Seitdem mir Stephan die 7. Edition von „Call of Cthulhu“ zu Weihnachten geschenkt hat, versuche ich einen Zugang zu dem Horror-Rollenspiel zu finden – Gerade auch in meiner Funktion als Spielleiter, um meine Gruppe davon zu überzeugen. Bei dem explizit als einsteigerfreundlich beworbenen „Das Geisterschiff von Caerdon“ blieb der Erfolg jedoch aus, weil es eine gute Kurzgeschichte, aber kein gutes (Einsteiger-)Abenteuer war. Nun versuche ich mein Glück also mit „Upton Abbey“. Das ist eine Sammlung aus vier offiziellen Support-Abenteuern, die als One-Shots auf Conventionen interessierte Neulinge überzeugen sollen. Hey, ich bin ein interessierter Neuling! Überzeugt mich!
Bevor ich mit der Handlung der einzelnen Abenteuer anfange, zäume ich das Pferd mal von hinten auf und beginne mit dem Ende: Wahnsinn, wie viel Material der „Pegasus Verlag“ da für gerade mal 9,95 € anbietet! 120 Seiten Softcover, mit zahlreichen Bildern, vorgefertigten Charakteren und Handouts, das ist schon mal eine echte Ansage! Dabei geht die Druckqualität voll in Ordnung, wenn auch am Papier und offensichtlich beim Lektorat gespart wurde. Auch Design und Layout gefallen mir gut, allerdings wurden bei zwei Bildern die Wasserzeichen drin gelassen :-P Jetzt aber genug der Oberflächlichkeit, die inneren Werte zählen...
- Das titelgebende Abenteuer „Upton Abbey“ versetzt die Spieler in die Rolle von Angestellten eines dahin darbenden Herrenhauses. Erst die Lady, dann der Lord, wenden sich in einem auf 5 - 8 Stunden angelegten One-Shot okkulten Praktiken zu. Natürlich gibt es auch noch ein dunkles Familiengeheimnis, welches niemals an die Öffentlichkeit gelangen soll... Mir gefällt das Abenteuer vom Aufbau her prinzipiell ziemlich gut, allerdings ist es wirklich arg speziell geraten und thematisiert mit Kindesmissbrauch und Selbstmord auch echte Tabuthemen. Das wird nicht jedem gefallen und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich hart genug dafür bin. Andererseits werden zwar Tipps gegeben, wie man das Abenteuer abkürzen und entschärfen kann, dann fehlt aber die emotionale Wucht... Qualitativ aber schon mal ein guter Einstieg.
- Das zweite Abenteuer „Gehetzt“ handelt von einer Gruppe Mafiosi nebst Anhang, die vor ihrem „Vorstellungsgespräch“ bei Al Capone noch schnell eine Bank ausrauben will. Hier wird für „Cthulhu“-Verhältnisse ungemein viel Action geboten: Schießereien, Verfolgungsjagden, vielleicht sogar noch einen Verrat innerhalb der Gruppe – Großartig! Aus Sicht eines Spielers wäre das für meine Gruppe und mich das perfekte Abenteuer, als Spielleiter muss man aber recht kreativ sein und improvisieren können. Was mir aber gar nicht mal so gefallen hat – allerdings ist es ja ein „Call of Cthulhu“-Supportabenteuer – ist der zwanghafte Bezug zum Mythos. Der kommt ganz am Ende, fast schon so als eine Art Deus ex Machina, im wahrsten Sinne des Wortes vom Himmel gefallen. Komplexer wird die dünne Handlung zwar dadurch nicht, aber hey, mal ordentlich rumballern, das macht einfach Spaß :-D
- Mit dem dritten Abenteuer „Verderbliche Verse“ hatte ich meine größten Probleme. Das lockere Prequel zur Kampagne „Königsdämmerung“ führt verschiedene Personen, vom Ingenieur nebst Sohn bis hin zur Spaziergängerin, an einem See zusammen. Dort wird die Leiche eines jungen Adeligen gefunden, der scheinbar mitsamt seiner Angebeteten irgendwie in übernatürliche Machenschaften verstrickt war. Die Spieler sollen diesen Fall nun aufklären – Und hier ist das große Problem des eigentlich durchaus gelungenen Abenteuers: Warum sollen sie das tun? Welche Motivation haben sie, nur weil sie zufällig eine Leiche finden, sich dieses Kriminalfalls anzunehmen? Wieso genehmigt die Polizei die Ermittlungen, wo diese bunt zusammengewürfelte Truppe jetzt auch nicht unbedingt die nötigen Kompetenzen mitbringt? Gut, es ist eine One-Shot, man kann davon ausgehen dass die Spieler Lust drauf haben Licht ins Dunkle zu bringen, aber realistisch betrachtet... Unabhängig davon ist das Abenteuer aber wirklich gut gelungen: Man ermittelt, der Bezug zum Mythos wird immer deutlicher, am Ende rettet man die in einem dramatischen Finale die Welt. Genau SO stell ich mir einen guten „Cthulhu“-One-Shot vor :-D
- Das letzte Abenteuer „Golem“ führt die Spieler als Touristen ins Prag des Jahres 1894 und kann als „Prequel“ der kommenden Prag-Erweiterung angesehen werden. Unverschuldet geraten sie zwischen die Fronten eines Konflikts zwischen Golems und Zauberer. Dabei stehen sie nicht nur unter Zeitdruck, sondern werden zu einem Gruppenkollektiv und müssen eine schwierige moralische Entscheidung treffen. Ein durchaus interessantes Setting, wobei ich mir vorstellen kann dass der Spielleiter hier auch wieder gut improvisieren muss und deshalb etwas Erfahrung braucht.Fazit: Explizit beworben für Neulinge, können bei diesen vier One-Shots aus Sicht eines Neulings immerhin drei Abenteuer überzeugen (“Golem“ und „Gehetzt“ sowie mit Abstrichen für die Charaktermotivation „Verderbliche Verse“). Das titelgebende Abenteuer ist aufgrund seiner Tabuthemen eher für hartgesottene Spieler geeignet, ansonsten spielerisch aber auch gelungen. Ein Spielleiterneuling sollte man allerdings bei allen vier Abenteuern, auch wenn sie wirklich vorbildliche Handouts und Charakterbögen mitbringen, nicht sein. Insgesamt betrachtet also ein preiswerter und abwechslungsreicher Sammelband mit vier überzeugenden, aber nicht überragenden Abenteuern.