Frankreich in den frühen 70ern: Sechs absolute Versagertypen schließen sich zusammen, um eine anarchistische Terrorzelle zu gründen. Ihr erstes Ziel: Die Entführung des amerikanischen Botschafters aus einem Edelpuff. Ein stümperhaft ausgeführter Coup, der die brutal agierende Staatsmacht auf den Plan ruft... Das klingt doch nach einem echt spannenden Comic! Aber kann „Nada“ dieses Versprechen auch einhalten? In der letzten Podcast-Folge (Link) sind Elea & ich ein wenig vom eigentlichen Thema abgekommen, als wir plötzlich über das weitläufige Diskursfeld linker Ideologien sprachen. In sich zerstritten, meint jede Strömung, dass genau sie die einzige Wahrheit kennt... Und ohne es zu ahnen, sprachen Elea & ich damit auch ein wenig über die Handlung von „Nada“. Denn die laienhafte, selbstüberschätzende Planung der mal mehr, mal weniger erfahrenen TerroristInnen (u.a. ein verkopfter Lehrer, ein schlimmer Alkoholiker und eine opportunistische Hure) findet ihren ersten Handlungshöhepunkt nicht in der Ausführung der Tat, sondern in dem Zurückweichen eines Mitgliedes, dass linke Theorien anders versteht als seine MitstreiterInnen. Und eben genau dieses frühe Auseinanderbrechen der Terrorzelle wird ihr später, als der US-Botschafter erfolgreich und mit äußerster Brutalität entführt wurde, zum Verhängnis. Denn ausgerechnet der Abweichler führt die anfangs ebenfalls mit ihrer Vielfältigkeit und auch mit Behörden-Konkurrenzdenken beschäftigte Staatsmacht zum Versteck der Gruppe – Ein Problem, das seit den 70er Jahren auch hierzulande nicht besser geworden ist, schaue man doch nur auf den Terroristen Anis Amri, der gleichzeitig von über 40 Sicherheitsbehörden beobachtet wurde, die aber nicht zusammenarbeiten wollten. Der Staatsmacht, hier repräsentiert durch den Ermittler Goémond, wird den LeserInnen äußerst ambivalent präsentiert: Einerseits steht man noch unter dem Schock der brutalen Entführung des US-Botschafters. Aber andererseits gehen Goémond und seine Spießgesellen so oft über rechtsstaatliche Grenzen (bis hin zu Folter und Mord) hinaus, dass man sich beim Lesen irgendwann in einem Zwiespalt befindet – Ist der anarchistische Kampf der Terror-Zelle gegen den Staat vielleicht doch gerechtfertigt? Oder sollte man die rechtsstaatliche Ordnung vielleicht doch lieber mit allen Mitteln durchsetzen, immerhin geht es hier ja um die Rettung des Entführungsopfers? Spätestens, als diese Fragen aufkamen, hatte mich die Geschichte dann auch endlich gepackt. Denn anfangs, vielleicht das erste Viertel bis erste Drittel des mit 192 Seiten im Großformat sehr stattlichen Comicwerkes, zieht sich die Beobachtung der unsympathischen „ProtagonistInnen“ doch etwas hin... Sobald dieses Anfangstief jedoch überwunden ist, mag man die ruhige, nüchterne Erzählweise von „Nada“ nicht mehr missen – Man bekommt fast das Gefühl, als würde man eine lange Reportage aus dem „Spiegel“ oder einer anderen Wochenzeitschrift lesen, bei der jeder einzelne Satz mit einem Panel ausgesprochen atmosphärisch illustriert wurde. Durch diese Sachlichkeit und Langsamkeit verkommt der Comic dann auch, selbst in den blutigen Szenen, nie zu eine Pulp-Reißer. Nein, stattdessen bekommt man hier eine ziemlich atmosphärische, in ihrer nihilistischen und staatskritischen Art merklich nachhallende Noir-Geschichte. Toll, dass der „Splitter Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) sich diesem doch arg speziellen Mammutwerk angenommen hat! Fazit: Um die Frage aus der Einleitung zu beantworten: Ich hätte nach den ersten Seiten niemals gedacht, was für ein spannender Comic „Nada“ (Link) trotz seiner langsamen, nüchternen Erzählweise ist. Ein großartiges Werk!
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