielleicht noch etwas mehr auf den Begriff „jeu- d''œuvre“ eingehen. Dabei handelt es sich nämlich um eine frei erfundene Wortkreation und Ableitung vom "Gruß aus der Küche", dem sog. "hors d'oeuvre". »Jeu-d’œuvre« ist das „Spiel nebenbei, neben der Arbeit“ [jödöfʀ] gesprochen; œu wie geschlossenes deutsches „ö“ in schön :) Vielleicht wird das jetzt klarer."
Mit dem Basis-Set kann man ja mehrere Regelvarianten spielen. Kannst Du diese bitte kurz vorstellen?
"Ersteht jemand die „jeu-d''œuvre“-Kartenbox und lädt Freunde ein, sie gemeinsam mit ihm zu spielen, dann haben alle Freunde die Gelegenheit, sich vorher die Regeln im Netz durchzulesen. Meines Erachtens wird das vermutlich gar nicht notwendig sein, weil sie viel schneller erklärt sind, wenn man die Karten dabei zur Hand hat. Ich habe auf der SPIEL´16 nie länger als eine halbe Minute gebraucht. Die Regeln sind als schickes Heft in der Box und on top gibt es sie kostenfrei bei uns auf der Website (Link)."
Was wurde bei "jeu-d''œuvre" zuerst entwickelt: Die Thematik oder die Spielmechanik?
"Gute Frage, Philipp! Das Thema war zuerst da! Nur mit welchem Medium ich es transportieren wollte, war noch offen. Das war meine persönliche Challenge, dies heraus zu finden. Ich war auch erstaunt, als ich dann eines Morgens aufwachte: Ein Spiel sollte es werden. Ein lustiges Spiel. Übrigens ist das die am häufigste gestellte Frage gewesen, bis ich mit der Komödie anfing. Nur wenn ich Dir jetzt verrate, wie ich insgesamt auf die Idee gekommen bin, dann kauft mir keiner mehr mein Buch ab. Denn im Buch steht dieser Weg beschrieben. Dazu vielleicht noch etwas Hintergründiges zu meiner Person. Ich habe mich in meinem Leben, auch aus beruflicher Notwendigkeit heraus, viel Zeit mit dem Thema Ausbildung beschäftigt. Neben der Ausbildereignung verfüge ich auch über den DSLV „KidsCoach“. Ich war nämlich auch ein paar Jahre Skilehrer und mein Fazit aus dieser Zeit: Spielerisch geht vieles leichter. Ich kann Dir gar nicht sagen wie umfangreich das Spiele-Repertoire ist, welches Skilehrer für ihre Kunden auf der Piste spontan auf Lager können."
Wie ich auf der Webseite (Link) gelesen habe, kann man das Spiel auch im Corporated Design bestellen. Was kann ich alles individualisieren lassen? Und was müsste ich dabei beachten?
"Schöne Frage. Am liebsten alles, denn ich bin nicht so gut für halbe Sachen zu begeistern. Das hat einen einfachen Hintergrund. Hier mal ein Beispiel, dann kannst Du es Dir vielleicht besser vorstellen: Angenommen die Krankenkasse XY würde das Spiel bei mir als Give-away bestellen und sich nur wünschen, dass ich die Schrift in Arial und die Farbe in irgendeinen satten Grün- oder Blauton ändere. Die Aquarelle, die sich auf den einzelnen Spielkarten befinden, würden dann überhaupt nicht mehr dazu passen. Ggf. würde ich dann eher auf Fotografien oder andersartige Illustrationen zurückgreifen. Kommt auf den Einzelfall an. Selbstverständlich bezieht sich das auch auf die Lebensmittel. Denn auch diese könnte ich redaktionell erweitern, ändern und was auch immer … - da ist viel Spielraum."
Analog zum Kartenspiel ist der Roman "Mit Essen Spielt Man! Baudelaire der Spitzenkoch" entstanden. Kannst Du das Buch bitte kurz vorstellen? Zu welchem Genre kann man es zuordnen?
"Das Buch ist als Roman, genauer gesagt als Komödie, geschrieben, was es dem Leser erleichtert, sich mit der Thematik „Essen“ zu beschäftigen und dabei „ganz nebenbei“ (das hatten wir ja eben schon) etwas für seine Gesundheit zu tun. Beide Artikel (Buch und Spiel) dienen der Stärkung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils, durch Verbesserung des Wissens über Essen. Zum Inhalt: Baudelaire möchte herausfinden, wie er eine ganz bestimmte Fraktion seiner Gäste wieder glücklich machen könnte. Er unternimmt dazu ein paar aufregende Reisen. Seine schrägen Tanzeinlagen leiten immer wieder heiter zu den Dreh- und Angelpunkten des Buchs über und es bleibt bis zum Schluss spannend, wie es mit seiner Liebe zu Fleur weitergehen wird. Und was die Liebesgeschichten in dem Buch angeht, diesbezüglich bekommt das Wort „jeu-d''œuvre“ in dem Roman nochmal eine ganz andere Bedeutung. Jaja, so sind sie, die Männer. Ja, was vielleicht noch wichtig ist: Baudelaire entwickelt auf seinen Reisen neben den Kartenspielen auch ein interessantes Gastronomiekonzept. Buch und Spiel sind deshalb ausgezeichnet für Sportler, Romanliebhaber mit Humor oder Fans von Gesellschaftsspielen geeignet. Wichtig: Das Buch lässt sich ohne das Spiel lesen und umgekehrt. Es ist nur ein Angebot meinerseits. Manche spielen lieber. Manche lesen lieber. Lesen kannst Du das Buch alleine. Beim Spiel wird das eher schwierig ;-) (habe ich aber noch nicht ausprobiert)"
Haben sich die Entwicklung von Buch und Spiel gegenseitig beeinflusst? Und war dies von Anfang an geplant oder entstand die Idee zu einem Produkt erst während der Entwicklung des anderen?
"Die Idee zum Spiel kam mir vor etwa zwei Jahren. Die Idee, ein passendes Buch dazu zu schreiben, kam mir Anfang 2016."
Wie war das bisherige Feedback? Und da wir uns dort kennengelernt haben, wie lief die SPIEL?
"Wir waren nach der SPIEL´16 noch in Frankfurt auf der Buchmesse. Beide Ereignisse verliefen erfolgreich. Ich wollte die Messen nutzen, um mein Produkt einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen und dabei die Gelegenheit nutzen, hilfreiche Kontakte und Sichtweisen zu gewinnen. Dies ist mir auf beiden Messen gelungen. Darum bin ich auch äußerst gespannt, wie Euer Erfahrungsbericht ausfallen wird. Mich würde beispielsweise interessieren, wo Ihr die Hauptzielgruppe für die Spiele seht."
Aktuell läuft bei Dir auch ein Gewinnspiel, bei dem man eine Lesung gewinnen kann. Magst Du dazu etwas Genaueres sagen?
"Stimmt, da hast Du gut recherchiert. Dieses Gewinnspiel richtet sich an Buchhändler bzw. generell an Einzelhändler. I.d.R. erhalten Autoren ein geeignetes Honorar für so eine Session, weil er Leben in die Bude bringt. In meinem Fall wird das etwas interaktiver gestaltet werden, weil ich nicht nur vorlesen, sondern eben auch mit den Gästen spielen werde. Ich arbeite gerade noch an dem Konzept. Der Gewinner braucht jedenfalls kein Honorar zu zahlen."
Planst Du, diese Produktlinie weiter auszubauen? Oder wird es gänzlich neue Projekte geben?
"Momentan dreht sich alles um die Vermarktung der ersten Ausgabe. Ich habe bereits zahlreiche Ideen notiert."
Eine letzte Frage, die alle Interviewpartner beantworten dürfen: Hast Du für andere, aufstrebende Jungautoren/-Entwickler ein paar Tipps & Tricks?
"Du hast gerade „Jungautoren“ gesagt. Bei „Jungautoren“ muss ich an Altersdiskriminierung denken; vermutlich grenzt Du damit ungewollt einen Großteil der Autoren aus. Kein Witz! Ich persönlich fände es besser, wenn Du sie beispielsweise „Newcomer“ nennst, also Leute die zuvor noch nie ein Spiel entwickelt oder ein Buch geschrieben haben; wenn ich Dich richtig verstanden habe. Aber um mal Deine Frage zu beantworten: Ja klar! Ich empfehle jedem ein gutes und stringentes Projektmanagement. Auch viele Start-ups scheitern ja bekanntlich immer wieder daran, dass sie zu wenig Struktur haben. Da greifen Planung und Umsetzung ineinander. Viele planen sich kaputt und planen und planen… - irgendwann ist es eine gute Idee, einfach mal mit der Umsetzung zu beginnen. Aber: Nicht ohne, dass mal eine neutrale Person drauf geschaut und diverse Dinge hinterfragt hätte. Quasi so eine Art TÜV-Prüfstand für den Projektplan. Heute nennt man das „disruptiv“, das ist meiner Meinung nach aber ein „Unwort“, versteht kein Mensch. Was übrigens nicht gegen „agile“ Methoden spricht, d. h. wenn man hin und wieder Dinge hinterfragt, man sein Grobziel dabei aber nicht aus den Augen verliert – und diese Hinterfragungs-Sessions vorher zeitlich auch fix einplant. Meine Projekte waren immer dann erfolgreich, wenn sich während der Umsetzungsphase so eine gewisse „jetzt fühlt es sich an, wie ein Fahrplan“ Stimmung einstellte. Aktuell bin ich genau in diesem Modus. Läuft! Darf ich mir jetzt noch ein Lied wünschen?"
Gerne doch :-D Und vielen Dank für das umfangreiche, sehr interessante Interview!
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