Im letzten Jahr kamen ja in recht hoher Frequenz Abenteuer für das Steampunk- beziehungsweise Ætherpunk-Rollenspiel „Space 1889“ heraus. Und zumindest die bisher von mir rezensierten Exemplare waren dabei auch wirklich gut gelungen, nicht umsonst wurde „Der marsianische Patient“ beim Leserpreis „GOLDENER STEPHAN 2015“ zum besten Abenteuerbuch gekürt. Na da bin ich mal gespannt, ob „Das Geheimnis der London Bridge“ dieses hohe Niveau halten kann…
Dabei spielt das Abenteuer, anders als der Name vielleicht suggeriert, nicht auf der Erde. Sondern auf dem Mars, denn auf diesem ist die geheime britische Forschungsraumstation London Bridge abgestürzt. An Bord befanden sich zahlreiche Wissenschaftler, darunter auch der Mann von Lady Edith Tillington. Diese ältere Dame bittet nun die Spieler, sie auf ihrer Suche nach der London Bridge zu begleiten um sich gemeinsam durch einige der gefährlichsten Mars-Regionen zu schlagen. Doch hat die vermeintliche Witwe möglicherweise etwas zu verbergen?
Was nun folgt, ist ein im besten Sinne klassisches Mars-Abenteuer. Neutral formuliert würde man es wohl als typische „Space 1889“-Kost bezeichnen. Negativer könnte man auch sagen: Man nehme alle „Space 1889“-Klischees, werfe sie in einem Topf, teile sie sorgsam auf sechs Kapitel auf und schon ist die Standardkost ähm das Standardabenteuer fertig ;-) OK, ich will nicht negativ klingen, nennen wir es doch lieber „Best of Space 1889“:
- Mars mit Marsianern und ihrer untergegangen Kultur - Staatstragende Geheimnisse mit Geheimagenten - Diplomatie mit verschiedensten Machtgruppen - Stadtabenteuer mit Detektivarbeit - Wüsten-Survival inklusive Geheimort-Erforschung - Und natürlich Quoten-KämpfeDas möge der geneigte Leser nun bitte nicht falsch verstehen: „Das Geheimnis der London Bridge“ ist kein schlechtes Abenteuer, ganz im Gegenteil. Nein, man hat mehrere Spielabende lang wirklich Spaß damit. Aber es fehlt halt einfach das gewisse Etwas, was beispielsweise „Fremde Erde“ (Marsjunge wird Held der Londoner Arbeiteraufstände) oder „Der marsianische Patient“ (Siegmund Freud behandelt verwirrten Marsprinzen, den alle töten wollen) ausmachte. Hier fehlt halt irgendwie ein denkwürdiges Highlight. Möglicherweise war dazu die Erforschung der abgestürzten London Bridge gedacht, jedoch ist dieser Abschnitt viel zu kurz. Nur wenige Räume (mit handlungsrelevanten Elementen) sind noch intakt, und die beiden dort stattfindenden Storytwists sind jetzt auch nicht so geil (Spoileralarm: Twist 1 hat man eventuell schon vorher rausbekommen, gab ja ein paar Hinweise. Und Twist 2 fängt sich ein paar Kugeln und gut ist :-P). Die Buchqualität ist ebenfalls Standard. Allerdings reden wir hier vom „Uhrwerk Verlag“-Standard :-D Stabile Graustufen-Seiten mit gut lektorierten, zweireihigen Texten (diesmal sind mir aber 2 Fehler aufgefallen ;-)). Scharfer Druck, hübsche schwarz/weiß-Bilder, da gibt es nix zu meckern. Das 32 Seiten umfassende DIN-A4-Heft ist wieder von einem stabilen, farbigen Umschlag umschlossen. Lediglich das Titelbild, was in den vorherigen Abenteuern immer ein Lob bekam, ist diesmal etwas fad geraten. Aber sowas ist ja Geschmackssache ;-) Vielleicht auch Geschmackssache ist der Preis von 9,95 €, den ich für diesen Band jedoch als vollkommen gerechtfertigt empfinde. Noch dazu, wo das Abenteuer noch sechs Seiten wirklich gutes Quellenmaterial zur Stadt Mylarkt bietet sowie ein neues Tier und eine neue Pflanze. Fazit: „Das Geheimnis der London Bridge“ ist ein klassisches „Space 1889“-Abenteuer ohne große Highlights, dafür aber auch ohne echte Schwächen. Dazu bietet es gutes Quellenmaterial für spätere Abenteuer und die typische „Uhrwerk“-Druckqualität. Für sich genommen also guter Durchschnitt, aber im Vergleich zu „Fremde Erde“ und „Der marsianische Patient“ doch das bisher schwächste Abenteuer. PS: Leider hat es diesmal irgendwie nirgendwo in den Text reingepasst, daher nun hier noch die transparente Offenbarung: Ich bekam dieses Abenteuer vom Verlag als Rezensionsexemplar. Vielen Dank dafür!