Wahnsinn! Eigentlich waren die Entwickler-Interviews zu Brettspielen & Tabletops eher als kleine Nebenserie gestartet, mittlerweile kann ich mich schon über Indie-Interview Nummer 10 freuen :-D Dieses mal im Interview hab ich Arne Lorenz, der mit "Era of Tribes" ein ebenso umfangreiches wie klassisches Zivilisationsspiel entwickelt hat, welches sogar schon einen bekannten Kleinverleger überzeugen konnte. Da sag ich schon mal "Herzlichen Glückwunsch" an Arne und freue mich, dass er noch die Zeit gefunden hat sich selbst und sein Projekt hier im Indie-Interview vorzustellen :-)
Hallo Arne. Auf dem Foto bist Du der Spieler ganz rechts - Jetzt wissen wir, wie Du aussiehst, aber mehr noch nicht ;-) Daher, stell Dich doch bitte erstmal den Lesern vor.
"Ja, moin. Mein Name ist Arne Lorenz, ich wohne in der kleinen Gemeinde Lemwerder in der Nähe Bremens. Ich wurde 1975 in Hamburg geboren und kann mich noch an die Schneekatatstrophe von ´78 erinnern ;-). Ich bin seit 8 Jahren verheiratet und habe zwei richtig tolle Kinder."Wie wurdest Du Spieler und wie kamst Du dazu, Spiele zu designen?
"Das Spielen hat wie bei den Meisten meines Jahrgangs schon früh begonnen. Gleich mit so Krachern wie "Civilisation" und "Shogun". Rollenspiele waren damals natürlich auch total in; MERS, DSA, D&D und natürlich "Paranoia!", unzählige Stunden habe wir uns in fremde Köpfe und Welten hineinversetzt und intensivst mit unterschiedlichsten Herausforderungen auseinandergesetzt; schade, das das so aus der Mode gekommen ist, wir haben dadurch viel miteinander und voneinander gelernt. Dann kam man irgendwie in ein Alter, wo das Spielen ein wenig nachgelassen hat - bei uns zum Glück nie ganz! - und wie aus heiterem Himmel erschienen die "Siedler von Catan" und plötzlich stand in der Welt der Brettspiele alles Kopf. Auch wer nur "Kniffel", "Rumikub" und "Schattenhalma" kannte war nun an das Brett gefesselt. Zu dieser Zeit habe ich dann angefangen zuerst vorhandene Spiele zu verändern und zu erweitern (das Original-Catan war mir natürlich viel zu klein ;-)) und dann eigene Spiele zu entwickeln, was aber immer nur für den Freundeskreis passierte, da die Spiele - aus heutiger Sicht - unspielbar waren. Was geblieben ist, ist aber unser Rollenspiel-Projekt "Annor - Das Schwert von Esper" (Link), das aus einer Projektwoche in der Schule hervorgegangen ist und noch heute lebt und von einem Mitstreiter der ersten Stunde immer noch weiterentwickelt wird."Bevor wir zu "Era of Tribes" kommen: Hast Du schon andere Spiele designt? Falls ja, konntest Du Erfahrungen in das aktuelle Projekt einfließen lassen?
"Neben dem erwähnten Rollenspiel habe ich einige andere Spiele in der Vorbereitung. Von denen ist aber noch keines so weit, das ich es einem Verlag zur Veröffentlichung anbieten würde. "Era of Tribes" ist auch nicht einfach so als Spiel entstanden, sondern die Quintessenz aus einigen Spielen, an denen ich seit vielen Jahren bastele. Das Ursprungsspiel war weitaus komplexer und dauerte auch wesentlich länger... Nach mehreren Besuchen der Messe Essen und Vorstellungen bei etlichen Verlagen und natürlich vielen Absagen, habe ich das Spiel immer weiter entwickelt, wobei man auch zurückentwickelt sagen könnte, denn man darf an seinem Konzept nicht stur festhalten, wenn es nicht auf Zustimmung stößt. Das bringt nichts, eher muss man aus den Ablehnungen lernen und sein Produkt anhand der erfolgten Kritiken überdenken. Das bedeutet meistens, das man sich von liebgewonnenen und überaus wichtigen Teilen seines Spieles auch trennen können muss; das ist sehr schwierig. Hinterher stellt man aber fest, das die Experten meistens recht hatten."Worum geht es in "Era of Tribes"?
""Era of Tribes" ist ein klassisches Zivilisationsspiel. Du spielst eines von neun Völkern und versuchst, dieses - beginnend in der Jungsteinzeit - zum mächtigsten Volk Europas zu machen. Dafür setzt Du nach bester "Worker Placement"-manier deine Adligen ein, die in Deinem Palast unterschiedlichste Aufgaben erfüllen können. Von diesen hast Du zu Beginn des Spieles nur drei, kannst diese Anzahl jedoch über Epochenaufstiege und diplomatische Aktionen aufstocken."Kannst Du etwas über die Spielmechaniken sagen?
"Essentiell ist es, in den Epochen fortzuschreiten, was unterschiedliche Voraussetzungen erfordert. Dies schaltet zusätzliche Adlige frei und macht Dein immer größer werdendes Volk leichter regierbar. Auf dem eigentlichen Spielfeld sieht man die Reiche der Spieler schnell wachsen, dort gibt es Städte und Vasallen, gilt es Luxusgüter zu sammeln und Barbaren zu besiegen. Die Eigenschaften Deines Volkes kannst Du schnell anhand der Skalen ablesen; wie hoch ist mein Einfluß? Wie steht es um mein Wachstum? Muß ich vielleicht etwas tun, um meine Moral zu erhöhen? Habe ich schon die nötigen Voraussetzungen um eine Epoche aufzusteigen? Wenn ja, habe ich noch einen Adligen übrig, der eine Revolution anzetteln kann, oder muss ich eine Runde warten? Kann ich gerade die Barbaren angreifen oder verheize ich damit nur meine Vasallen? Wie sind nochmal die öffentlichen Ziele, kann ich dafür gerade etwas tun, oder muss ich das vielleicht sogar? Den technologischen Fortschritt kann man auf dem innovativen Forschungsbaum ablesen. Die verschiedenen Zweige bauen aufeinander auf und bringen sehr unterschiedliche Vorteile im Spiel. Regiert wird Dein Volk aber letztendlich durch die Adligen, die Du in Deinem Palast einsetzt, wo Du ihnen die unterschiedlichsten Aufgaben zuteilst (Wachstum, Handel, Steuern, Diplomatie, Fortschritt, Brot&Spiele, Revolution)."Gibt es ein anderes Spiel, mit dem man "Era of Tribes" am ehesten vergleichen könnte? Sowohl von den Regeln als auch von der Komplexität?
"Mein Ziel war es, ein Spiel zu entwickeln, das vom Spielgefühl her an ein bekanntes Computerspiel erinnert; man soll das Gefühl haben, ein Herrscher zu sein, alleine über die Geschicke seines Volkes zu entscheiden. Deshalb kann und wird man "Era of Tribes" wohl mit den bekannten Zivilisations-Spielen vergleichen. Sicherlich waren diese auch Vorbild für "Era of Tribes", jedoch hatte mir irgendwie immer etwas gefehlt. Das eine war zu kriegerisch, das andere zu abstrakt, das nächste wiederum zu sehr vom Zufall abhängig oder zu sehr nur auf Stadtentwicklung fokussiert. Allen gemein war aber die meistens exorbitante Spieldauer und häufig das Gefühl, sich nicht wirklich wie ein Herrscher zu fühlen, der alle Fäden in der Hand hält. Von der Komplexität her kann man es also schon mit seinen Vorbildern vergleichen; das Spielgefühl ist aber ein ganz anderes."Wie kann ich mir die Entwicklung eines Spiels vorstellen? Kommt erst das Szenario oder hast Du erst eine Mechanik im Kopf?
"Bei "Era of Tribes" hatte ich sicherlich zuerst das Szenario im Kopf, quasi die Spielidee. Dann kam die schwierige Aufgabe, diese ganz vielen tollen Ansätze irgendwie in Regeln zu verpacken. Häufig kommt hierbei dann erstmal ein Spiel heraus, was entweder viel zu lang dauert oder viel zu komplex oder kleinteilig ist (oder alles auf einmal. UH!). Es folgt dann die noch viel schwierigere Aufgabe, sein eigenes Spiel so lange einzudampfen, bis dabei ein Spiel herauskommt, was auch gerne gespielt wird. Dabei helfen einem dann die Verlage, die das Spiel so lange ungespielt zurückschicken, bis es einen Status erreicht, wo man es zumindest spielen kann. Die Verlage sind da sehr rigoros, aber das müssen sie auch. Die Kritiken, die man zurückbekommt, sollte man sich dann unbedingt zu Herzen nehmen und in sein Spiel einflechten. Auch, wenn es weh tut. Vom Ursprungsspiel ist bei "Era of Tribes" auch nur die Hälfte übriggeblieben, und jede Reduktion hat dem Spiel gutgetan. Bei einigen Spielen, die heute auf den Markt kommen, habe ich das Gefühl, das die Idee für eine Mechanik da war (oder die Variante einer Mechanik) und diese dann in ein Thema verpackt wird; das empfinde ich häufig als - im wahrsten Sinne des Wortes - aufgesetzt oder beliebig."Wie ist der aktuelle Stand des Projekts?
"Wir sind mit dem Balancing fertig (was auf Grund der ganz unterschiedlichen Startbedingungen und Fähigkeiten der Völker wirklich nicht ganz einfach war), die Mechaniken greifen nahtlos ineinander über, die Spieldauer ist mit etwa zwei Stunden hervorragend und das Spiel bringt sehr viel Spaß (ich finde es immer total schön, wenn nach einem Spiel noch darüber geredet wird; "Hätte ich man früher das Erz geholt...", "Nächstes mal gehört die iberische Halbinsel aber mir!",...). Die Regeln sind ebenfalls überarbeitet und nun gut strukturiert, übersichtlich und mit vielen Beispielen versehen. Wahrscheinlich wird sich ein Grafiker noch einmal des Ganzen annehmen, und "Era of Tribes" wird dann hoffentlich 2017 erscheinen."Mit "Udo Grebe Gamedesign" (Link) arbeitest Du ja mit einem etablierten Kleinverlag für Simulationen zusammen. Wie kam es dazu und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?
"Das Spiel hatte ich letztes Jahr einige Wochen vor Essen an Udo geschickt. Da ich auch in Essen war, habe ich dann auch einen Termin mit ihm gemacht, um ihm das Spiel kurz vorstellen zu können (vorher war die Zeit zu knapp, so dass er nur kurz reingucken konnte). Er hat sich dann direkt am Stand die Zeit genommen, das Spiel kurz anzuspielen. Nach einigen Minuten hat er mir dann die Hand hingestreckt. Ein saugeiles Gefühl...! Ich denke, das ich da einfach Glück gehabt habe, da das genau die Art von Spiel ist, die der Udo gerne spielt. In der Folgezeit haben wir dann viel über das Internet kommuniziert (leider sind wir örtlich recht weit voneinander getrennt) und sehr, sehr viel am Spiel gearbeitet. Im Frühjahr war ich dann für einige Tage bei ihm zu Besuch und wir haben viel gespielt, entwickelt, wieder verworfen und wieder von vorne. Das hat sehr viel Spaß gemacht und "Era of Tribes" noch ein ganzes Stück weiter gebracht. Der Rest bis zum heutigen Zustand lief dann wieder über das Internet und ich bin nun gespannt auf die Resonanz der Messebesucher, denn Udo will das Spiel schon mal der Öffentlichkeit präsentieren."Hast Du für andere aufstrebende Jungentwickler ein paar Tipps?
"Zunächst einmal solltet ihr das Spiel schon häufig im Bekannten- und Freundeskreis gespielt haben. Wenn das Spiel dort - zumindest bei der Zielgruppe - gut ankommt, könnt ihr an eine Veröffentlichng denken. Das Allerwichtigste ist dann, das man sich von Ablehnungen nicht entmutigen lässt, denn das heisst nicht, dass das Spiel schlecht sein muss. Vielleicht war es einfach der falsche Verlag oder der falsche Redakteur (der, der Dein Spiel toll gefunden hätte ist vielleicht grad im Urlaub), im Moment ist vielleicht ein ganz ähnliches Spiel in Arbeit, die Redakteure haben auch vielleicht gerade schlicht keine Zeit, oder, oder, oder. Ihr solltet auch nicht blind euer Spiel irgendwo hinschicken, das produziert nur Portokosten und ihr riskiert, das eure kostbaren Prototypen irgendwie verschwinden. Schaut euch die unterschiedlichen Verlage an und nehmt dann am besten mit einem Kontakt auf, von dem ihr denkt, euer Spiel würde gut in das Programm passen und beschreibt kurz eurer Spiel. Wenn von Verlagsseite Interesse besteht, dann dürft ihr es auch hinschicken und könnt davon ausgehen, dass die Redaktion es sich zumindest angucken wird. Meistens werdet ihr das Spiel dann zurückbekommen. Optimalerweise wurde es tatsächlich gespielt und ihr erhaltet wertvolles Feedback, und hier kommen wir dann zum allerallerwichtigsten Punkt; nehmt die Kritik der Profis ernst!, auch wenn dies bedeutet, das ihr euch vielleicht von liebgewonnenen Komponenten eures Spiels verabschieden müsst oder vielleicht sogar eurer Konzept überarbeiten solltet. Das sture Festhalten und Klammern an eurem "Baby" wird euch wahrscheinlich nicht weiterbringen und einer Veröffentlichung stündet ihr selbst dann am meisten im Weg. Wenn ihr aber offen für Kritik seid, Vorschläge von Redakteuren und Spielern ernst nehmt, überdenkt und ggf. einbindet, dann wird euer Spiel immer besser werden und schließlich auch einen Verlag finden. "Era of Tribes" und ich sind genau diesen Weg gegangen und ich bin gespannt, in welche Richtung dieser Weg uns noch führen wird."Ich danke Dir für das Interview! Und ich bin sehr gespannt auf das Spiel :-D Gerne verweise ich noch auf die Vorbestellung (Link) und natürlich BGG (Link) :-) Zuletzt noch ein paar Bilder, welche zeigen sollen wie variabel das Feld aufbaubar ist: