Es ist kein unbekanntes sozialwissenschaftliches Phänomen, dass man in den abgelegensten Dörfern meiner Ossi-Heimat, wo sich noch nie Geflüchtete hin verirrt haben, die größte Angst vor eben jenen hat. So ein gegenseitiges Aufschaukeln der Angst vor dem Unbekannten ist nicht neu, man denke nur (und hier kommen wir zum Comic) vor der im letzten Jahrhundert in den USA gleich zweimal auftretenden „Roten Angst“, also der paranoiden Hysterie vor dem Kommunismus. Und eben jene titelgebende „Red Scare“ hat auch die Kleinstadt Clinker's Corners, was die schwer erkrankte Protagonistin Peggy in ein übernatürliches Abenteuer stürzt... In einer typischen, ländlichen US-Kleinstadt der 50er Jahre hat es das Mädchen Peggy schwer getroffen: Gezeichnet von einer Polio-Erkrankung, wird sie von ihrem Zwillingsbruder gemieden und von ihren MitschülerInnen gehänselt. Ihr Vater versteckt sich als Kriegsversehrter mit PTBS im Schlafzimmer, während die der Scheidung nahe Mutter versucht, die Familie irgendwie über Wasser zu halten. Keine ideale Kindheit, welche Peggy immer griesgrämiger werden lässt... Als sie ihrer Mutter bei einem Putzjob in einem Motel hilft, kommt sie durch Zufall mit einem rot leuchtenden Stab in Kontakt, den ein schwer verwunderter (mutmaßlicher) Sowjet-Spion in ihrer Krücke versteckt. Und dieser Stab hat es in sich, denn er heilt sie nicht nur in Rekordgeschwindigkeit von ihren Gebrechen, sondern er erlaubt ihr auch zu Fliegen! Klar, dass das nicht nur skrupellose FBI-Agenten anlockt, sondern auch andere Sowjet-Spione... „Red Scare“ erzählt eine Kinder-Superheldengeschichte, welche an Familien-Abenteuerfilme wie „E.T. - Der Außerirdische“ oder moderner „Super 8“ erinnert. Oder vielleicht sogar an die Netflix-Serie „Stranger Things“, denn von der Tonalität her richtet sich der 240 Seiten dicke Comic eher an ältere Jugendliche. Denn mutmaßliche Kommunismus-Fans, nicht nur mögliche Spione, werden brutal gejagt. Da ist es fast schon ironisch, dass (unbedeutender Spoiler) ausgerechnet eine ultra-patriotische Rede auf die moralischen Werte der US-Flagge einen entfesselten Mob vom Mordanschlag auf eine verdächtige Familie abhalten. Der Autor & Künstler Liam Francis Walsh schafft es hier ganz vorzüglich, die allgegenwärtige Hysterie mit doch eher simplen Comic-Zeichnungen darzustellen. Weniger vorzüglich ist dagegen die Protagonistin Peggy geraten, bei der es mir als Leser schwer fiel, irgendwelche Sympathien aufzubauen. Natürlich hat ihr das Leben übel mitgespielt, aber so griesgrämig-selbstmitleidig wie ist ist, muss sie sich nicht wundern, wenn sie ihre Mitmenschen vergrätzt – Das mag sogar eine realistische Charakterzeichnung sein, solche PatientInnen erlebe ich beispielsweise auch immer wieder in meiner täglichen in meinem Klinik-Brotjob, aber sympathisch wirkt das halt so gar nicht. Und ich verstehe schon, natürlich soll Peggy eine Charakterentwicklung zum besseren, sozialeren Menschen durchmachen, aber bis dahin hatte sie mich doch zeitweise verloren... Ganz und gar nicht verloren hat mich dagegen die Geschichte, denn neben der – dafür, dass die Zeichnungen so simpel sind – überraschend dichten Atmosphäre sorgt vor allem die Neugier dafür, dass man den Comic in einem Rutsch durchliest. Denn was hat es mit dem rotem Leuchtstab auf sich? Ist es wirklich eine Superwaffe der Sowjets? Oder stecken gar übernatürliche Dinge dahinter? Ob man am Ende die Auflösung mag, muss man für sich selbst entscheiden, aber bis dahin wurde man bestens unterhalten. Logisch, deshalb gibt es auch ein positives... Fazit: „Red Scare - Die rote Angst, oder: Wie Peggy fliegen lernte“ (Link) ist ein überraschend guter, weil überraschend atmosphärischer Abenteuer-Comic. Da verzeiht man auch kleinere Schwächen, etwa die oftmals unsympathische Protagonistin oder so manche Story-Entscheidung. Insgesamt eine Empfehlung für größere Kinder – Und ja, sie sollten vielleicht sogar schon Jugendliche sein, denn trotz dem „toonfish“-Label ist das hier nix für kleine Kinder ;-)
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