Der durchschnittliche deutsche Rollenspiel-Fan assoziiert den Begriff Metaplot (also quasi die allumfassende Hintergrundgeschichte, die mit jedem Abenteuer, jeder Kampagne und sogar jeder Ingame-Zeitschrift weitergesponnen wird) ja vorrangig mit „Das Schwarze Auge“. Aber auch „Shadowrun“ ist bei diesem Thema ganz vorn mit dabei. Zur Zeit (2082 in der Spielwelt, 2023 in der amerikanischen und 2024 in der deutschen Realwelt) gibt es einen massiven Umbruch, der die gesamte 6. Welt erschüttert und der nebenbei noch eine ganze Reihe an wichtigen Nichtspielercharakteren ins Gras beißen lässt. Und wer ist da natürlich wieder mittendrin? Genau, die Spielenden, und zwar im neuen Abenteuerband „Domino-Effekte“.
Dieser Abenteuerband ist, wie man es von „Pegasus Press“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) kennt, wieder als schwarz-weiß-graues Softcover zum aktuellen Standardpreis von 14,95 € erschienen. Das ist immer noch ein Kampfpreis, bekommt man doch 76 eng bedruckte Seiten mit einer aus drei (auch einzeln spielbaren) Abenteuern bestehenden Mini-Kampagne. Und die hat es in sich! Aber ist sie auch gut?
Als „Shadowrun“-Fan, der tief mit Metaplot verwurzelt ist, muss die Antwort wohl irgendwo zwischen „Definitiv!!!!einself“ und „Absolut phantastisch legendär!“ liegen – Zumindest kamen diese Antworten aus meinem „Shadowrun“-spielenden Freundeskreis. Denn aktuell gibt es einen großen (und gar nicht mehr so geheimen) Untergrundkrieg der Disianer gegen die Grauen Zelle gegen die Staatsmächte. Spannend und hochpolitisch, so mögen wir unser „Shadowrun“ 🙂 Bekanntermaßen bin ich aber nun nicht Metaplot-affin, weil wir in unserer Testgruppe die Abenteuer immer "nur" als OneShots spielen (sonst würden wir mit dem Probespielen gar nicht mehr hinterherkommen 😉), also sehe ich „Domino-Effekte“ einfach nur als Mini-Kampagne oder Abenteuersammlung. Na mal schauen, ob ich trotzdem Spaß habe...
Der Auftakt „Disruption“ umfasst fünf Szenen und spielt in einer Hamburger Großraumdisco. Eigentlich sollen nur ein paar „Szenestars“ getroffen werden, um ein wichtige Daten abzugreifen, aber dann gibt es natürlich eine fette Schießerei, die mit einer wilden Flucht über die Elbe endet.
Die gesammelten Daten werden dann nach Berlin gebracht, wo das lediglich drei Szenen umfassende 2. Abenteuer „Dissenz“ spielt. Hier sollen sie den wohl wichtigsten Berliner Politiker und eine für den Anti-Disianer-Kampf wichtige Substanz schützen, aber auch das geht so richtig schief. Zu allem Übel mischt dann auch noch eine sexy Vampirin mit...
Waren die ersten beiden Abenteuer noch relativ kurz und lokal begrenzt, bietet „Disintegration“ als Abschluss einen sich über sieben Szenen erstreckenden wilden Ritt einmal quer durch Deutschland. Erst muss sich das Team irgendwie von Berlin nach Dortmund durchkämpfen (und wie im echten Leben leider auch ist die ostdeutsche Provinz nicht der idealste Ort für eine bunte, diverse Truppe), dann geht es unter Tage zu einem wahrhaft explosiven Finale, welches den gesamten Ruhrpott durcheinander wirbeln wird.
„Domino-Effekte“ muss man, glaube ich, aus drei verschiedenen Perspektiven betrachten. Erstens als den Metaplot beeinflussendes Event. Hier funktioniert der Band phantastisch, allein wie der Ruhrpott und (je nach dem Erfolg der Spielenden) auch Berlin hinterher aussieht, wird jedem „Shadowrun“-Fan die Freudentränen oder aber den Angstschweiß ins Gesicht treiben. Betrachtet man „Domino-Effekte“ aber als für sich stehende Mini-Kampagne, bin ich immer noch sehr angetan. Hier gibt es Action vom Anfang bis zum Ende; wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass sich die ersten beiden Abenteuer (besonders „Dissenz“, wenn man sich nicht für die Berliner Politik interessiert) lediglich wie „halbe“ Missionen anfühlen – In jedem anderen „Shadowrun“-Band wären das nur ein, zwei Einzelszenen in einer „handelsüblichen“ Mission gewesen; hier dagegen werden sie (wegen den ganzen Metaplot-Implikationen) jeweils zu „richtigen“ Missionen aufgeblasen. Und damit sind wir auch schon bei der dritten Perspektive, nämlich als (die durchaus mögliche) Sammlung von einzeln spielbaren Missionen: „Disruption“ und „Dissonanz“ sind zwar bleihaltig, aber alleinstehend eher durchschnittliche, kurze Standardware. „Disintegration“ dagegen ist „ein vollwertiges“ Abenteuer, filmreif von Anfang bis Ende, allein dafür (und vor allem für das bedröppelte Gesucht der Spielenden am Ende, wenn sie die Konsequenzen ihrer Handlungen sehen) lohnt sich der Band schon...
Fazit: „Shadowrun: Domino-Effekte“ (Link) ist ein Pflichtkauf, wenn man auf den Metaplot steht. Er ist auch eine gute Investition, wenn man ihn „nur“ als Kampagnenband spielt. Lediglich in dem (zugegeben eher unwahrscheinlichen) Fall, dass man sich hier völlig losgelöst die Abenteuer als OneShots rauspicken will, sollte man eventuell eher auf eine der anderen „Shadowrun“-Abenteuersammlungen (z.B.„Schattengeschäfte“ (Link), große Empfehlung!) zurückgreifen.