Das Mittelalter-Rollenspiel „Soudard“ ist für mich, zumindest Stand heute, der Indie-Geheimtipp dieses Jahres. Taktische Großschlachten, welche die gleichen W10-Regelmechaniken wie für intime Intrigen & erzählerisches Sozialspiel verwenden, gepaart mit historischer Authentizität – Allein das Konzept von „Soudard“ hatte schon mein Interesse geweckt, bevor dann dessen Autor Alexander Lenz (Link) anschließend im Podcast (Link) final meine Begeisterung entfachte. 
 

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Aber wir wissen alle (ich als Rollenspiel-Autor aus eigener Erfahrung 😉), dass ein gutes Regelwerk allein nicht ausreicht. Denn wenn die Folgepublikationen verkacken, ganz besonders die ersten offiziellen Abenteuer, dann ist die anfängliche Euphorie ganz schnell vorbei. Und so war ich natürlich äußerst gespannt, wie sich das schlicht „Abenteuer Anthologie I“ genannte Werk so schlagen würde. Drei grundverschiedene Kurzabenteuer auf 80 Seiten, die jeweils beispielhaft für das Leben einer Söldnerkompanie im Hundertjährigen Krieg sind, das klang schon mal vielversprechend. Allerdings ist „Soudard“ bei aller W10-Taktik ja im Herzen trotzdem noch ein Erzählspiel, weshalb ich jetzt keinen klassischen Dungeon mit Battlemap erwarten durfte. Also mal schauen wir mal, ob ich mich da trotzdem irgendwie durchgekämpft habe:

  • Gleich beim ersten Abenteuer schafft es Alexander, den vermutlich unpassendsten oder aber zynischten Titel aller Zeiten zu nutzen. Denn 1347 bricht in Nantes die Pest aus, was zu Panik & Pogromen führt, während die Spielenden wegen Trunkenheit ins Gefängnis wandern – Ob das wirklich ihr Glückstag ist?

  • War das erste Abenteuer noch relativ klassisch und auch verhältnismäßig linear, gibt es diesmal fast schon so etwas wie eine kleine „Open World“. Denn in einer nordfranzösischen Grafschaft kämpfen 1422 Zwei Wirklich Beste Freundinnen um die Macht. Aber wer schert sich schon um adelige Ränkespiele, wenn zugleich kultische Rituale die Bevölkerung in Angst & Schrecken versetzen, ein Steuereintreiber verschwindet und die Bauern immer mal wieder den Aufstand proben?

  • Nach dem Herumstreifen in der weitläufigen Region Loiret werden die Spielenden im letzten Abenteuer fast schon mit so einer Art „Closed Room“ konfrontiert. Eigentlich sollen sie nur Die Finger des Polonius eskortieren, eine heilige Reliquie, doch bei einem Zwischenstopp in der burgundischen Abtei Bèze werden sie 1420 von einer vielfach stärkeren Streitmacht belagert. Rasch gehen ihnen die Vorräte aus, zudem greift langsam der Wahnsinn um sich...

Ich würde übertreiben, wenn ich jetzt von drei ganz verschiedenen Abenteuern spreche, aber man merkt schon deutlich den unterschiedlichen Fokus der Geschichten. „Glückstag“ ist relativ linear und simpel gehalten (rein in den Knast, dann irgendwie wieder raus, dabei nach Möglichkeit nicht mit der Pest infizieren, zuletzt eine fette Schlacht als krönenden Abschluss), weshalb ich es als gutes Einstiegsabenteuer einordnen würde. Gerade auch, weil durch Pest & Pogrome gleich mal klar gemacht wird, was für eine verheerende Stimmung man im krankheits- & kriegsgebeutelten Mittelalter-Frankreich erwarten kann. Sogar noch ein ganzes Stück verheerender ist die Stimmung im ebenfalls recht linearen „Die Finger des Polonius“. Hier beendet man den Spieleabend, selbst wenn man die Belagerung überlebt, definitiv nicht mit guter Laune. Denn dafür wird man mit zu vielen tragischen und bedrückenden Schicksalen konfrontiert – Was jedoch, da das Abenteuer auch gewisse Mystery-Anteile enthält, gerade für „Cthulhu“- oder „Kult“-Fans durchaus ansprechend sein dürfte. Entsprechend sollte die Spielleitung aber auch erfahrener sein, denn neben dem Etablieren der düsteren Atmosphäre muss diese im Hintergrund auch verschiedene Spielwerte (z.B. Durchhaltewille, Nahrungsvorräte & Wahnsinn) verwalten. 
 

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Ganz anders ist dagegen „Zwei Wirklich Beste Freundinnen“, da die Söldnertruppe hier frei von Ort zu Ort zieht, um verschiedene kleine (und mitunter zusammenhängende) Ereignisse zu erleben. Persönlich fand ich dieses Abenteuer deutlich schwächer als den Rest, was aber auch an meinen persönlichen Spielvorlieben liegen kann. Aber irgendwie gibt es dann doch zu viele knapp, aber gut beschriebene Orte und Personen, zwischen denen man halbwegs ziellos hin und her zieht, bis sich der Adelskonflikt aufgelöst hat. Daher würde ich „Zwei Wirklich Beste Freundinnen“ auch weniger als alleinstehendes Abenteuer sehen (so wie die anderen beiden), sondern vielmehr als Rahmen für eine kurze Kampagne, in welcher man auch noch andere kleinere und größere Ereignisse (hier bietet die Söldnertruppen-Verwaltung des Grundregelwerks ja zahlreiche Möglichkeiten) einfließen lässt, um dann über fünf, sechs, sieben Spieleabende eine spaßige Kampagne zu erleben. Dem gegenüber sind die anderen beiden Abenteuer jeweils an einem, maximal zwei Spieleabenden abhandelbar.
 

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Inhaltlich passt also alles, aber auch die Präsentation geht – gerade im Hinblick darauf, dass Alexander (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) hier ein massives Ein-Mann-Projekt stemmt – völlig in Ordnung. Wer sich durch das Grundregelwerk gearbeitet hat, wird mit der Aufbereitung & dem Layout der drei Abenteuer keinerlei Probleme haben. Zehn Euro für die PDF, egal ob auf deutsch oder englisch, das ist ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Noch vor dem „DreieichCon“ nächstes Wochenende wird es zudem eine Druckversion geben, welche ebenfalls völlig in Ordnung gehende 15 € zu Buche schlägt.

Fazit: Von „Soudard“ (Link) war ich ja schon vorher ziemlich angetan, aber die „Abenteuer Anthologie I“ (Link) hat mich nochmal ein Stückchen heißer gemacht aufs taktisch-erzählerische Rollenspielen im halbwegs realistisches Mittelalter. Wer sich also das Grundregelwerk kauft, kann sich absolut bedenkenlos den Abenteuerband dazu holen.