Fantasy mag ja das populärste Rollenspiel-Genre in Deutschland sein und auch alle möglichen Spielwelten mit „…-punk“ im Namen erfreuen sich hier großer Beliebtheit. Aber immer wieder kommen auch Wildwest-Rollenspiele aus Deutschland auf den Markt: Bekannt dürfte sicher das kürzlich erschienene und ziemlich populäre „Old Slayerhand“ sein. Vielleicht kennt auch jemand noch das besonders für große Gruppen geeignete „One-trick Pony“-Mikromodul namens „Der Banküberfall“ (Link)? Komplettiert wird dieses deutsche WildWest-Trio nun durch „San Brega“, einem Rollenspiel-Komplettpaket welches sich explizit die Spaghetti-Western von Sergio Leone zum Vorbild nimmt. In „San Brega“ geht es um San Brega ;-) So heißt der fiktive, mich an Texas erinnernde staubtrockene Kontinent des Spiels. Es gibt weiße Siedler, hinterhältige Latiner (die „San Brega“-Version von Mexikanern etc.), traditionelle Ureinwohner und geschundene Sklaven. Und es gibt Waffen… Viele Waffen, und da sind wir auch schon bei den Regeln :-) Die Regeln basieren auf einem simplen W20-System, gelegentlich werden zusätzlich sechsseitige Würfel benötigt. Ziel ist es, mit einem W20 einen mit Boni/Mali bestimmten Wert zu erreichen oder gar zu unterwürfeln. Je besser dies gelingt, umso erfolgreicher war die Probe. Kämpfe sind ein wenig komplizierter, denn hier gibt der aus (Gewandtheit + Intuition + Waffenwert) geteilt durch 3 zusammengesetzte Reflexwert an wie viele Aktionen eine Person durchführen kann. Dazu gehören dann nicht nur etwa Schießen und Fluchen (!), sondern auch das Ziehen der Waffe. Um zu treffen, muss man auch wieder einen Zielwert erreichen oder unterwürfeln, dieser setzt sich zusammen aus (Geschick + Wahrnehmung + jeweiliger Waffenwert) geteilt durch 3. Der Zielwert wird dann natürlich noch von verschiedenen anderen Faktoren wie Dunkelheit, Bewegung und gewünschter Trefferzone beeinflusst. Aber im Prinzip war es das auch schon an Regeln. An zwei oder drei Stellen benötigen die Regeln meiner Meinung nach ein wenig Tuning (z.B. bei Initiativ-Gleichstand zweier Spieler, denn "Der Spieler, der die Filme von Sergio Leone häufiger gesehen hat, darf beginnen." ist eher so mitteloptimal gelöst) oder Klarstellungen, aber im Prinzip funktioniert das System. Es ist halt teilweise sehr auf episch-filmisch-überhöhte Situationen ausgelegt, beispielsweise kann mit den entsprechenden Charakterwerten das Ziehen einer Waffe, Spannen, Zielen und Abfeuern schneller gehen als ein bloßer Faustschlag... Mit optimierten Charakteren ist dann sogar noch genug Zeit, ordentlich zu fluchen, eh der Gegner zum ersten Schlag ansetzt ;-) Kämpfe sind dabei durchaus tödlich, schon ein ungünstiger Treffer kann theoretisch das Leben der Spielfigur auslöschen. Aber auch äußere Umstände wie große Hitze oder Durst können tödlich sein. Da sich die Trefferpunkte durch das Addieren der Lebenspunkte und der Willenskraft errechnen, sollte bei der Charaktererschaffung bei den acht Attributen und 34 Fertigkeiten ein wenig ge-min/max-ed werden :-P Wobei dies in diesem Spiel eigentlich auch nicht verwerflich ist, da „San Brega“ von knallharten WildWest-Helden handelt und nicht von pazifistischen Pianospielern… Sowohl die Regeln als auch die Charaktererschaffung werden in sehr guten Beispielen erklärt, sodass man wirklich rasch in das System einsteigen kann. Etwas hinderlich hierbei ist aber die Kapitelverteilung, beispielsweise liegen zwischen der Charaktererschaffung und dem dafür notwendigen Kapitel über Vor- und Nachteile erstmal rund 50 Seiten mit mehr oder minder nützlichen Hintergrundinformationen. Mag dabei die Beschreibung der Völker und der Berufe noch sinnvoll sein, sind Informationen über die Historie und die Technologie an dieser Stelle eher hinderlich. Das Regelwerk umfasst insgesamt 144 Seiten, davon entfallen lediglich 10 auf die Regeln. Auch die Charaktererstellung und –Entwicklung ist von der Seitenanzahl her relativ überschaubar. Dafür wird eine ganze Menge Hintergrundmaterial zur Ausgestaltung der Spielwelt präsentiert. Das fängt, wie oben genannt, schon mit der Geschichte der Besiedlung des fiktiven Kontinents und der verfügbaren Technologie an und geht bis hin zur Beschreibung beispielsweise der wichtigsten Städte mit ihren wichtigsten Orten (z.B. Bordell, Sherriff-Büro). Und natürlich, sonst wäre es kein richtiges WildWest-Spiel, gibt es auch Informationen zu Waffen und Whisky ;-) Auch die Tierwelt und selbst das Klima werden vorgestellt. Und wo ich gerade das Thema Tierwelt anschneide: Pferden kommt eine besondere Rolle zu, denn die sind hier die besten Freunde eines jeden Cowboys und können sogar spezielle Tricks lernen. Wer sich nun einen Charakter erstellt hat, kann ihn in zwei mitgelieferten Abenteuern ausprobieren. Die sind beide jetzt nicht großartig komplex vom Aufbau und der Dramaturgie her (kleiner Spoiler: Es dürfen eine Menge Kugeln verfeuert werden ;-)), aber passen gut zum Setting. In „Götterdämmerung“ muss ein Mordanschlag auf einen populären Geistlichen vereitelt werden, allerdings laufen die Ermittlungen recht unspektakulär und linear ab: Erst geht es zu Person/Gruppe A, die gibt Infos für einen erledigten Auftrag, welche dann zu Person/Gruppe B verweisen, die wiederum Infos gegen einen Auftrag verraten, und so weiter und so fort – Bis es zum bleihaltigen Showdown kommt. Ganz nett, mehr nicht. Die zweite Mission „Wer Leid sät…“ hat es dafür in sich. Die besteht zwar auch aus dem Abklappern von Verdächtigen, wirft dabei aber moralische Fragen auf über Schuld und Sühne – Mit reflektierenden Spielern kann das ganz großes Italo-Kino werden :-D Der Aufbau der Abenteuer ist dabei recht einsteigerfreundlich, es gibt Vorlesetexte und gut verständliche Meisterinformationen. Außerdem gibt es noch einen speziellen Abschnitt mit Tipps für angehende Spielleiter. Die 144 Seiten starke .pdf-Datei gibt es bisher nur im „13 Mann Verlag“-Onlineshop (Link) und kostet gerade mal 1,99 €. Für diesen wirklich sehr guten Preis gibt es ein vielleicht noch nicht 100%ig perfektes, aber schon funktionierendes und komplettes Rollenspielsystem mitsamt viel Hintergrundmaterial und zwei Beispielsabenteuern. Die Aufmachung ist dabei gut, zahlreiche (teils aber pixlige) historische Fotos und gut geschriebene, zweireihige Texte sorgen für passende Atmosphäre. Zugegeben, das Layout ist jetzt nicht der Oberhammer und es gibt ein paar inhaltliche und regeltechnische Unstimmigkeiten, aber hey für 1,99 € durchaus angemessen und immerhin ist das Inhaltsverzeichnis verlinkt. Fazit: Ich mag ja eigentlich keine .pdf-Texte, sondern stehe auf totes Holz zwischen den Händen :-D Für „San Brega“ hab ich mal eine Ausnahme gemacht und wurde nicht enttäuscht: Ein schnell erlernbares Regelsystem und eine ausgearbeitete Hintergrundwelt, beschrieben in guten Texten. Für 1,99 € ein absoluter Preis-/Leistungshit! Wink an den Verlag: Sollte man nochmal ein wenig Feintuning betreiben (besonders beim Layout und den Regeln) dann kauf ich es auch sehr gern als gedrucktes Buch!