Nein, ich fange nicht schon wieder mit meiner üblichen Litanei an, dass das SciFi-Cyberpunk-Rollenspiel „Ultima Ratio“ erst einen ziemlich Stotter-Start hatte, bevor es seine wahre Großartigkeit entfaltete und mit der Version 2.0 (Link) ein deutsches Indie-Kleinod wurde. Denn so habe ich schon viel zu viele „Ultima Ratio“-Rezensionen begonnen ;-) Stattdessen stelle ich die Frage: Hält der erste große Quellenband das Niveau der zweiten Edition? 

 
Während in der dystopischen „Ultima Ratio“-Spielwelt ja normalerweise Zucht und Ordnung herrschen (dafür sorgt die Künstliche Intelligenz MUTTER), geht es auf dem ältesten Kolonieplaneten Auda drunter und drüber. Denn durch radioaktive Hintergrundstrahlung ist das Überwachungssystem extrem fehleranfällig, sodass hier eine multikulturelle, KIND-lose Gesellschaft entstehen konnte. Das klingt im Vergleich zum überwachten Rest des Lukeanischen Reichs eigentlich verlockend, doch wenn man nicht gerade mindestens zur Mittelschicht gehört (Kreditlevel Pi, gern auch viel höher), besteht das Leben aus einem einzigen Überlebenskampf - Wie es sich halt für ein echtes Cyberpunk-Setting gehört :-D „Auda: Stahl, Beton und Neonlicht“ bietet auf ganzen 92 Seiten (mehr als doppelt so viel wie der „Auda“-Band für die 1. Edition) nun eine ganze Menge an Infos, die man als Spielleitung für die Ausgestaltung der Spielwelt benötigt: Nach einem kurzen geschichtlichen Abriss (Kurzfassung: Viel Krieg, daher alles kaputt) beginnt der Quellenband mit der sechsseitigen Vorstellung Audas, wobei ich hier vom Inhalt her irgendwie an einen Wikipedia-Artikel denken musste ;-) Die nächsten 13 Seiten werden für die Spielleitung dann wirklich relevant: Unter „Audas KINDer“ erfährt man viel über das Leben auf der dystopischen, manchmal fast post-apokalyptisch wirkenden Koloniewelt. Viele Themen werden dabei nur angerissen (beispielsweise werden auf nur einer Seite, nämlich Seite 24, die Themen Multikultur, Partnerschaft & Sexualität, Tourismus und Untergrund abgehandelt), aber man bekommt doch langsam einen Eindruck von der Lebenswirklichkeit der Kolonie-BewohnerInnen. Nach fünf Seiten über die Wirtschaft (Megakonzerne sind in „Ultima Ratio“ ja ziemlich relevant) folgt dann eine zwölfseitige Vorstellung der 12 bedeutendsten Städte. Phoenix, die wohl wichtigste Stadt, wird dann auf 14 Seiten noch einmal genauer beleuchtet, indem jeder Stadtteil einzeln vorgestellt wird. Und weil sich dort auch allerlei Organisationen wie Gangs, Milizen und Sekten tummeln, bekommen diese weitere acht Seiten. So, jetzt haben wir erstmal die grundlegenden Kolonie-Informationen abgefrühstückt :-P Ab Seite 64 wird es dann für die Spielleitung richtig spannend, denn jetzt wird das SpielerInnen-Dasein als KIND-lose Schattengestalt betrachtet: Durch das fehleranfällige Überwachungssystem auf Auda spielt sich der tägliche Überlebenskampf hier einfach ganz anders als das „geregelte und gesittete SciFi-Dasein“ auf den anderen Planeten des Lukeanischen Reichs. Denn nicht registrierte Charaktere gelten als rechtlose Wesen, die straffrei von jedem KIND getötet werden dürfen. Oder man darf sie als Sklaven halten, sodass sich für KIND-lose Spielgruppen hier zweifelsohne Befreiungs- und Revolutionsabenteuer anbieten. Zwielichtigere Charaktere können aber auch schnell in die Kriminalität abgleiten, sodass die überwachungsfreien Gebiete Audas ein wahrer Spielplatz für die moralischen Abgründe einer Spielgruppe sein können. Umgekehrt können rechtschaffene Kinder hier, neben den üblichen Cyberpunk-Geschichten, auch Abenteuer erleben, die man so eher in einem post-apokalyptischen Rollenspiel erwarten würde. Damit ist die Kolonie-Welt Auda vermutlich der „Ultima Ratio“-Schauplatz, an dem man die meiste spielerische Abwechslung bekommt – Nur logisch, dass der „Heinrich Tüffers Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein PDF-Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte, alle Screenshot-Bildrechte liegen beim Verlag) deshalb diesen Quellenband zuerst veröffentlicht hat ;-) Nach acht Seiten zu diesem Thema folgen noch elf Seiten mit neuer Ausrüstung (von simpler Winterkleidung über Digitalspielereien und SciFi-Motorrädern bis hin zu hochentwickelten Drohnen gibt es eine nette Auswahl) und dann noch neun Seiten mit ein paar typischen NPCs und Beispielscharakteren (z.B. Straßenkind und Privatdetektivin). Gerade hier am Ende protzt der stylische designte Quellenband dann nochmal mit seinen schönen Zeichnungen. Davon hätte es sicherlich noch ein paar mehr geben können, aber mir sind natürlich die eingeschränkten Ressourcen eines Kleinverlags bewusst. Jedenfalls gefallen mir gerade die Figuren ausgesprochen gut, aber auch die meisten Stadt- und Geländezeichnungen schaffen es problemlos, die richtige Atmosphäre zu transportieren.

  
Fazit: Das Lukeanische Reich mag ja riesengroß und äußerst vielfältig sein, aber der spannendste Planet des „Ultima Ratio“-Rollenspiels ist und bleibt Auda. Zumindest glaube ich das nach der Lektüre von „Auda: Stahl, Beton und Neonlicht“ (Link) und damit hat dieser Quellenband offensichtlich alles richtig gemacht :-D