Cézembre, das kleine französische Festungsinselchen mit der höchsten Bombendichte im zweiten Weltkrieg, war im Auftaktband (Link) des gleichnamigen Zweiteilers ja kaum mehr als ein Rauschen im Hintergrund, denn die eigentlichen Geschehnisse spielten noch in der malerischen Küstenstadt Saint-Malo. Aber jetzt stehen die Alliierten doch schon vor der Tür, weswegen die titelgebende Insel nun der Haupthandlungsort des Abschlussbandes ist. Offenbar hat der Autor und auch Künstler Nicolas Malfin selbst festgestellt, dass er es im letzten Band ein wenig zu gut meinte mit den zahlreichen Handlungssträngen, denn der 84 Seiten starke Comic beginnt erst einmal mit einer zweiseitigen Rückblende in Form eines Diafilms – Sehr cool und atmosphärisch, ein dickes Lob für diese kreative Idee! Jedenfalls befinden wir uns im (Spät-)Sommer 1944 in Saint-Malo, in welchem die Résistance einerseits und die Nazi-Besatzungsmacht andererseits die Ankunft der alliierten Truppen vorbereiten. Der Kleinschmuggler Ewan, dessen Vater und Onkel von den Nazis getötet wurden, will sich mit seinen Freunden dem Widerstand anschließen. Doch ein Verräter in den eigenen Reihen bringt nicht nur ihn, sondern auch seine große Liebe Françoise in Gefahr... Soviel zur Rahmenhandlung, aber dann passiert da noch viel mehr, denn auch die Besatzer haben Verräter in ihren eigenen Reihen; es wird gemeutert, gekämpft, herumgehurt; irgendwann fuchtelt selbst die örtliche Nonne mit zwei Pistolen rum ;-) Zu Beginn des zweiten Bandes ist das ganze Chaos zumindest geringfügig eingedämmt, denn die meisten Nazis (und damit so ziemlich alle Antagonisten) zogen sich auf die Festungsinsel Cézembre zurück, während sie die männlichen Stadtbewohner (und damit einen nicht unerheblichen Teil der Protagonisten) in ein nahegelegenes Fort eingesperrt haben, damit die ja nicht auf die Idee kommen, noch mehr Widerstand als ohnehin schon zu leisten. Aber der kleine Augsburger Verlag „Bunte Dimensionen“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat) hätte diesen zweiten Band ja nicht gedruckt, wenn jetzt nicht noch eine ganze Menge mehr passieren würde :-D Denn tatsächlich, auch abseits der zahlreichen Schüsse und Explosionen, passiert auf dem zumeist eng begrenzten Schauplatz der Cézembre-Festung eine ganze Menge: Die zahlreichen Prota- und AntagonistInnen verraten sich entweder gegenseitig oder aber irgendwem ihre schlimmsten Geheimnisse, schmieden waghalsige Ausbruchs- oder Einbruchspläne, kämpfen ums Überleben und vor allem ziehen immer wieder die falschen Schlussfolgerungen – Ohne jetzt zu spoilern, irgendwie geht es die ganze Zeit vor allem darum, dass irgendwer plötzlich glaubt, dass irgendjemand getötet wurde ;-) Dadurch wirkt die generell auf vielen Zufällen aufbauende Geschichte weiterhin etwas chaotisch und gehastet, weil noch jeder Nebenhandlungsstrang aufgelöst werden muss und weil sich Malfin ja wenigstens halbwegs an den historischen Gegebenheiten orientiert, aber irgendwie passt dieses narrative Chaos ja zum Szenario einer chaotischen, brutalen Belagerungsschlacht. Wie schon beim Auftaktband wären aber ein paar mehr Buchseiten oder aber ein paar weniger Figuren bzw. Story-Stränge wünschenswert gewesen, damit aus einem insgesamt guten ein sehr guter Weltkriegscomic geworden wäre. Wobei, da hätte Malfin auch ein wenig bei den Zeichnungen drauflegen müssen. Denn die sind zwar durchaus gefällig, gerade die Umgebungen, aber bei den Personenzeichnungen schwächelt er. Und dass entweder der Autor selbst, als Erfinder der Figuren, oder aber die Koloristin Meephe Versaevel auch noch scheinbar einen ziemlichen Fetisch für rothaarige Frauen hat, macht die Unterscheidbarkeit auch nicht besser ;-) Aber auch wenn ich jetzt ein wenig gemeckert habe, ziehe ich letztlich doch ein positives... Fazit: „Cézembre #2 Freie Luft“ (Link) bleibt auf dem qualitativen Niveau des Vorgängerbandes. Die beiden Bände sind nicht perfekt, gehören aber definitiv zu den besseren Vertretern der franko-belgischen Weltkriegscomics.
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