„Dungeon Crawl Classics“, kurz DCC, war zweifelsohne das ambitionierteste Projekt, das sich der immer noch recht kleine Rollenspiel-Verlag „System Matters“ im letzten Jahr zugetraut hat. Aber die Mühe hat sich gelohnt, denn zahllose VorbestellerInnen ermöglichten nicht nur die Übersetzung des Grundregelwerkes, sondern auch von mehreren Abenteuern. Beispielsweise „Segler auf sternloser See“, das weithin als einer der besten, vielleicht sogar der beste Trichter gilt. Aber was ist so ein Trichter eigentlich und ist das Abenteuer wirklich so gut?
Anders als bei den allermeisten anderen Rollenspielen verkörpert man in „Dungeon Crawl Classics“ nicht sofort heldenhafte KriegerInnen oder MagierInnen, sondern den ganz normalen Pöbel. Beispielsweise spielt man als ganz normaler Bauer, bewaffnet mit einer Mistgabel und „ausgerüstet“ mit einer schnatternden Gans ;-) Rasch sind diese MöchtegernheldInnen ausgewürfelt und noch rascher sind sie gestorben – Denn genau das ist die Aufgabe eines Trichters: Alle SpielerInnen ziehen mit mehreren Charakteren der Stufe 0 ins Abenteuer, viele davon sterben; aber wer am Ende des Trichters lebendig herauskommt, kann sich als waschechter Siegertyp fühlen ;-) Klar, dann ist man trotzdem erst auf Stufe 1, aber möglicherweise hat man ja schon einige sehr mächtige Artefakte und Waffen gefunden, mit denen man seine Heldenkarriere starten kann...
Die Geschichte von „Segler auf sternloser See“, von der man im Abenteuerverlauf gar nicht soooo viel mitbekommt, ist recht simpel: In einer verfallenen Burg haben sich Bestienmenschen eingenistet, die des nachts arglose DorfbewohnerInnen entführen. Da es in der Gegend weder staatliche Autoritäten noch tugendhafte HeldInnen gibt, versucht sich ein wütender Mob (das Abenteuer empfiehlt drei Stufe 0-Charaktere je SpielerIn) an einer Rettungsmission. Und die gestaltet sich ziemlich schwierig, denn schon oberirdisch lauern allerlei Monster (z.B. Tiermenschen und Rankenschrecken) und tödliche Hindernisse (z.B. Gerölllawinen und Fallen). Schaffen sie es dann jedoch in die Tiefen des Berges, stöbern sie nicht nur den unterirdischen, titelgebenden See auf, sondern auch einen höllischen Chaoskult, der die Entführungsopfer für seine tödlichen Rituale benötigt...
Als klassisches OSR-Abenteuer (OSR steht für „Old School Revival“ oder „Old School Renaissance“) zieht „Segler auf sternloser See“ seinen Reiz aus der Abfolge von kniffligen Hindernissen, welche die Charaktere bei sorglosem Verhalten (oder manchmal auch Würfelpech :-P) mit tödlichen Konsequenzen bestrafen. Trotzdem, und vermutlich gilt dieses Abenteuer gerade deshalb als eines der besten seines Genres, ist der Aufbau des Dungeons und damit Geschichte in sich schlüssig: Hier gibt es keine Monster, die seit Jahrhunderten ohne Wasser und Brot in einem kleinen Kämmerchen auf unvorsichtige HeldInnen warten. Der Dungeon mit all seinen aufeinanderfolgenden Räumen und Monstern, die jeweils eine ganz eigene Herausforderung bieten, ist innerhalb der Spielwelt durchaus logisch und nachvollziehbar. Dabei verkommt das Abenteuer nicht zu einem reinen Monsterschnetzler (das würde wohl auch niemand mit Stufe 0 überleben ;-)), denn sehr oft gibt es kreative und friedliche Möglichkeiten der Konfliktvermeidung. Fordernd und tödlich ist „Segler auf sternloser See“ natürlich trotzdem – In DCC-Foren liest man zahlreiche Erfahrungsberichte, laut denen in dem zumeist zwei Spielabende andauernden Abenteuer lediglich ein Drittel der Ursprungsgruppe den Trichter überlebt. Aber so soll es ja auch sein :-P SpielleiterInnen sollten hier relativ problemlos durchleiten können, wobei ich persönlich (der ich nicht ganz so spontan und flexibel leite, wie es vielleicht jemand mit 20 Jahren Erfahrung tun würde) doch etwas Vorbereitungszeit aufwenden musste, um mir die relevanten Punkte aus den Fließtexten herauszufiltern.
Der „System Matters“-Verlag (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) liefert bei „Segler auf sternloser See“ wieder sehr gute Arbeit ab, was Übersetzung, Layout und Lektorat angeht. Schön ist vor allem, dass es auch die Abenteuererweiterung „Die Beschwörungsgruben“ in das 24 Seiten dünne Heftchen geschafft hat, welche im englischen Original erst der zweiten Auflage beigefügt wurde. Die geforderten 10 € kann man dem sympathischen Kleinverlag daher mit gutem Gewissen in die Hand drücken :-)
Fazit: Ich kann vollkommen nachvollziehen, warum „Dungeon Crawl Classics #67 Segler auf sternenloser See“ (Link) in der OSR-Szene so gefeiert wird: Ein spannender, in sich schlüssiger und gut beschriebener Schauplatz fordert das ganze Können wagemutiger Stufe 0-SpielerInnen, ohne an irgendeiner Stelle irgendwie unfair zu sein. Daher eine aufrichtige Kaufempfehlung für DCC-Fans!