Der Facebook-Algorythmus muss wohl gemerkt haben, dass ich Solo-Spielbücher mit Rätseln und natürlich Detektivrollenspiele mag, denn die letzten Wochen wurde ich mit Werbung für „Such den Mörder“ (Link) zugeschüttet, welche angeblich echte Polizeiarbeit bietet. Da einer der Firmengründer laut Webseite seit zwölf Jahre im Polizeidienst tätig ist, war ich natürlich gespannt, ob der digitale Kriminalfall „Datei Asche“ authentisch wirken würde... Eine Bewohnerin des Altersheims „Die Silberbirke“ ist verstorben. Normaler Alltag, denn die Frau war schon alt. Doch beim Ausräumen des Zimmers wird eine mit Asche gefüllte Urne gefunden – Ein Mordfall? Genau das sollen die SpielerInnen herausfinden... Normalerweise schreibe ich ja immer erst am Ende einer Spiele-Rezension, was sich so alles in der Verpackung an Spielmaterial befindet. Hier ist diese Information aber von vornherein wichtig, damit man keine falschen Erwartungen hat: Kauft man das „analoge“ Paket, bekommt man eine dünne Polizeiakte mit drei Fotos, einem kleinen Tütchen Asche und ungefähr einem Dutzend Papierseiten (z.B. eine BewohnerInnen- & Personalliste des Altersheims). Gerade letztere haben mich dann doch etwas ernüchtert, bekommt man hier doch dünnstes Kopierpapier – Klar, das wirkt sicher authentischer als Hochglanz-Pappe, aber für 29,99 € war das Papier dann schon arg dünn... Die rein digitale Variante kostet gleich mal 10 € weniger und ist damit sicherlich die sinnvollere Option. Denn prinzipiell wird das gesamte Spiel online gespielt, da man die gesamte Zeit mit einem Chatbot interagiert, welcher wie in einem alten Videospiel-Adventure mittels Textbefehlen gesteuert wird. Beispielsweise kann man Verdächtige befragen oder etwa dem Chatbot-Ermittlerkollegen befehlen, einen verdächtigen Gegenstand nach Fingerabdrücken abzusuchen. Leider hat die Chatbot-Software aber manchmal Aussetzer, denn entweder hängt sie sich auf (immerhin kann man bei einem Neustart an der abgebrochenen Stelle fortsetzen) oder sie versteht den Kontext von Eingabebefehlen nicht (Ja Frau Doktor, wir wollen natürlich die Todesursache von der Leiche wissen und nicht von irgendwem anders...). Trotzdem ist diese Online-Ermittlung durchaus interessant, denn „Such den Mörder“ versucht eine starke Immersion aufzubauen: Hier muss man auf verschiedenen Webseiten, bei Youtube und sogar Facebook nach Hinweisen suchen, die sich irgendwann zu einer Indizienkette zusammenfügen. Das ist wirklich cool, allerdings erfordert es auch eine ordentliche Portion Eigenmotivation – Wenn man es von anderen Detektivspielen gewohnt ist, dass einem der erste Hinweis oder Anknüpfungspunkt vor die Füße fällt, muss man hier umdenken. Die Lösung des Kriminalfalls wirkt dadurch wirklich realistischer, aber meine Testgruppe hätte sicherlich nur 1,5 statt 2,5 Stunden für die Lösung gebraucht, wenn wir spielmechanisch sofort durchgestiegen wären und wenn der Chatbot immer korrekt funktioniert hätte. Achtung, kleinere Spoiler in diesem Absatz: Insgesamt ist der Kriminalfall eine nette Idee, auch wenn man bei der Auflösung vielleicht ein wenig skeptisch die Augenbraue anhebt, weil sich der Mörder (als, falls es ein Mord war, wer weiß ;-) Achja, und natürlich Mörder m/w/d, wir wollen ja nix spoilern :-P) einfach mal unendlich dumm angestellt hat – Hätte er die Urne einfach weggeschmissen, hätte es niemals eine Ermittlung gegeben... Rätseltechnisch beschränkt sich das Spiel viel auf das Sichten & Kombinieren von Indizien und die Befragung von ZeugInnen, es gibt jedoch auch drei Codeknacker-Rätsel. Der Schwierigkeitsgrad ist dabei, wenn man einmal das „Such dir deine Indizien im Internet zusammen“-Spielprinzip begriffen hat, durchaus moderat. Der Verlag (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) gibt ihm drei Sterne (Von was? Von fünf? Der zweite Fall hat jedenfalls vier Sterne, also wird das hier vermutlich mittelschwer sein) und rechnet sehr optimistisch mit einer Spielzeit von 240 Minuten. Ob man dafür den Preis zahlen möchte (besonders den „analog“-Preis), muss man für sich selbst entscheiden – Ich wäre jedenfalls gnädiger, wenn die Texte ein vernünftiges Lektorat bekommen hätten (das wirkt wie stumpf durch den Google-Übersetzer gejagt) und wenn die Chatbot-Software stabiler und „verständnisvoller“ wäre. So ist „Such den Mörder“ bisher eher eine sehr nette Idee, die nicht ordentlich umgesetzt wurde. Ärgerlich. Fazit: „Such den Mörder #1 Datei Asche“ (Link) bietet eine interessante Kriminalermittlung, die sich durch die Online-Ermittlungen auf Webseiten, Youtube etc. tatsächlich authentischer anfühlt als klassische Detektiv-Brettspiele. Der mäßig programmierte Chatbot-Ermittlerkollege und das fehlende Lektorat trüben den Spielspaß – gerade für den Preis – aber deutlich.