Der „Splitter Verlag“ hat mit Sherlock Holmes und James Bond jeweils einen großartigen Detektiv und einen großartigen Spion im Portfolio. Zu diesen beiden britischen Protagonisten gesellt sich nun noch ein Franzose: Der namensgebende (Anti-)Held Silas Corey, der gern auch mal ein doppeltes oder gar dreifaches Spiel treibt, vereint in seinem ersten Abenteuer die Professionen, Fähigkeiten und Charaktereigenschaften beider Literaturklassiker. Also ein spionierender Detektiv? Oder ein detektivischer Spion? Und besitzt diese Mischung genug Eigenständigkeit? Bevor ich auf die eigentliche Handlung komme, möchte ich gleich mal die eingangs gestellten Fragen beantworten: Silas Corey ist so eine Art detektivischer Spion. Wobei er aber nicht unbedingt seinem Vaterland oder einem irgendwie gearteten Gerechtigkeitssinn verpflichtet ist – Beworben wird er als „Dandy und vaterlandsloser Geselle, dem es einzig und allein ums Geld geht“. Davon jedoch abgesehen, kann man so ziemlich jedes Merkmal einem der beiden „Vorbilder“ zuordnen. Um nur mal die am deutlichsten ins Auge springenden Ähnlichkeiten aufzuzählen: Der detektivischer Spürsinn, ein helfender Lakai (welcher wie Dr. Watson auch ein wenig abschätzig behandelt wird) und der Drogenmissbrauch von Sherlock Holmes. Und die überragenden Fähigkeiten als Nah- und Fernkämpfer, die Liebe der Anti-/Protagonistin (aus der, natürlich, nichts Festes wird) und generell die ganzen blitzgescheiten Geheimagenten-Kniffe von James Bond. Zugegeben, um die zweite Frage zu beantworten, die Mischung besitzt somit eher wenig Eigenständigkeit, aber trotzdem funktioniert die Figur des Silas Corey sehr gut. Man kann sich rasch mit dem Protagonisten anfreunden, um so mit ihm mitzufiebern, und um ehrlich zu sein ist so eine eckige, zwielichtige „mir geht’s nur ums Geld“-Moral auch wesentlich spannender als geradliniges „Im Dienste ihrer Majestät“. Wo wir nun also die namensgebende Titelfigur besprochen haben, kann ich ja endlich was zur Story sagen: Im Paris des Frühjahr 1917 verschwindet ein Enthüllungsreporter. Dessen Zeitung gehört dem Oppositionsführer des zerstrittenen französischen Parlaments, sodass eine politische Tat naheliegend scheint. Silas soll den Vermissten nun auffinden und gerät dabei in ein undurchsichtiges Netz aus Politik, Spionage und Vaterlandsverrat. Bald stellt sich heraus, dass alle Parteien, also verschiedenste Politiker und Geheimdienste sowie eine moralisch flexible Großindustrielle, hinter einer Briefmarke her sind. Denn diese trägt auf ihrer Rückseite eine geheime Botschaft, welche den Verlauf des ersten Weltkrieges drastisch verändern würde… Die Handlung dieses actionreichen Spionage-Thrillers ist arg undurchsichtig und wartet aller paar Seiten mit neuen Erkenntnissen und Handlungswendungen auf. Sie komplett aufzuschreiben würde den Rahmen dieser Rezension sprengen und natürlich die Spannung nehmen ;-) Enthalten ist aber so ziemlich alles, was man sich von solch einem Genre-Werk wünscht: Verfolgungsjagten, Gasangriffe, Bomben, Prügeleien, Fluchten in die Abwasserkanäle, Anschläge, Luftkämpfe… Aber eben nicht nur Action, sondern auch detektivisches Rätselraten, wechselnde Verbündete und knallharte Verhandlungen. Dabei wird die Geschichte noch dadurch aufgewertet, dass man bis zum Ende nicht ganz genau weiß, was Silas eigentlich vorhat. Nimmt er vielleicht doch einfach das Geld und lässt der Geschichte ihren Lauf? Spielt er die Konfliktparteien gegeneinander aus? Oder ergreift er letztendlich doch Partei? Die Handlung an sich konzentriert sich nahezu komplett auf Silas selbst, wodurch er im Verlauf des Buches auch ausreichend charakterisiert wird. Diese Charakterisierung erfolgt vor allem durch seine Gespräche und Interaktionen mit der Pilotin/Love Interest/Ex-Prostituierten Martha und seinem helfenden Lakaien Dr. Watson… ähm halt, falsches Buch, natürlich mit seinem asiatischen Assistenten Nam :-P Diese beiden wirklich interessanten Charaktere kommen dabei allerdings recht kurz, ich hoffe dass man in späteren Bänden mehr von ihnen erfährt. Gerade warum Nam der loyale Diener von Silas ist, obwohl dieser sich manchmal ziemlich abwertend verhält, würde mich sehr interessieren. Die übrigen Charaktere, auch der „Oberbösewicht“ (ich setze dieses Wort bewusst in Anführungszeichen), bleiben dagegen blass und sind eigentlich nicht viel mehr als Stichwortgeber. Schade, gerade bei der moralisch interessanten Thematik wäre eine genauere Gegnerzeichnung der Geschichte weiter zuträglich gewesen. Und wo wir beim Thema „moralisch interessante Thematik“ sind: Am Ende ist mir doch ein wenig der französische Patriotismus, auch eigentlich eher schon Nationalismus, aufgestoßen. Spoiler! Die friedenswilligen französischen Politiker gelten als Verräter, die ihnen helfenden Deutschen (deshalb auch das „Oberbösewicht“ in Anführungszeichen) werden aus patriotischer Pflicht gejagt. Logisch, die den Krieg weiterführen wollenden Politiker-Auftraggeber müssen ja nicht an die Front. Aber Silas, der ja angeblich vaterlandslose Geselle, der es als Ex-Soldat besser wissen müsste, wird plötzlich seiner nationalen Pflicht bewusst... Vielleicht hätten ihm die Mittelmächte einfach mehr Geld zahlen müssen ;-) Aber hey, das ist nur ein kleiner moralischer Einschub. Trotzdem ist die Geschichte lesenswert, denn sie ist spannend, durchdacht und actionreich. Dazu ist die grafische Präsentation wirklich gelungen: Zwar sind die Charaktere in einem deutlichen Comicstil gezeichnet, aber in Kombination mit den stilvollen Hintergründen und der ziemlich entsättigten Farbgebung kommt richtig viel Atmosphäre rüber. Auch die Bewegungen wirken sehr dynamisch, sodass dieser Comic wirklich ein Genuss für die Augen ist. Wie vom „Splitter Verlag“ gewohnt (der mit freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) ist auch die Druckqualität großartig. Das 128 Seiten starke Hardcover (Link) ist sowohl qualitativ als auch inhaltlich jeden seiner 24,80 € wert. Fazit: Aktuell können für mich James Bond und Sherlock Holmes einpacken, denn ihr „uneheliches Kind“ Silas Corey ist für mich gerade der neue detektivische Top-Spion :-D Die actionreiche und zugleich komplexe Handlung um den Aquila-Ring ist wirklich spannend, auch die grafische Umsetzung ist hervorragend. Gern kann der bereits angekündigte zweite Band (Link) genau so sein, lediglich noch eine etwas genauere Charakterzeichnung besonders der Nebencharaktere wäre wünschenswert. Aber um das Fazit in einem Wort zusammenzufassen: Kaufempfehlung!
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