Es gibt ja so einige Tiergeschichten (z.B. „Unten am Fluss“) und natürlich Fabeln (z.B. „Farm der Tiere“), die nur auf den allerersten Blick kindgerecht-süß wirken – Sprechende Häschen und Ferkel, was soll da denn schief gehen? ;-) Doch dann entpuppt sich der Inhalt doch eher als ebenso tiefsinnige wie bedrückende Erwachsenenunterhaltung. Mit „Die Arche Neo #1 Tod den Rindviechern!“ liefert der französische Vielschreiber Stéphane Betbeder nun den Auftaktband zu einer optisch äußerst ansprechenden, wenn auch ziemlich moralisierende Comic-Reihe für angehende VeganerInnen...
Der putzige Ferkel Neo war mal ein echter Social Media-Star, doch mittlerweile ist sein Ruhm leider vollends verblasst. Auf einem Gnadenhof lebend, träumt es sich hinüber auf die karibische Schweineinsel Big Mayor Cay (Link). Doch der vorzeitige Alterstruhestand jäh unterbrochen, als die Polizei den Ökohof stürmt, die BesitzerInnen verprügelt und die Farmtiere einkassiert. Lediglich ein kleines Grüppchen, darunter die trächtige Kuh Renate, der trans Hahn Ferdinand, das störrische Schaf Soasig und eben Neo, können fliehen. Doch wohin so ganz alleine? Die Zivilisation will das Nutzvieh schlachten und in der Freiheit des Waldes werden die domestizierten Tiere von ihren wilden Verwandten abgelehnt, manchmal auch bedroht... Irgendwann dämmert der tierischen Schicksalsgemeinschaft, dass ihre ehemaligen MitbewohnerInnen auf dem Weg zum Schlachthof sind, und so machen sie sich zu einer Rettungsmission ausgerechnet zu dem Ort auf, vor dem sie die größte Angst haben...
„Die Arche Neo #1 Tod den Rindviechern!“ ist auf den ersten Blick natürlich eine Abenteuergeschichte, in der sich eine ungleiche Gruppe finden muss, um große Heldentaten zu vollbringen. Klar, das ist mehr als offensichtlich, doch auf der Meta-Ebene geht es hier vielmehr um den Umgang des konsumierenden Menschen mit der Ware tierische Lebewesen. Und damit ist nicht nur gemeint, dass die Tiere irgendwann im Schlachthof landen, damit sie getötet und zu leckerem Schnitzel verarbeitet werden. Nein, Stéphane Betbeder geht hier viel konkreter an das Thema heran: Die Tiere leiden bereits während ihres Lebens, sind sie doch des Profits wegen auf maximale Ausnutzung hin gezüchtet: Beispielsweise werden Kühe dauergeschwängert, damit sie durchweg Milch liefern. Schafe bekommen immer dichteres Fell angezüchtet, bis sie ohne Schur den Hitzetod sterben... Aber auch der Einfluss des Menschen auf freilebende Wildtiere wird thematisiert – Mit einem deutlich merkbaren erhobenen Zeigefinger, der manchmal rein in erklärender Textform kommt (die tierischen ProtagonistInnen haben extrem viel Meta-Wissen über ihre Zucht ;-)) und manchmal in emotionalen oder gar brutalen Szenen (spätestens im Schlachthof müssen selbst erwachsene FleischliebhaberInnen schlucken!). Ich will nicht soweit gehen und behaupten, dass dieser Comic die LeserInnen zu VeganerInnen macht, denn da würde mich mein Mittagessen Lügen strafen :-P Aber er sorgt doch dafür, dass man seinen (Fleisch-)Konsum überdenkt und so fragt, ob es wirklich immer Billigfleisch/-milch aus Massentierhaltung sein muss.
Dieser moralische Zeigefinger und der, außer in den drastischen Szenen, durchaus comichaft-niedliche Zeichenstil überdeckt dann auch einige wenige Schwächen, die der Auftaktband hat: So gibt es beispielsweise bisher eine eher schwache Charakterzeichnung, was gerade bei Ferdinand ziemlich schade ist. Andererseits geht die Reihe ja noch mit einer bisher unbestimmten Band-Anzahl weiter, sodass Stéphane Betbeder da hoffentlich bald nachliefern wird – Bisher fiebert man mit den tierischen ProtagonistInnen nämlich nicht mit, weil man sie so sympathisch findet, sondern nur, weil man ihnen nicht den brutalen Tod im Schlachthaus wünscht... Trotz der schweren Thematik (wenn man nicht wie ich auf dem Dorf aufgewachsen ist und schon vorher wusste, dass Steaks nicht auf Bäumen wachsen ;-)) kann ich diesen Auftaktband eindringlichst empfehlen. Der Preis von glatten 16 €, den der „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) für ein 64 Seiten starkes Hardcover verlangt, geht jedenfalls voll in Ordnung.
Fazit: Niedliche Tiere treffen auf die brutale Welt der Konsumgesellschaft – „Die Arche Neo #1 Tod den Rindviechern!“ (Link) ist schon jetzt einer der wichtigsten Comics, die ich dieses Jahr gelesen habe :-D