Schon vier Jahre ist es her, dass der Phantastik- und vor allem Horror-Kleinverlag vom namensgebenden Charmebolzen Torsten Low auf den Rollenspiel-Zug aufsprang und für seine erfolgreichste Fantasy-Reihe (mittlerweile weit über ein Dutzend Romane, Anthologien & Novellen) ein überraschend wohlwollend aufgenommenes Grundregelwerk (u.a. positive Rezensionen vom Comicdealer (Link), von Würfelheld (Link), von Greifenklaue (Link) und von Verena Jung (Link)) veröffentlichte. Dann kam Corona, wie für die meisten Kleinverlage eine etwas schwierige Zeit, sodass der erste Abenteuerband erst zum 2023er DreieichCon erschien. Ob sich die Wartezeit gelohnt hat?
Zu Beginn aber erst einmal ein dicker Disclaimer: Auch wenn ich mich natürlich immer bemühe, meine Rezensionen neutral zu schreiben, stehe ich doch in Verbindung zum „Die Herbstlande“-Rollenspiel. Denn das Grundregelwerk stammt aus meiner Feder. Mit dem vorliegenden Abenteuerband hatte ich aber nichts zu tun, wenn man mal davon absieht, dass ich wirklich jedem Verlag in den Ohren liege, dass Marco Schugk ein toller Abenteuer-Autor ist. Und der Torsten hat auf mich gehört, als es um Personalvorschläge beziehungsweise einen Ersatz für mich ging – Weil ich bekanntermaßen zwar ganz gut im Regelschreiben bin, aber ziemlich schlecht im Abenteuerschreiben ;-) Cum grano salis - Also nehmt diese Rezension hier mit einer ordentlichen Prise Salz!
„Die Herbstlande“, ursprünglich geschrieben vom Autoren-Quartett Lohwasser, Kaiser, Kempin & Siegmund (wobei letztere die „Herrin“ über das Franchise ist), bietet eine herbstliche Märchenwelt. Die drei Monate beziehungsweise Landstriche September, Oktober und November bilden eine ganze Reihe an verschiedenen Fantasy-Stilrichtungen ab, von beschaulicher Wohlfühl-Fantasy (in der September-Region würde sich zweifelsohne auch ein Hobbit wohlfühlen) bis hin zu düsterem, eisigen Grusel im November. Dabei wird die Welt an sich von märchenhaften Wesen bevölkert, etwa Kürbiswichteln und den ikonischen Laubdrachen. Viele der gar nicht mal so wenigen Menschen sind allerdings unfreiwillig aus der echten Welt gekommen – Der Versuch einer Rückkehr in die Realwelt ist immer wieder, beispielsweise im ersten Roman (Link), ein zentrales „Die Herbstlande“-Motiv. Und darum geht es auch in einem der beiden Abenteuer des 60 Seiten dicken Hardcover-Büchleins, welches damit sogar dicker ist als das eigentliche Grundregelwerk.
Den Auftakt macht das Abenteuer „Spielerseelen“ von Fräulein Spiegel, welche hier eine spielbare Fortsetzung ihrer Kurzgeschichte „Jack“ präsentiert. Praktischerweise ist diese ebenfalls im Buch enthalten, ansonsten würde man vermutlich ziemlich auf dem Schlauch stehen... In „Jack“ bringt der vom Teufel verfolgte, titelgebende Spielsüchtige die naive Amelie dazu, seine Rübenlaterne (und damit das Recht des Teufels auf die Seele des laternentragenden Opfers) zu übernehmen. Nun ist fast ein Jahr rum und Amelie flieht immer noch. Aber zum Glück rennt sie den Spielenden wortwörtlich in die Arme, welche sich als echte Tugendbolde dem Problem annehmen und eine für alle drei Konfliktparteien (Amelie, Jack & Teufel) akzeptable Lösung finden... Ich sag es direkt heraus: „Spielerseelen“ wäre eine nette Kurzgeschichte gewesen, aber es ist kein gutes Abenteuer! Denn hier werden zu viele Handlungen als gegeben vorausgesetzt, etwa dass die Spielenden alles daran setzen, um Amelie einzufangen oder dass sie sich für eine ihnen völlig Fremde mit dem Teufel anlegen – Und was mache ich als Spielleitungsneuling, wenn meine Spielrunde nicht mitmacht? Also klar, das „Die Herbstlande“-Setting intendiert schon, dass man „die Guten“ spielt. Aber man muss auch glaubwürdig bleiben, was Lösungsvorschläge wie „Wenn halt nix klappt, dann gibt doch deine eigene Seele, damit Amelie gerettet ist!“ etwas lachhaft wirken lässt... Aber ich will das Abenteuer jetzt nicht komplett zerreden, denn die Grundidee ist eigentlich ganz schön. Und mit ein wenig Anpassungen (etwa indem man den Anfang komplett überspringt und die Rettungsmission als gesetzt hinnimmt) eignet sich „Spielerseelen“ sogar gut als Promo-Kurzabenteuer für Conventions, da es mit seinem entdeckungsfreudigen, kommunikationsorientierten Fokus gut widerspiegelt, was „Die Herbstlande“ laut der Interpretation der Chefautorin Fabienne Siegmund sein soll... Wobei diese, die ja so sehr auf Werktreue achtet, hoffentlich nie dieses Abenteuer liest, da es sich ein paar künstlerische Freiheiten herausnimmt ;-)
Das zweite Abenteuer „Der Schwarm“ führt die Spielenden in ein kleines Dörfchen am Rande des Sommerwaldes, welches von einer Armee Wespengnomkrieger bedroht wird. Außerdem ist die Müllerstochter verschwunden – Ob das wohl miteinander im Zusammenhang steht? Marco Schugk präsentiert hier ein fast schon klassisches Fantasy-Abenteuer, nur eben im „Die Herbstlande“-Setting. Bemerkenswert ist dabei, dass es zwar von allen bisherigen Veröffentlichungen (inklusive dem WOPC-Gewinner und dem Abenteuer im Grundregelwerk) das nicht-linearste Abenteuer ist, trotzdem aber eines der einsteigerfreundlichsten. Gerade im Vergleich zu „Spielerseelen“ fällt deutlich auf, wer hier mehr Erfahrung darin hatte, eine Geschichte strukturiert für ein Rollenspiel zu adaptieren... Da ich aus Insider-Kreisen gehört habe, dass bereits ein Folgeband in Planung ist, hoffe ich ausdrücklich auf eine Ausweitung von Marcos Beteiligung.
Ansonsten gibt es gar nicht mehr viel zum Band zu sagen. Für glatte 15 € bekommt man ein qualitativ gut gedrucktes A5-Hardcover, bei dem auch Lektorat & Layout einen zumeist guten Job gemacht haben. Etwas verwirrend war lediglich das Gendern – Das hab ich damals beim Grundregelwerk eingeführt, hinter dieser Idee stehe ich noch immer, aber hier scheint man sich manchmal nicht so recht entscheiden zu können, ob man das Konzept jetzt durchzieht oder nicht. Aber das sind Kleinigkeiten. Gut gefallen haben mir dagegen die Illustrationen, die fand ich in diesem Band deutlich besser als im Grundregelwerk. Fans eben jenes Grundregelwerks oder generell der Literatur-Reihe können sich „Die Herbstlande: Das Rollenspiel: Abenteuerband“ (Link) also bedenkenlos kaufen, wenn sie sich denn gewiss sind, dass nur eines der beiden Abenteuer sehr gut und sofort spielfertig ist. Das andere braucht noch ein wenig Feinschliff durch die Spielleitung, weshalb es nicht für Neulinge geeignet ist, aber damit kann man es dann immerhin zu „völlig solide“ aufwerten.