Jetzt wird es mal wieder Zeit für ein ernsteres Buch. „Dich hatte ich mir anders vorgestellt“ ist der biografische Comic des französischen Künstlers Fabien Toulmé, der hier ein eindringliches Erstlingswerk vorlegt. Die Geschichte ist dabei rasch erzählt: Der Leser begleitet aus Sicht von Toulmé das junge Leben seiner Tocher Julia. Von den ersten Schwangerschaftsuntersuchungen über die Geburt mit der Schockdiagnose Trisomie 21 bis hin zur emotionalen Annäherung an das Kind, dass er sich anders vorgestellt hatte… Gut 250 Seiten umfassend ist diese recht einfach gezeichnete und kolorierte Graphic Novel. Aber hier kommt es auch nicht so auf die Optik an, sondern auf den Inhalt. Ich will jetzt gar nicht so viel auf die Handlung eingehen, es werden halt die verschiedenen – zumeist negativen - Erlebnisse der ersten Lebensjahre thematisiert (Schock nach der Diagnose, Krankenhaustermine, Selbsthilfegruppen, Ablehnung durch Umwelt etc.). Aber diese Erlebnisse sind nur die eine Hälfte des Buches. Die zweite Hälfte befasst sich, der Titel deutet es an, speziell mit dem Verhältnis von Vater und Kind. Die langsame emotionale Annäherung des anfangs geschockten Vaters an Julia ist subtil, nachvollziehbar und eindringlich erzählt. Wenn Toulmé am Anfang – von der Diagnose völlig überrascht - sein Kind als eine Art Fremdkörper betrachtet, sich wünscht es würde eine wichtige OP nicht überleben und tagelang durchweint, dann wird damit vielleicht ein Tabu gebrochen. Denn sowas ist zwar nicht politisch korrekt, und ich kenne tatsächlich Mamis die nach der Lektüre dieses Buches entrüstet aufgeschrienen haben dass man sein Kind doch sofort vom allerersten Moment an bedingungslos lieben müsse. Aber es ist eben auch wahnsinnig authentisch und glaubwürdig. Der Zeichenstil von Fabien Toulmé gefällt mir für solch eine Art Geschichte gut. Ohne großen Firlefanz, klare Linien, einfache Kolorierung – Nichts, was irgendwie von der Handlung ablenken könnte. Ein wenig seltsam fand ich lediglich die Zeichnungen einiger Nasen (Nadine meinte, die sehen aus wie Cthulhu-Tentakel ;-)), dafür war ich beeindruckt wie viel Emotionen die Mimik trotz der einfachen Zeichnungen rüberbringen konnte. Der „avant-verlag“ bietet für 24,95 € ein stabiles Softcover mit guter Druckqualität und gut übersetzten Texten. Fazit: „Dich hatte ich mir anders vorgestellt“ ist ein ehrliches und wichtiges Buch. Es ist informativ über die Krankheit Trisomie 21, vor allem aber es ist unbequem, weil es ein Tabu berührt. Sehr lesenswert!
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