Ach, ich lerne es ja doch nie, denn immer wieder bitte ich den „Splitter Verlag“ um Rezensionsexemplare der „Splitter Double“-Reihe – Obwohl die Chance immer überdurchschnittlich groß ist, dass das wieder eine Enttäuschung wird. Noch dazu geht es um Sherlock Holmes (wie es bei gemeinfreien Figuren üblich ist, an denen sich jeder austoben kann, sind die Geschichten immer von sehr schwankender Qualität), zudem ist einer der beiden Autoren der Comic-Vielschreiber Jean-Pierre Péceau, der schon so Fantasy-Historienschinken wie „Die Macht der Archonten“ (Link) verbrochen hat... Aber es besteht Hoffnung, denn der zweite Co-Autor ist das von mir fast schon abgöttisch verehrte Comic-Genie Fred Duval, der regelmäßig in konstant hoher Qualität abliefert. Also bleibt nur die Frage: Wer von den beiden setzt sich diesmal durch?
Zugegebenermaßen habe ich den ersten Band nicht gelesen, sodass mir das Steampunk-Setting nicht bekannt war, aber schon allein das Titelbild verdeutlicht gut, worauf man sich hier einlässt 😉 Die Handlung spielt im Jahr 1900, als ein Zeppelin-Weltumrundungsrennen für weltweite Aufmerksamkeit sorgt. Aber auch für Ablenkung, denn es überstrahlt die Tatsache, dass an jedem Zwischenstopp des Rennens ein wertvolles Schmuckstück gestohlen wird. Aber natürlich sind Sherlock Holmes und Dr. Watson dem Dieb auf der Spur, denn nach wie vor ist Sherlock ebenso genial wie unsympathisch, sodass er ihn in einem Pariser Irrenhaus stellen kann. Und da gehört er (also der Dieb, vielleicht aber auch Sherlock 😜) definitiv hin, denn in ihm leben ein Dutzend verschiedene Persönlichkeiten. Das ist selbst für den Meisterdetektiv zu viel, sodass er sich die Hilfe von Psychoanalyse-Urgestein Sigmund Freud holt, der auch gleich noch das homoerotische Verhältnis von Watson zu Holmes auseinander nimmt...
Das alles passiert im ersten Teil der beiden zusammenhängenden Geschichten, welche relativ zu Beginn des zweiten Teils eine drastische Wendung nimmt: Während Sherlock noch damit hadert, dass er Superbösewicht Moriarty immer noch nicht geschnappt hat, soll er für die Ermittlungen im Fall von verschwundenen Handelsschiffen mit militärischen Gütern gewonnen werden. Zwar lehnt er ab – nicht ohne die ganze Zeit wieder zu protzen, was er aus dem Stehgreif an Ermittlungserfolgen aus dem Ärmel schüttelt – aber schon am nächsten Tag steht er selbst auf der Fahndungsliste. Denn angeblich hat er die britischen Kronjuwelen geraubt, sodass sich nun Dr. Watson und Sigmund Freud zusammenraufen müssen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen – Und die ist natürlich komplizierter, als es zu Beginn scheint...
Der zweite „M.O.R.I.A.R.T.Y.“-Band bietet einen wilden Mix aus Steampunk-Action und Krimi, wobei man allerdings leider nicht miträtseln kann, da Sherlock wie gewohnt alle Lösungen quasi direkt nach Aufkommen der Fragestellung aus dem Hut zaubert. Und außerdem ist die Story dann doch so abgedreht, da kommen durchschnittliche Cozycrime-Fans eh nicht drauf 😜 Aber das ist ja auch nicht schlimm, solange die Geschichte an sich gut unterhält, und hier wird es etwas haarig. Denn natürlich passiert immer etwas, man will den Comic nie aus der Hand legen, aber man hat auch nie das Gefühl, als würde man hier ein echtes Meisterwerk lesen. Es fehlt also das Gefühl, welches man bei „puren“ Duval-Comics hat, egal ob er Romane adaptiert (Link) oder sich die nächste Dystopie (Link) ausdenkt. Schade, hier wäre mehr drin gewesen.
Interessant ist dabei, dass ausgerechnet der zweite Teil des Doppelbandes wesentlich unterhaltsamer ist, eben weil Sherlock die meiste Zeit nicht anwesend ist. Aber auch das unfreiwillige Ermittler-Duo Watson & Freud schlägt sich ganz gut, wobei gewisse Psycho-Andeutungen (Sherlock könnte der Serienmörder Jack the Ripper sein, dazu möglicherweise Missbrauch des jugendlichen Sherlocks durch seinen Hauslehrer Moriarty) und Charakterentwicklungen (Watson als homophober Antisemit) auf mich eher verstörend gewirkt haben. Und apropos, ich will da ja nichts hineininterpretieren, aber Pécau-Geschichten haben immer so einen ganz seltsamen Vibe, wenn es um jüdische Figuren geht. Aber gut, das führt jetzt zu weit, kommen wir lieber zum...
Fazit: Okay, so schlimm war es dann doch nicht. „M.O.R.I.A.R.T.Y #2 Der Dieb mit den hundert Gesichtern“ (Link) ist ein positiv formuliert grundsolider, negativ formuliert äußerst mittelmäßiger Sherlock-Comic, bei dem die besten Momente sind, wenn er gar nicht da ist 😉