Der renommierte „Splitter Verlag“ aus Bielefeld produziert ja laut eigenem Bekunden Comics für Erwachsene. Natürlich denkt man bei diesem Motto primär an sex- oder gewalthaltige Werke wie beispielsweise das mich sehr verstörende „Magdas Apokalypse“ (Link). Doch bei diesem Verlag sind das tatsächlich eher die Ausnahmen, denn „Comics für Erwachsene“ bezieht sich hier eher auf Themen, welche – gerade auch durch ihre ruhige, unspektakuläre Machart – primär erwachsene LeserInnen interessieren. Beispielsweise die Kolonisationsgeschichte des Kongo… Die Dekolonisierung des Kongos wird ja aktuell in der grandiosen „Katanga“-Reihe (Link) thematisiert. Der alle vier Teile umfassende Sammelband „Africa Dreams“ vom Autorenduo Maryse Charles & Jean-François Charles beschäftigt sich dagegen mit dem Beginn der Kolonisierung. Diese ist am Ende des 19. Jahrhunderts in vollem Gange: Der belgische König Leopold II. besitzt mit dem Kongo-Freistaat seine ganz eigene Privatkolonie, welche rund 80x größer ist als das belgische Mutterland. Nach außen hin gibt er sich philanthropisch und progressiv, kämpft er doch gegen die Sklaverei und für die Zivilisierung der Kongolesen. In Wirklichkeit setzt er aber auf ein brutales System der Zwangsarbeit, um immer höhere Einnahmen durch Kautschuk und Elfenbein zu erwirtschaften. Nichtsahnend von diesen Verbrechen macht sich der junge Priesteranwärter Paul Delisle auf eine Reise ins Herz der Finsternis (auf diesen legendären Anti-Kolonisationsroman wird im Comic mehrfach verwiesen), um seinen Vater, einen gefürchteten Großgrundbesitzer, zu suchen. Dass dieser Pauls Mutter verlassen hat und nun mit einer neuen Familie im Dschungel lebt, macht das erste Zusammentreffen nicht einfacher… Paul wird rasch bewusst, dass die Ausbeutung des Kongos ein großes Verbrechen ist. Er durchschaut die Mechanismen der Kolonisierung und ist erschrocken über das Schweigen der katholischen Missionare, welche sich den königlichen Weisungen unterordnen. Als er sich dann auch noch in eine schwarze Schönheit verliebt, setzt er sich für die Rechte der Kongolesen ein. Ihm gleich tut es der britische Journalist Edmund Dene Morel, der sich nicht von den Kolonisierungsgewinnlern kaufen lässt. Stattdessen publiziert er die kritische „West African Mail“ und gründet die „Congo Reform Association“, um die Herzen und Köpfe der Briten für den Kampf gegen die Zwangsarbeit zu gewinnen. Das gefällt Leopold II. natürlich nicht, sodass er alle möglichen politischen und juristischen Tricks anwendet, um die sogenannten Kongogräuel fortführen zu können… Dieser Kampf der Ideologien ist lang und beschwerlich, und auch wenn man aus den Geschichtsbüchern schon weiß, wie er ausgeht, schafft es das Autorenduo Maryse Charles & Jean-François Charles doch ganz hervorragend, die LeserInnen über vier Bände hinweg zu unterhalten. Denn auch wenn die einzelnen Handlungen für sich genommen nie sonderlich spektakulär sind, ist es eben genau die Mischung aus dem persönlichen Erleben der Identifikationsfiguren und den politischen Kampf der Ideologien, welcher diese ruhig erzählte Geschichte so eindringlich macht. Vielleicht es sogar diese ruhige Erzählweise, welche die gelegentlich dargestellten Kongogräuel – auch wenn sie nicht explizit sind – so erschütternd machen. Das Autorenduo schafft es durch diese Art der Handlungspräsentation, unterstützt durch die malerischen Zeichnungen von Frédéric Bihel, bei den LeserInnen eine ungeahnte Wut auf die Geschichte zu entfachen, welche man wirklich nur bei wirklich herausragenden Geschichtscomics bekommt. Und so kann ich diesen tollen Sammelband, welcher 200 Seiten im Hardcover umfasst und auch noch sehr lesenswertes Bonusmaterial umfasst, wirklich empfehlen. Fazit: „Africa Dreams“ (Link) ist aufgrund seiner schwierigen Thematik und seiner sehr ruhigen Präsentation vermutlich wirklich nur ein Comic für Erwachsene. Diese jedoch werden davon zweifelsohne begeistert sein, denn die stimmige Präsentation und die eindringliche Geschichte machen diesen Sammelband zu bisher besten Geschichtcomic, den ich dieses Jahr lesen durfte! PS: Aus Gründen hatte ich diesmal die eBook-Variante als Rezensionsexemplar. Deshalb gibt es im Artikel Bilder aus der Leseprobe. Die Rechte daran gehören dem "Splitter Verlag" :-)
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