Ich gehöre eigentlich zu den Comic-Fans, die immer offen für neue Interpretationen eines bekannten Stoffs oder auch von Fortsetzungen sind. Die vermutlich einzige Ausnahmen ist da aber „Watchmen“ von Alan Moore, den ich für das Comic-Meisterwerk schlechthin halte. Nun gibt es dazu mittlerweile aber immer mal wieder neues (Comic-)Futter, das manchmal sehr schwach war (einige Titel der „Before Watchmen“-Reihe) und manchmal sehr viel besser als erwartet (die TV-Serie von HBO). Mit „Rorschach“ kommt nun eine weitere Comic-Miniserie hinzu, deren 12 Kapitel bzw. US-Hefte vom preisgekrönten Ex-Agenten Tom King geschrieben und von Jorge Fornés gezeichnet wurden. Na mal schauen, was das Kreativduo mit der Lizenz so anstellt...
Rorschach ist tot! Also ja, das wissen „Watchmen“-Fans schon seit der Lektüre des Original-Comics (den man hierfür übrigens zwingend gelesen haben sollte), aber doch stirbt er gleich auf der ersten Seite des Auftaktbandes nochmal, als er in einen Anschlag auf den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Turley verwickelt wird. Klar, das war nicht der originale Walter Kovacs, sondern stattdessen der Comic-Zeichner Wil Myerson. Ein alter, zurückgezogener Mann, der eigentlich nichts mit Rorschach zu schaffen hatte – Wie wird aus so jemandem ein Attentäter? Hat es vielleicht etwas zu tun mit der waffenvernarrten jungen Frau Laura, die als The Kid gegen das Unrecht kämpft und den festen Glauben daran hat, dass die Rorschachs Seele wiederkehrt und außerirdische Tintenfische das Hirn angreifen? All das soll der namenlose Protagonist für Turley herausfinden, welcher den offiziellen Ermittlungsergebnissen nicht traut und stattdessen einen Anschlag des linken US-Präsidenten Robert Redford vermutet.
Der originale „Watchmen“-Comic war auch deshalb so erfolgreich, weil er das damalige Weltgeschehen des Kalten Krieges künstlerisch verarbeitete und die immanente Gefahr der nuklearen Auslöschung atmosphärisch dicht widerspiegelte. Und das machte auch die in der Gegenwart angesiedelte TV-Serie so gut, welche eben die heutigen Gesellschaftsprobleme (Rassismus, Polizeigewalt etc.) thematisiert. „Rorschach“ spielt nur einige Jahre zuvor und ist damit noch bedrückend aktuell: Vor dem Hintergrund des US-Wahlkampfs geht es um Verschwörungstheorien, Fake News, die Gefahren von „Homegrown Terrorism“, gesellschaftliche Spaltungen und soziale Abgehängtheit (etwa um die Flucht in Drogen und Incels). Damit greift der Autor tatsächlich den „Watchmen“-Geist auf und macht seine zwölfteilige Comic-Miniserie, welche von „Panini Comics“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) in vier jeweils drei Kapitel umfassende Hardcover-Bände veröffentlicht werden, zu einer tatsächlichen Bereicherung des „Watchmen“-Kosmos!
Knallharte Vigilanten-Action, wie es der Titel „Rorschach“ und auch die jeweiligen Cover vermuten lassen, gibt es hier indes kaum zu sehen. Stattdessen geht es um Ermittlungsarbeit, daher viele Gespräche, welche die Hintergründe rund um den neuen Rorschach und The Kid aufdecken. Echte Ermittlungsarbeit eben ;-) Und das ist unfassbar spannend, gerade jetzt im zweiten Sammelband, da die AntagonistInnen immer komplexere Charaktere werden und auch das Rätsel rund um den Anschlag noch lange nicht gelöst ist. Also auf der Story-Ebene wirklich toll, aber auch optisch macht die Reihe eine ganze Menge her: Jorge Fornés zeichnet auch dank der Kolorierung sehr atmosphärisch und ist, bei aller gebotener Modernisierung, doch noch nah genug am Original-Zeichenstil. Also eine wirklich feine Sache, sodass ich nach 2 von 4 Sammelbänden anfange zu hoffen, dass „Rorschach“ die legitime Fortsetzung des „Watchmen“-Meisterwerks ist!
Fazit: Wie gesagt, ich bin als „Watchmen“-Purist immer sehr skeptisch, wenn man sich an Alan Moores Meisterwerk vergreift. Aber spätestens der ebenfalls wieder 76 Seiten starke 2. „Rorschach“-Sammelband (Link) zeigt jetzt eindrucksvoll, wie eine gelungene und komplexe Fortsetzung aussehen sollte. Zum jetzigen Stand, nach 2 von 4 Sammelbänden, also eine absolute Empfehlung!