„Ultima Ratio – Im Schatten von MUTTER“ hat ja wie eine Bombe eingeschlagen!!! OK, wie es sich verkauft kann ich nicht sagen, aber selten hat eine Rollenspielrezension (sowie das Autoren-Interview und der erste Quellenband) so rasch so viele Leser angelockt und so viele Kommentare (sowohl hier als auch besonders auf Facebook) produziert. Offensichtlich bewegt dieses kleine deutsche SciFi-Cyberpunk-Spiel also die Szene :-) Und sind wir mal ehrlich, mit meinem „verhalten-optimistischen“ Fazit des Grundregelwerks hab ich die zweitpositivste Kritik in der deutschen Bloggerlandschaft verfasst :-P Jetzt hab ich im oberen Absatz mein Grundregelwerk-Fazit aber ziemlich abgekürzt, daher hier nochmal der entscheidende Satz: „(Ich) kann mir gut vorstellen, dass ein wenig Fluff-Material meine bisher verhalten-optimistische Meinung noch deutlich zum Positiven ändern kann!“ Offensichtlich haben die Autoren meinen Text gelesen (oder auch den Text von jedem anderen Blogger auf diesem Planeten, die durchgehend das Fehlen von Fluff im Grundregelwerk bemängelten), denn nach dem von mir sehr wohlwollend aufgenommenen „Kolonie-Handbuch Auda“ folgt nun schon der zweite Quellenband! Da kann ich es mir doch nicht nehmen lassen, gleich „Das Lukeanische Reich“ kritisch zu beäugen ;-) Wie bei allen bisherigen „Ultima Ratio“-Rezensionen geht auch hier mein Dank an den Verlag für das bereitgestellte Rezensionsexemplar. Jetzt liegt es also vor mir, wie immer als ein durchgehend farbiges und stabiles Softcover-Heft. Was mir gleich auffällt, ist der gewachsene Umfang: 52 Seiten im Gegensatz zu den 40 Seiten der vorherigen beiden Hefte, und das bei einem stabil gebliebenem Preis von 12,95 € für die gedruckte Version beziehungsweise 9,95 € für die digitale .pdf-Version. Dafür gibt es erstmal einen Daumen nach oben, aber natürlich geht Qualität vor Quantität. „Das Lukeanische Reich“ beginnt nach einem übersichtlichen Inhaltsverzeichnis mit sechs Seiten zur Geschichte. Die ist ziemlich kriegerisch (wenn ich mir so die aktuelle Weltpolitik anschaue, kann man auch realistisch schreiben :-() und damit tendenziell eher dystopisch. Manche Handlungsverläufe kann ich nicht ganz nachvollziehen, was daran liegen könnte dass hier viele hunderte Jahre auf nur sechs Seiten zusammenpresst wurden. Aber es könnte auch daran liegen, dass hier viel mit Sektor- und Koloniebezeichnungen gearbeitet wird – Aber eine entsprechende Übersichtskarte nicht hier, sondern im Grundregelwerk zu finden ist sodass man dieses zum besseren Verständnis gleich mit aufgeschlagen haben sollte. Dies ist, und hier muss ich meinen ersten Kritikpunkt am Geschichtskapitel ansetzen, echt blöd gelöst! Vor allem, da zitiere ich mich gerne mal wieder selber, da diese Karte im Grundregelwerk halt einfach nur „eine überaus nichtssagende Sternenkarte in der Heftmitte“ ist. Da hätte man lieber tauschen sollen: Zwei Seiten Hintergrundinfos rein ins Grundregelwerk und dafür die Sternenkarte direkt zum Geschichtskapitel des Quellenbandes. Mein zweiter Kritikpunkt ist die überaus langweilige Präsentation. Klar, der zweireihige Text ist dank schwarz auf mintgrün (?) optisch gut lesbar, inhaltlich aber eher uninspiriert und trocken präsentiert. Eine reine Textwüste halt… (ok, mit einem generischen Alibi-Stimmungsbild und einer kleinen Sonnensystemkarte) Hat man sich aber durch diese wirklich zähe Geschichtsstunde gekämpft, wird es endlich interessant: Fünf Seiten befassen sich mit der namensgebenden MUTTER (alles überwachende und regulierende Super-KI) und allerlei technischen Spielereien wie KIND (“Kredit-Identifikations-Nano-Datenspeicher“ - passend dazu auch KINDlosigkeit, und dann ist man richtig am Arsch!) und UNIFORM (ja, die Autoren lieben bedeutungsschwangere Worte in Großbuchstaben – Mein persönliches Highlight ist PALADIN als Abkürzung für „Permanent Aktive Loyale Agenten des internen Nachrichtendienstes“). Auch virtuelle Intelligenzen und künstliche Lebensformen werden hier kurz thematisiert. Wieder ein wenig kurz das Kapitel, aber ein gelungener Einstieg in „Die Lukeanische Gesellschaft“. Dieses 11 Seiten umfassende Kapitel beleuchtet die soziale Struktur, das Kreditlevel-System, die verschiedenen Lebensabschnitte und das Leben allgemein (selbst so alltägliche Dinge wie Sport, Medizin und Ernährung), die Religion, die Ideologie und sogar die Lebenskosten. Fand ich durchweg wirklich spannend und ließ vor meinem geistigen Auge ein interessantes Gesellschaftskonstrukt entstehen, welches sich irgendwo bei radikal-libertärer US-„Tea Party“ (Link) mit einer Prise 3. Reich - Faschismus einpendelte. Interessant geht es auch weiter mit den Themenkomplexen Wirtschaft, Staatsordnung, (Ver-)Reisen sowie Sicherheit, Recht & Justiz. Gerade letzterer Themenkomplex vermittelt mit den Themen Totalüberwachung, gnadenlosen Kopfgeldjäger und Konzernen mit eigenen Gesetzen eine sehr dystopische Stimmung, die mich ein wenig das das große Cyberpunk-RPG „Shadowrun“ erinnert. Zu vielen dieser Themen finden sich kleine Infoboxen im Text, welche Hinweise und Anregungen für Spieler und Spielleiter bieten (wieder ein Pluspunkt). Jetzt haben wir schon über die Hälfte durch und noch immer hab ich nix dazu geschrieben, warum die Zukunft hässlich ist. Aber jetzt, versprochen :-) Am Ende werden verschiedene Kolonien mitsamt typischer Kolonisten vorgestellt. Inhaltlich wieder eines der Schmankerl des Buches, mit großen bunten und technisch sauber gezeichneten Bildern, welche typische Bewohner der jeweiligen Kolonie mitsamt kolonietypischer Kleidung zeigen. Und jetzt mal ehrlich, so wirklich guten Geschmack haben die ja mal alle nicht (und das sagt jemand, der jeden Tag in „Star Wars“-T-Shirts durch die Gegend läuft ;-)). Besonders die Babylonierin (zweite von rechts) erinnert mich irgendwie an die neuen Harlekine aus „Warhammer 40k“ und den Spartaner (zweiter von links) hab ich so im Berliner Nachtleben vor den Schwulen-Clubs rumstehen sehen ;-) OK, jetzt aber mal wieder sachlich: Abgeschlossen wird der Quellenband von zwei Seiten mit Kontakten, die glücklicherweise auch Profilwerte haben. Denn zur Erinnerung: Das Fehlen von Gegnerprofilwerten war auch ein Kritikpunkt beim Grundregelwerk. Und wo wir grad bei Kritikpunkten sind, einen Kritikpunkt hab ich noch: Der in der Spielwelt unglaublich beliebte Sport „Tanak“ wird zwar kurz erklärt. Aber eben so kurz, dass ich mir davon noch immer keine Vorstellung machen kann. Warum beispielsweise soll dieser Sport denn so brutal sein, die Beschreibung liest sich eher wie Lacrosse mit Schlittschuhen? Kommen wir also mal zur Quintessenz: „Das Lukeanische Reich“ bietet 52 Seiten randvoll mit sehr wichtigen Informationen, daher ist es prinzipiell schon mal ein Pflichtkauf! Wenn man mal von der trockenen und oberflächlichen Geschichtsstunde absieht (von allen in diesem Buch enthaltenen Informationen wird dieses Kapitel wohl am Unwichtigsten sein) bietet dieser Quellenband einen sehr interessanten Einblick in die Spielwelt von „Ultima Ratio – Im Schatten von MUTTER“. Ich kann nicht anders und muss mich nochmal selbst zitieren: „(Ich) kann mir gut vorstellen, dass ein wenig Fluff-Material meine bisher verhalten-optimistische Meinung noch deutlich zum Positiven ändern kann!“. Und nun muss ich sagen: Nach dem „Kolonie-Handbuch Auda“ war ich ja schon von der Spielwelt angetan, jetzt aber habe ich hier endlich ein stimmiges Universum um mich auszutoben. Jetzt fehlt nur noch ein vernünftiger Abenteuerband, ein paar Regelergänzungen (Blendgranaten! Beispiele für Schwierigkeiten von Proben!) und ein Spielleiterschirm (um die vielen Formeln übersichtlich darzustellen) und ich bin vollkommen zufrieden!