Es gibt (nebenbei bemerkt viel zu viele) Comics, an die man zu Beginn enorme Erwartungen hat und die dann, möglicherweise sogar erst nach einem richtig guten Auftaktband, richtig abkacken. Und dann gibt es mit „Rorschach“ das genaue Gegenteil: Ich hab nichts erwartet (denn die bisherigen „Watchmen“-Nachfolger/SpinOffs waren ja oft nur Geldmacherei...) und war dann völlig überwältigt! Drei Bände lang ein Hochgenuss, aber wie schlägt sich der Finalband?
Rorschach ist tot – Schon wieder! Denn erst starb er im originalen „Watchmen“ von Alan Moore, dann starb ein als er verkleideter Nachahmungstäter beim Versuch, den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Turley aus dem Weg zu räumen. Aber warum? Und wie wurde aus dem unscheinbaren, sichtlich gealterten Comic-Zeichner Wil Myerson eigentlich ein Attentäter? Und die junge Waffenliebhaberin Laura, warum hat sie ihm als „The Kid“ verkleidet geholfen? Fragen über Fragen, die der namenlose Ermittler für Turley beantworten soll. Denn dieser glaubt nicht der offiziellen Polizeiversion, sondern er vermutet vielmehr seinen politischen Konkurrenten Robert Redford, der als Präsident wiedergewählt werden will...
Im vierten und letzten Sammelband scheint das Komplott von Präsident Redford nun endlich aufgeflogen zu sein. Ganz akribisch legt der noch immer namenlose Ermittler seinem Auftraggeber, Turleys Wahlkampfkoordinator, seine Ergebnisse vor. Also alles in Ordnung, die Welt gerettet, Redford aus dem Amt gejagt? Nein, denn der Ermittler kann einfach nicht aufhören zu ermitteln und entdeckt so, dass alles ein noch größerer Schwindel ist, als er es in den letzten drei Sammelbänden vermutet hatte... Und sein Eindringen in Lauras Psyche hat bei ihm seine Spuren hinterlassen, denn plötzlich hat selbst das innigste Bedürfnis ihr Attentat nachzuholen!
Und das ist vielleicht die einzige Schwäche dieses durch und durch grandiosen, insgesamt sehr textlastigen Abschlussbandes: Warum handelt der Ermittler so, wie er eben handelt? Hier lohnt es sich durchaus, noch einmal alle vier Bände am Stück zu lesen, denn der Autor & Ex-Agent Tom King hat hier einen (trotz Superhelden-Bezug) überraschend realitätsnahen, komplexen Polit-Thriller verfasst, der mit seinen aktuellen Gegenwartsbezügen (z.B. Incels, politische Radikalisierung und Flucht in Drogen) der bisher einzig wirklich legitime „Watchmen“-Nachfolger ist! Wobei ich damit die grandiose HBO-Serie nicht abwerten will, aber die hat im Gegensatz zu „Rorschach“ gegen Ende hin (besonders, aber nicht nur bei der Inszenierung) etwas geschwächelt. Dagegen bleibt dieser Comic auch inszenatorisch absolut stabil, wobei man natürlich dem Zeichner Jore Fornés auch viel Lob zusprechen muss.
Also eine wahnsinnig tolle Comic-Reihe, für deren Abschlussband alle „Watchmen“-Fans völlig bedenkenlos die 15 € zahlen können, welche „Panini Comics“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) für das 76 Seiten starke Hardcover verlangt.
Fazit: „Rorschach #4“ (Link) knüpft qualitativ an die bisherigen Bände an und schließt damit eine der besten Comic-Reihen dieses noch jungen Jahrzehnts ab!