Der „Splitter Verlag“ ist ja vor allem dafür bekannt, dass er hierzulande beste franko-belgische Phantastik publiziert – An dieser Stelle kämen jetzt sonst immer Beispiellinks, aber das wären so viele, das würde die Artikellänge verdreifachen ;-) Manchmal aber widmen sich die sympathischen BielefelderInnen der Hochkultur, denn immer wieder werden auch großartige Literaturklassiker in Comicform eingedeutscht, zuletzt etwa der irritierende „Bartleby, der Schreiber“ (Link) und der aufrührerische „Die Zeit der Wilden“ (Link). Gerade der letztgenannte Band war mit knapp 300 Seiten schon ein echter Brocken, aber „Von Mäusen und Menschen“ (einem US-Literaturklassiker über den amerikanischen Traum, von dem selbst Nicht-Lesende zumindest mal gehört haben dürften) legt nochmal einen ganzen Batzen Papier oben drauf: 424 Seiten dick ist diese Comic-Adaption, was fast viermal so dick ist wie die 1937 erschienene Romanfassung! Aber bekanntermaßen kommt es ja nicht auf die Größe an... „Von Mäusen und Menschen“ erzählt über sechs Kapitel hinweg die Geschichte der beiden Wanderarbeiter George und Lennie. Letzterer ist groß und stark, aber geistig auch sehr eingeschränkt, sodass er mit vielen Situationen des täglichen Lebens und vor allem aber seiner Körperkraft nicht richtig umgehen kann. Dies führt oft zu Problemen, etwa wenn er in seiner kindlichen Naivität zu Beginn der Geschichte einfach nur den Stoff eines Kleides streicheln will, deren Trägerin dies aber für einen Übergriff hält. Und immer wieder will er kleine Dinge streicheln, etwa Mäuse, die er dann aus Versehen tötet. Nichtsdestotrotz schafft es der sehr viel klügere, sich liebevoll im Lennie kümmernde George, dass sie auf einer Farm als Hilfskräfte angestellt werden. Dort lernen sie den Mikrokosmos der Landarbeiter kennen, etwa den gewitzten Vorarbeiter Slim, den gebrechlichen, einarmigen Candy und den rassistisch diskriminierten Crooks. Schnell fügen sich George und Lennie durch ihre Arbeitsfreude in die Gemeinschaft ein, angetrieben von dem gemeinsamen Traum einer eigenen Farm. Für diesen Traum können sie auch einige der Landarbeiter begeistern, doch das Schicksal meint es nicht gut mit ihnen, denn Curley (der Sohn des Farmbesitzers) ist ein echter Raufbold. Dessen Frau macht allen schöne Augen, sodass sich der durch Eifersucht angetriebene Curley mittels Prügeleien profilieren will. Doch bei Lennie gerät er da an den Falschen... Denn da Lennie seine Kraft nicht einschätzen kann, bricht er ihm sozusagen im Handumdrehen dessen Finger. Was vielleicht für Curley eine Warnung ist, aber nicht für seine flirtende Frau – Lennie, von ihrer Annäherung und auch von seiner eigenen Kraft überfordert, bricht ihr aus Versehen das Genick! Ein Unfall, aber die von Curley aufgehetzten Farmarbeiter wollen Rache! George muss sich entscheiden, auf welcher Seite er steht... Und genau mit dieser schwierigen Entscheidung enden sowohl der Roman als auch der Comic. Und letztgenannter ist wie bereits oben erwähnt ein echter Brocken! 424 Seiten, durchweg händisch gezeichnet von Rébecca Dautremer, warten auf motivierte Lesende. Und eine gewisse Grundmotivation muss man wirklich mitbringen, denn Anfangs zieht sich die Geschichte doch ein wenig (denn auch Literaturklassiker sind nicht immer perfekt :-P). Auch die wechselnden Zeichenstile wirken etwas unruhig & unrund, bevor man richtig interpretiert, was die Künstlerin damit eigentlich jenseits des Romantextes ausdrücken will. Hier dauert es etwas, bis so ein kleiner Aha!-Erkenntnismoment kommt, aber danach ist man ganz und gar begeistert :-D Und ich denke, das beschreibt „Von Mäusen und Menschen“ eigentlich ganz gut: Man benötigt erst etwas Zeit und Motivation, um zu verstehen, was man hier eigentlich für eine großartige Comic-Adaption vor sich liegen hat. Aber dann, wenn es sozusagen Klick gemacht hat, ist man dem „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) umso dankbarer, dass sie dieses Mammutwerk übersetzt haben. Fazit: Lasst euch nicht von dem Preis von 49,80 € abschrecken, lasst euch nicht von den (nur auf dem ersten Blick) unrunden Zeichnungen abschrecken, sondern stellt euch „Von Mäusen und Menschen“ (Link) ins Regal! Besser kann man so einen schwierigen Literaturklassiker nicht umsetzen :-)
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