Geschichtsunterricht war für nicht wenige Schüler eine eher langweilige Sache. Und sind wir ehrlich, eigentlich ging es da fast nur um die Zeit vor 1945. So verwundert es nicht, dass ich bei meinen Testsessions für die lehrreiche Zweispieler-Geschichtssimulation „Wir sind das Volk!“ einige Mitspieler hatte, welche diesen Ausruf nur vom montäglichen Wutbürger-Mob kennen. Daher jetzt mal aufgepasst, bei diesem spaßigen Duell-Spiel lernt man noch eine ganze Menge :-D
„Wir sind das Volk!“ ist ein Brettspiel für zwei Spieler und thematisiert das geteilte Deutschland von 1945 – 1989. Ein Spieler übernimmt die Bundesrepublik und muss versuchen, mittels hohem Lebensstandard bei den ostdeutschen Bürgern Neid und dadurch Massenproteste auszulösen. Der Spieler der Deutschen Demokratischen Republik wiederum versucht dies zu verhindern, indem er den Mangel verwaltet und seine Bürger mit staatlichen Repressionen (Stasi, Mauerbau etc.) klein hält. In insgesamt vier Dekaden, welche in jeweils zwei Runden aufgeteilt sind, spielen die Spieler nun abwechselnd historische Ereignisse in Kartenform aus. Diese können beispielsweise das Prestige eines Spielers erhöhen, mehr Republikflüchtlinge produzieren, Unruhen erzeugen oder auch die Wirtschaft stärken.
Wie genau läuft nun so eine Runde, welche einer halben Dekade entspricht, genau ab? Zuerst legt man sieben Aktionskarten der jeweiligen Dekade plus eine Dekaden-Sonderkarte aus, außerdem bekommt jeder Spieler zwei Handkarten. Diese Karten stellen allesamt reale historische Ereignisse dar. Aus diesen Karten wählen die Spieler nun abwechselnd eine Karte, welche sie ausspielen und die darauf aufgedruckten Effekte abhandeln. Beispielsweise bewirkt die Karte „1973: Bundesrepublik erkennt DDR an“, dass in Westdeutschland drei Unruhen entfernt werden dürfen, dafür aber die DDR zwei Punkte Prestige und einen Punkt Devisen erhält. Anstatt diesen Effekt zu nutzen, könnte man mit dieser Karte aber auch folgende Aktion bezahlen: Eine Unruhe entfernen, seine Wirtschaft aufbauen oder den Lebensstandard erhöhen. Dann folgt die zweite Runde (= Halbdekade). Ist auch diese durchgespielt, kommt es zum Dekadenende. Hier werden insgesamt 10 Phasen durchgegangen: Erst werden die Kosten der Mauer beziehungsweise die Kosten der Republikflucht ermittelt – Je nachdem, wie sich der DDR-Spieler entschieden hat, tatsächlich kann man es ohne Mauerbau schaffen. Dann werden die jeweiligen Effekte des Prestiges und der Devisen abgehandelt (je weiter der Marker auf der jeweiligen Leiste in die eigene Richtung zeigt, umso besser sind die Effekte für den jeweiligen Spieler). Dann muss die Staatsgewalt bezahlt, der Lebensstandard gehalten und verglichen (erst die eigenen Regionen miteinander, dann mit dem Gegenspieler) und schließlich die DDR-Staatsgewalt ausgeführt und Sozialisten platziert werden. Letztendlich werden dann noch die Anzahl der Massenproteste ermittelt.
Hat die Deutsche Demokratische Republik vier Dekaden durchgehalten gewinnt sie das Spiel. Es kann jedoch auch frühzeitig enden, wenn in einem der beiden Länder vier oder mehr Massenproteste stattfinden. Der DDR-Spieler kann außerdem vor Spielende siegen, wenn er 12 Sozialisten-Spielsteine auf dem Brett hat; aber auch vorher verlieren, wenn er mehr Sozialisten-Spielsteine verliert als auf dem Brett stehen oder wenn er einen Staatsbankrott erleidet (staatliche Unterdrückung ist nämlich teuer). Klang das bis hierher kompliziert? Ist es eigentlich nicht :-) Tatsächlich hat man den Spielablauf nach zwei, maximal drei Dekaden soweit intus, dass man recht gut vorankommt. Lediglich für die Endabrechnung, welche von der Zeit her mindestens genauso lange dauert wie die eigentliche Kartenspiel-Phase, musste ich auch nach mehreren Spielen noch das Regelheft nutzen, um die einzelnen Phasen nicht durcheinanderzubringen. Dabei sind die Regeln aufeinander aufbauend beschrieben, allerdings blieben zu Beginn doch ein paar Fragen offen, deren Antworten sich irgendwo im Text versteckten. Denn leider ist der strukturelle Aufbau nicht optimal: Obwohl es nur 12 Seiten sind, wären ein Index oder eine Kurzübersicht sehr hilfreich gewesen. Außerdem ist beispielsweise der Platzierung der Symbolerklärung und des Karten-Almanachs in der Heftmitte recht ungünstig. Lobenswert dagegen sind viele gut erklärende Beispiele und die Zweisprachigkeit, sodass sich auch englischsprachige Spieler durch vier Dekaden geteiltes Deutschland kämpfen können ;-)
Die quadratische und überraschend schwere Box bringt einiges an Spielmaterial mit: Einen großen Papp-Spielplan, dazu 70 Infrastruktur-, 52 Fabrik-, 10 Massenprotest- und 5 Wertungspappmarker. Alles stabil, da gibt es nix zu meckern. Dazu kommen 35 Lebensstandard-, 50 Unruhe- und 12 Sozialisten-Holzsteinchen sowie 84 farbige, bilinguale Spielkarten und das Regelheft. Der Preis von 27,90 € erscheint mir, gerade da diese Geschichtssimulation von einem Kleinverlag kommt und wohl eher eine Nische bedient, vollkommen angemessen.
Fazit: Mit „Wir sind das Volk!“ (Link) macht Geschichtsunterricht endlich wieder Spaß :-D Gerade auch in der heutigen Zeit eine ganz klare Kaufempfehlung!
PS: Auf der sehr informativen Webseite des Spiels (Link) findet sich nicht nur eine sehr umfangreiche Spielvorstellung, sondern auch ein italienisches und spanisches Regelwerk zum Download.