Erinnert sich noch jemand an meinen Verriss der „Die Chroniken von Under York“-Reihe (Link)? Damals wurde ich fast schon depressiv, weil die wunderschönen Zeichnungen an so eine schreckliche Story verschwendet wurden. Und eben jene Zeichnungen stammten von der italienischen Künstlerin Mirka Andolfos, welche in der „Sweet Paprika“-Reihe nun beweisen kann, dass sie erstens nichts von ihrem Zeichentalent verlernt hat und zweitens auch noch eine gute Autorin ist :-) Und zumindest die zahlreichen Lobeshymnen anderer Comic-Bloggende lassen mich ja schon mal hoffen, dass Mirka wirklich mehr kann als nur hübsche Bildchen...
Ein fiktives New York wird von Engeln, Teufeln und Dämonen bevölkert. Die junge Teufelin Paprika ist eine von ihnen und noch dazu eine große Nummer in der Kulturszene: Als Kreativdirektorin eines der größten Verlage der Welt hat sie sich vom Job einer einfachen Lektorin bis ganz an die Spitze gekämpft. Dafür brauchte sie eiserne Disziplin und auch ordentlich Ellenbogeneinsatz, sodass sie weder im beruflichen noch im privaten Umfeld irgendwelche Freundschaften hat. Auch an eine Beziehung ist nur schwer zu denken, denn schon beim kleinsten romantischen oder sexuellen Gedanken kommt Paprika ihr dominanter Vater in den Sinn, der nicht nur Strebsamkeit predigte, sondern auch Züchtigkeit. Also keine idealen Voraussetzungen in einer Welt, deren Fokus so stark auf offen thematisierter Sexualität liegt... Paprika stürzt sich daher umso mehr in Arbeit, doch bringen sie mehrere einschneidende Erlebnisse aus ihrem altbewährten Handlungsmustern: Einerseits gibt es rund um ihren Vater gleich zwei Schicksalsschläge, andererseits muss sie im Sinne der Firma an einer Abendveranstaltung teilnehmen, bei welcher sie sowohl auf ihren einzigen Exfreund als auch auf einen potentiellen, aber sehr fordernden Beziehungskandidaten trifft. Und dann ist da noch der dauergeile Lieferjunge, der nicht nur den halben Verlag flachgelegt hat, sondern auch besonders auf sie ein Auge wirft...
Bevor ich zum Inhalt komme, lasst uns schnell das Offensichtlichste abhandeln: Mirka Andolfos zeichnet erneut ganz wunderbar. Ob das nun wirklich so sexy ist, wie der „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) auf seiner Webseite behauptet, möchte ich zwar in Zweifel ziehen, da die gelegentlichen Aktdarstellungen gerade durch den Fantasy-Aspekt und die kunterbunte Kolorierung sehr karrikaturhaft wirken. Aber ja, das sieht schon alles sehr hübsch aus, gern mehr davon :-D
Okay, jetzt kommen wir also zur Hauptfrage: Kann Mirka Andolfos auch eine gute Geschichte erzählen? Es ist kompliziert... Paprika, die eindeutig im Fokus der Handlung steht, wird als eine durchaus ambivalente Figur dargestellt. Immer wieder ertappt man sich beim Lesen, gerade im Hinblick auf ihre Sex- & Sozialphobie, so etwas wie Mitgefühl aufkommen zu lassen. Paprika kann einem wirklich leidtun – Aber nur für wenige Seiten, denn dann ist sie wieder übertrieben gemein zu ihren Mitmenschen. Das ist vermutlich sogar eine recht treffende Darstellung von vielen Konzern-SpitzenfunktionärInnen, aber sympathisch ist das halt nicht. Auch wirkt ihre geistige Verknüpfung von Sexualität und strengem Vater (sie kann z.B. nicht zum Orgasmus kommen, weil sie ihn direkt im Ohr hat, wie er sie als Flittchen beschimpft) sehr wenig passend zur restlichen Charakterisierung der Figur: Wenn sie schon so einen harten Leidensdruck hat - und die in diesem 112 Seiten starkem Sammelband enthaltenen ersten vier Kapitel bzw. Einzelhefte drehen sich im Prinzip pausenlos um ihr Leiden - dann würde solch eine auf Effizienz, Optimierung und auch Hedonismus bedachte Person das Problem doch direkt angehen (nämlich durch ein wenig Therapie oder, damit es in ihrem Umfeld cooler klingt, mit einem Mental-Health-Coach). Stattdessen leidet sie fast eine Dekade vor sich hin, um dann (okay, es gibt einen Trigger, aber das wäre jetzt ein Spoiler) eine 180-Grad-Drehung zu machen und plötzlich ihr eigenes „Ich werde zur geilsten Bitch“-Handbuch umzusetzen...
Ich verstehe schon, dass Mirka hier die sexuelle Emanzipation thematisieren will, gerade im Hinblick auf die Loslösung von einer patriarchal-konservativen Sexualmoral. Aber das macht sie hier so plakativ, ungalant und eben nicht zur Protagonistin passend, dass ich fast nur mit den Augen rollen kann. Stattdessen wird das misogyne Klischee bedient, dass Frauen doch gleich viel freundlicher sind, wenn sie nur mal ordentlich durchgenudelt wurden... Immerhin, und das findet sich nicht bei allen vergleichbaren (Comic-)Sexgeschichten, wird hier auch das gegenseitige Einvernehmen thematisiert. Dafür gibt es einen Daumen hoch :-)
Erwähnenswert ist sicherlich noch der Lieferjunge Dill, der als extrovertierter Sunnyboy das absolute Gegenteil von Paprika darstellt. Im Rahmen seiner Möglichkeiten (sein Nebenhandlungsstrang ist sehr viel kürzer, er dürfte als willfähriger Erfüllungsgehilfe von Paprikas „Lehrplan“ aber sicher bald mehr Raum bekommen) ist auch er ambivalent, da er bei aller Sexpositivität den Beischlaf mit einem moralischen Kompass beziehungsweise mit bestimmten Prinzipien vollbringt. Auch leidet er unter seinem Dauergeilen-Image und ist damit das erzählerische Gegenstück von Paprika, die als prüde Introvertierte ebenso unter ihrem Image leidet. Ich bin gespannt, wie die Geschichte weitergehen wird (das Cover des 2. Bandes deutet eine Dreiecksbeziehung an), weil man bei dieser erzählerischen Ausgangslage natürlich als AutorIn natürlich immer die Gefahr hat, die Charakterentwicklung durch Klischees in den Sand zu setzen... Also ja, mein Mirka hat mein Interesse geweckt, aber die Lobeshymnen der Blogger-KollegInnen kann ich absolut nicht nachvollziehen.
Fazit: „Sweet Paprika #1“ (Link) sieht wieder gut aus und liest sich überaus solide, hat mit Paprika aber eine eher schwache, nicht ganz durchdacht wirkende Protagonistin.