Der große Vorteil vom Bücherkauf an Verlagsständen ist zweifelsohne die persönliche Beratung, gerade bei Kleinverlagen auch durch den Verleger höchstselbst. Oft entdeckt man dadurch Autoren und ihre Werke für sich, an denen man sonst achtlos vorbeigegangen wäre. So geschehen neulich am Stand vom Phantastik-Spezialisten „Verlag Torsten Low“, wo mir eben jener Torsten Low einen deutschen Zombie-Thriller namens „Frischfleisch“ empfahl. Eigentlich nicht mein Genre, ließ ich mich doch auf seine Empfehlung ein – Ob er wohl meinen Geschmack getroffen hat?
„Frischfleisch: Nullpersonen“ ist die vom Vincent Voss geschriebene Fortsetzung seines insgesamt doch recht wohlwollend rezipierten Regional-Horror-Romans „Faulfleisch“ (Link). Diesen muss man zum Verständnis nicht unbedingt gelesen haben (hatte ich nämlich nicht), aber eine Kurzzusammenfassung der vorhergegangenen Ereignisse hilft doch merklich beim Einordnen der Handlung: In „Faulfleisch“ kommt Neu-Dörfler & Ehebrecher Liam im Provinznest Wakendorf II einem kannibalischen Gerichtsmediziner auf die Spur, der (vermutlich durch den Genuss von Faulfleisch :-P) zum allerersten Zombie wird. Sein Journalisten-Kumpel Tim glaubt ihm nicht, hat dadurch aber im zeitlich unmittelbar anschließenden „Frischfleisch: Nullpersonen“ einen entscheidenden Wissensvorsprung gegenüber dem Rest der Welt. Denn in diesem Folgeband bricht nun die Zombie-Apokalypse über Deutschland herein.
Die Handlung des mit 410 Seiten recht umfangreichen Zombie-Thrillers beschreibt dabei in mehr oder minder chronologischer Reihenfolge oftmals parallel verlaufende Ereignisse, welche an kaum mehr als einem Tag passieren. Angefangen mit ein paar vereinzelten Infizierten, welche noch nicht als solche erkannt werden und sich somit ungehindert durchbeißen können, über die gleichsam halbherzigen wie erfolglosen Gegenmaßnahmen bis hin zu Massenpaniken und letztlich dem drohenden Untergang der Zivilgesellschaft. Dabei wird die 72 Kapitel umfassende Handlung atemlos vorangetrieben, indem der Autor einzelne Szenen in rascher Folge mit hoher Dynamik abhandelt. Teilweise ist solch ein Kapitel gerade mal eine Seite lang und beschreibt nur einen kurzen Augenblick, eh es an anderer Stelle meist genauso rasant weiter geht. Meiner Meinung nach rettet genau dieser Schreibstil die Handlung – Hätte man Zeit zum Durchatmen und Überlegen, würde man sicher den einen oder anderen Logikfehler bemerken ;-)
Im Verlauf der Geschichte werden eine ganze Menge Protagonisten eingeführt, von denen allerdings viele nur dazu da sind, um an irgendwelchen entscheidenden Wendepunkten der Geschichte für noch mehr Zombies zu sorgen :-P Eine Charakterentwicklung im klassischen Sinne findet, durch die Menge der Figuren und des kurzen Handlungszeitraums, abseits von „ich akzeptiere jetzt, dass es Zombies gibt“, kaum statt. Die beiden Hauptfiguren sind einerseits Sandra (Liams Ex, die sich mitten im Zentrum der Apokalypse durchschlägt und dort nach Liam nebst gemeinsamen Sohn sucht) und andererseits der Journalist Tim, welcher über weite Strecken der Handlung erfolglos warnt und dafür auch noch von der Regierung verfolgt wird. Denn diese will nachvollziehbarerweise eine Massenpanik verhindern, bekommt aber durch ihre Informationssperre (besonders auch gegenüber Rettungskräften und Polizei, welche bei ihrer Arbeit gebissen werden und dann natürlich selbst als Zombie herumlaufen) das Problem nicht nur nicht in den Griff, sondern verschlimmert es sogar noch. Die Regierungs- und Behördenszenen gehören dabei zu den Highlights des Buches, man kann die Zerrissenheit der AmtsträgerInnen zwischen Pflichtgefühl, Durchhalteparolen und Machtlosigkeit förmlich spüren. Dabei fallen unserer Bundeskanzlerin, welche auch explizit bei ihrem Namen benannt wird, mehrere wichtige und zugleich meist unrühmliche Szenen zu, sodass auch ich hier ausnahmsweise mal diesen Hashtag verwende: #dankemerkel
Gehören also die Politikszenen zu den Highlights des Buches, fallen gerade einige spätere Actionszenen dagegen ziemlich ab. Dabei liegt dies nicht unbedingt am Schreibstil des Autors, der ist durchaus in Ordnung, sondern an der Häufung. Wirken gerade der anfänglichen Angriffe noch bedrohlich, stumpft man durch die schiere Masse an Zombie-Szenen letztendlich ab. Irgendwann habe ich wirklich nur noch mit den Augen gerollt und mir gedacht „ja, ich hab nach dem gefühlt zwanzigsten ahnungslosen Polizisten, der im Einsatz gebissen wird, echt kapiert dass noch niemand weiß dass da Zombies rumlaufen“. Hier hätte man man gut und gerne 50 Seiten einsparen können, vielleicht um zu kurze Handlungsstränge weiter auszubauen? Aber sei es drum, „Frischfleisch: Nullpersonen“ bleibt bis zum Ende hin spannend und lesenswert, auch wenn mein Lesevergnügen zum Ende hin im Durchschnitt doch leicht gelitten hat, wie man an diesem Diagramm (über 80 Notizen in chronologischer Reihenfolge in Amazon-Sternchen umgewandelt :-D) erkennen kann:
Der „Verlag Torsten Low“ hat hier insgesamt wieder gute Arbeit geleistet: Die Druckqualität des Softcovers ist in Ordnung, das Lektorat hat zumeist gut gearbeitet (bei der Polizeipistole mit Kaliber 19 mm musste ich dann doch lachen :-)) und endlich hat man sich auch mal ein stylisches Cover gegönnt. Insgesamt sind die 14,90 € für ein Taschenbuch aus einem Kleinverlag damit akzeptabel.
Fazit: Vincent Voss schaffte es mit seinem Zombie-Thriller „Frischfleisch: Nullpersonen“ (Link) mich gut zu unterhalten. Innerhalb von zwei Nächten hatte ich das Buch durch, was für seine Qualität spricht. Der direkte Schreibstil und das hohe erzählerische Tempo sind gelungen, lediglich die inhaltliche Gewichtung, ein paar Logikfehler und ein schwankender Spannungsbogen haben mir die Lesefreude manchmal etwas verleidet. Insgesamt gebe ich dem Buch aber verdiente 81 % beziehungsweise gerundet 4 Sternchen eines großkapitalistischen Buchhändlers :-D