Bekanntermaßen kann ich mich für militärische Comics ja durchaus begeistern, gerade wenn sie halbwegs realistisch sind (z.B. für die großartige Kampfflieger-Dokumentation „Team Rafale #2 Kriegsschatz“ (Link)). Und Comics über historische Ereignisse sind ja auch so ein Faible von mir, gerade wenn sie sowohl lehrreich als auch spannend sind – Davon hat der „Splitter Verlag“ ja eine ganze Menge im Programm (man denke nur an die vielen verschiedenen Titel rund um die Kolonisierung des Kongo, z.B. „Africa Dreams“ (Link), oder die feministische Trilogie (Link) über die Pariser Kommune 1871). Manchmal verlassen sich die AutorInnen aber zu sehr auf die Sogwirkung der geschichtsträchtigen Ereignisse, sodass man sich eher beim Wikipedia-Frontalunterricht wähnt (man denke nur an das arg vermurkste „Auguria #1 Ecce Signum“ (Link)). Der Seekriegscomic „USS Constitution #1 Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand“ gehört nun leider eher zu den letztgenannten Vertretern... Die USS Constitution ist das älteste noch seetüchtige Kriegsschiff der Welt. Denn obwohl als Segelschiff heutzutage völlig kriegsuntauglich, dient es mit seiner außergewöhnlichen Geschichte doch als Vorbild vieler Generationen von Navy-Seeleuten. Im Jahr 1803 führte die im Juni 1798 in Dienst gestellte Fregatte als Flaggschiff das US-Mittelmeergeschwader an, welches gegen die Piraten der Barbareskenstaaten kämpfen sollte und deshalb die nordafrikanische Metropole Tripolis belagerte. Von den anfänglichen (Miss-)Erfolgen dieses Einsatzes wird im Auftaktband dieser neuen Geschichtsreiche aus dem „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) erzählt. Im Mittelpunkt steht der junge Fähnrich Pierre-Mary Corbières, der als Waisenkind ein düsteres Familiengeheimnis mit sich herumträgt. Von seinen gleichrangigen Kameraden und ihrer toxischen Maskulinität sondert er sich auf der langen Überfahrt immer mehr ab, stattdessen freundet er sich mit einem einfachen Matrosen an. Das wird natürlich nicht gern gesehen... Ich habe auf den 64 Seiten dieses ersten Bandes jetzt nicht penibel nachgezählt, aber rein vom Gefühl her teilen sich die einzelnen Panels ungefähr in drei gleich große Teile auf: Ein Drittel des Comics besteht aus wirklich detaillierten, sehr ansprechenden Zeichnungen von Segelschiffen. Fans werden daran ihre wahre Freude haben :-) Das zweite Drittel besteht aus einer fast schon an eine Dokumentation erinnernde Wiedergabe des Lebens an Bord sowie der historischen Zusammenhänge. Wer schon immer mal wissen wollte, wie viele Männer man zum Abfeuern einer 24 Pfünder-Kanone benötigt und warum die Virgina-Eiche ideal zum Segelschiffbau ist, wird hier richtig viel lernen! Also tolle Zeichnungen und historische Authentizität – Hab ich noch was vergessen? Achja, genau, das wichtigste Element eines spannenden Comics: Eine gute Geschichte! Und hier patzt Franck Bonnet, der Zeichner & Autor in Personalunion ist, leider hart :-( Denn die Geschichte besteht im Prinzip nur daraus, dass Pierre-Mary immer zur Stelle ist, um Ereignissen beizuwohnen oder Stichworte für Erklärungen zu geben. Comic-LeserInnen, die sich auch für „Star Trek“ interessieren, werden rasch an Wesley Crusher denken, der übrigens auch Fähnrich war ;-) Ein wenig Hintergrundgeschichte und grobe Charakterisierung gibt es für ihn zwar auch noch, doch erfolgt die eher mit dem Holzhammer. Es ist schon bezeichnend, dass die umfangreichste Erzählung seiner dramatischen Kindheit ausgerechnet eine zweiseitige Vergewaltigung ist... Generell scheint Franck Bonnet eine gewisse narrative Präferenz für Nacktheit und (sexuelle) Gewalt zu haben, denn diese ist in der Geschichte präsenter, als man es bei einem Seekriegscomic erwarten würde. Zugegeben, durch den wirklich gelungenen Cliffhanger (der übrigens wieder Vergewaltigungsvibes hat!) bekommen all diese Nacktszenen einen überraschenden Zusammenhang, aber dieses „Die Vergangenheit ist so düster, weil es ganz viel misogyne Gewalt gibt“ ist halt ein echt ausgelutschtes und innovationsloses Narrativ (ich bin kurz davor noch das Adjektiv „faul“ zu verwenden). Im zweiten Band sollte der Autor seine erzählerischen Fähigkeiten daher an seine zeichnerischen Fähigkeiten annähern – Immerhin, der Cliffhanger legt den Grundstein für etwas mehr Dramatik an Bord der USS Constitution. Fazit: Tatsächlich zerreißt mich „USS Constitution #1 Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand“ (Link) innerlich. Einerseits haben wir hier eine echt lahme Geschichte, die sich eher wie narratives Beiwerk zu einer Militär-Dokumentation anfühlt. Aber andererseits haben wir einen wirklich guten Cliffhanger und (gerade die Schiffe, weniger die Figuren) sehr detailverliebte Zeichnungen. Segelschiff-FetischistInnen können sich diesen Auftaktband sofort holen, alle anderen Comic-Fans sollte vielleicht noch abwarten, wie sich die Handlung im zweiten Band entwickelt.
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