Wenn ich dieses Jahr den Trend in der Rollenspiel-Szene benennen müsste, dann wäre es die Erschließung jugendlicher und sogar kindlicher Zielgruppen. Klar, in Corona-Zeiten hängen die Kids eh daheim rum, da kann man sie auch mal mit dem besten Hobby der Welt infizieren ;-) Schon in der letzten Podcast-Episode (Link) haben wir über Kinder-Rollenspiele gesprochen (u.a. „Hero Kids“) und damit nur an der Oberfläche gekratzt: Ganz aktuell wird mit „Little Wizards“ gerade das nächste deutsche Crowdfunding geplant, das vermutlich – wie schon etwa „Äventyr“ und eben das hier rezensierte „So nicht, Schurke!“ – ordentlich Geld einsammeln dürfte. Von all diesen Kinder-Rollenspielen sticht „So nicht, Schurke!“ doch merklich heraus, denn mit „Pegasus Spiele“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) ist hier neben „Uhrwerk“ ein Verlag beteiligt, der das Spiel in die „ganz normalen“ Spielwarenläden bringen kann. Wünschenswert wäre es, denn auch wenn wir RollenspielerInnen nun dank rollenspielender Zocker-InfluencerInnen und der langersehnten popkulturellen Coolness jetzt besser dastehen als noch vor einigen Jahren, kann es doch niemals genug Nachwuchs geben ;-) Also muss die Frage lauten: Kann „So nicht, Schurke!“ es schaffen, den jungen Nachwuchs (laut Verlagsangaben ab 5 Jahre) abzuholen? Beim Auspacken vermutlich noch nicht, da müssen die Eltern ran :-P Denn neben neben den 49 Pappspielplättchen, den 15 Charakterbögen, den 80 Spielkarten und den fünf Würfeln enthält die Box auch zwei sehr farbenfrohe, aber eben auch überraschend dicke Spielhefte (Regelwerk mit 108 Seiten & Abenteuersammlung mit 48 Seiten). Aber da trügt der erste Eindruck dann doch, denn der eigentliche Regelteil ist kindgerecht simpel: Mit einem W6 würfelt man gegen einen festen Schwierigkeitsgrad, der maximal acht sein kann. Moment, wie geht das, ein Würfel hat doch nur die Zahlen 1 - 6? Die vier Fähigkeiten „stark“, „schnell“, „schlau“ und „fabelhaft“ verfügen über Punkte, die man zur Modifikation des Zielwertes ausgeben kann – Doch sollten diese nie auf den Wert 0 fallen, denn dann macht man schlapp. Außerdem, die Kinder sollen ja immerhin was lernen, können sich die SpielerInnen gegenseitig unterstützen, indem sie ihre „fabelhaft“-Punkte teilen. Auch die Charaktererstellung ist einfach gehalten, wobei sie sich hier an dem Alter und der Kompetenz der Kinder orientiert: Die ganz kleinen RollenspielerInnen müssen sich lediglich über ihr Nomen definieren (z.B. „Ich bin ein Roboter“ oder, das gibt es tatsächlich als Charakterklasse, „Ich bin ein Kind“ :-)), die etwas älteren dürfen dazu noch ein noch Adjektiv wie „cool“ oder „pfiffig“ verwenden (bringt einen Bonuspunkt) und die ganz harten Rollenspiel-Kids nutzen gar Verben in ihrer Selbstbeschreibung (das bringt Sonderfähigkeiten). Dazu holt man sich dann noch ein süßes Begleittier (vom Prachtpony über ein Rennauto bis hin zur fliegenden Krake ist alles dabei – auch hier gilt wieder: Je älter die SpielerInnen, umso komplexer die Regeln) und schon kann es losgehen. Das Regelheft listet, je nach Erfahrungsgrad, 11 bis 17 Einzelschritte der Charaktererstellung auf, aber wie eigentlich alles in diesem Spiel wird der Inhalt hier einfach nur total idiotensicher präsentiert (ich hätte nie geglaubt, dass ich mir beim Lesen eines Regelwerks mal „jetzt ist aber auch gut mit den vielen Spielbeispielen“ denke :-P). Oder, um es mal positiv zu formulieren: Selbst wenn man noch nie von einem Rollenspiel gehört hat, kann man nach der Lektüre des Regelwerks absolut problemlos seine erste Runde leiten! Hier helfen eben auch die drei Einsteigsabenteuer, welche in der Box ebenfalls enthalten sind. Denn diese kurz und unkompliziert (30 – 60 Minuten, mehr sollte man gerade des einfachen Schwierigkeitsgrads wegen eigentlich nur brauchen, wenn sich die Kinder ins Ausmalen ihrer Spielfiguren vertiefen ;-)) und mit einigen Tipps & Tricks versehen. Dabei folgen sie alle dem gleichen Schema (Hilferuf/Abenteueraufhänger → Problemerkennung → Problemlösung → Sieg feiern), sodass auch die Gestaltung eigener Abenteuer selbst für phantasielose Gesellen wie mich kein Problem darstellt. Dazu gibt es noch einige hilfreiche Hinweise für Neu-SpielleiterInnen, wodurch der erfolgreichen Entdeckung der Spielwelt Fabula nichts im Weg steht. Diese kann erreicht werden durch im Kinderzimmer verborgene Geheimgänge und teilt sich auf in die vier Regionen „Unter dem Bett“ (Gruselkram), „Im Schrank“ (Märchenwald), „Aus dem Fenster“ (Phantastik-Welten wie Unterwasser & SciFi) und „Hinter den Büchern“ (typisches Kinder-Fantasy). Die Spielwelt an sich ist kindgerecht, knallbunt und überdreht – Manchmal hatte ich hier schon das Gefühl, dass diese Welt eher so gestaltet war, wie sich Erwachsene vorstellen, wie Kinder sich eine Phantastik-Welt vorstellen :-P Die Kindergärtnerin in meiner Testgruppe (ohne die hätte ich so viele Kinder nicht im Zaum gehalten, also Danke dafür :-D) fand die Weltgestaltung jedoch sehr zielgruppengerecht, also gibt es dafür ein Lob – Wie eigentlich für die gesamte „So nicht, Schurke!“-Box, denn im Anbetracht der Zielgruppe gibt es hier wirklich nur sehr wenig, was ich irgendwie bemängeln könnte: Mehr Pappspielplättchen wären schön gewesen (die reichen teils nur, wenn man ein Einzelkind hat) und die Textanteile hätten ruhig noch etwas ausgewogener sein können (an manchen Stellen viel Fülltext). Der Preis von unter 30 € (und, da es für Brettspiele – anders als bei Rollenspielen – keine Buchpreisbindung gibt, manchmal für deutlich unter 30 €) geht aber trotzdem völlig Ordnung, wenn man sich überlegt, wie lange man seine Kinder damit ruhigstellen kann ;-) Fazit: Okay, ein ehrlicher Gedanke: Wird mit diesem Spiel die verwirrte Großmutter glücklich, die noch nie vom Rollenspiel-Hobby gehört hat und nun nach drei Likörchen auf der Weihnachtsfeier versucht, die fünf Enkelkinder spontan zu bespaßen? Nein, das nicht – Auch wenn „So nicht, Schurke!“ (Link) ein kindgerechtes Rollenspiel für die ganz jungen EinsteigerInnen ist, muss man sich als Elternteil bzw. Erwachsener doch erst einmal in die Materie bzw. das Spielkonzept einarbeiten. Das dauert, gerade wenn man selbst ein absoluter Neuling ist, doch eine gewisse Zeit. Wenn man das aber geschafft hat, dann wird man selbst und vor allem werden die Kinder hier einen sehr spaßigen Rollenspiel-Erstkontakt haben, der über viele Spielsitzungen lang anhalten wird :-D Empfehlenswert!