Es gibt wohl kein Rollenspiel, zu dem ich ein so ambivalentes Verhältnis habe wie zur Cyberpunk-Würfelorgie „Shadowrun“ (Link). Einerseits ist das taktikorientierte Abenteuerdesign wie für mich gemacht, andererseits werde ich einfach nicht mit den Fantasy-Elementen warm. Und so konnte ich mich – obwohl ich es aufrichtig versucht habe – nie wirklich für die neue Roman-Reihe von „Pegasus Spiele“ begeistern. Quasi durch Zufall landete ich dann aber in einer „Alter Ego“-Lesung des Autors Mike Krzywik-Groß (Link) – Und was ich da hörte, gefiel mir irgendwie: Ein abgehalfterter Privatschnüffler, der für eine geheimnisvolle Schönheit im dystopischen Morast des anarchistischen Zukunfts-Berlin wühlen sollte? Das klang dann irgendwie doch ganz spannend... Paul Dante, so heißt der Privatschnüffler, hat schon sehr viel bessere Tage erlebt. Er ist von seinem Job ausgebrannt – Und das kann man im „Shadowrun“-Setting wortwörtlich nehmen, denn nach Jahrzehnten als erfolgreicher Magier-Runner kriegt er jetzt kaum noch die einfachsten Grundschulzauber zustande. Aber er hat Glück: Seine Gelegenheitskomplizin Aggi, eine neoanarchistische Cyberdeckerin, hat ihm einen vermeintlich simplen Auftrag verschafft. Mailin Novak, eine Karrieristin aus einem Megakonzern, vermisst ihren Liebhaber. Der war ein engagierter Lokalpolitiker und ist nun wie vom Erdboden verschwunden, was umso dramatischer erscheint, da in seinem Bezirk immer mal wieder Leute einfach verschwinden... Die „Shadowrun“-erprobten LeserInnen können es sich schon denken: Das wird nicht die schnelle, einfache Vermisstensuche, die Paul gern hätte ;-) „Shadowrun: Alter Ego“ wirkt von seinem Ablauf her wie ein typischen Rollenspiel-Abenteuer: Erst wird ein wenig ermittelt und ein Team zusammengestellt, dann organisiert man einen Run, der läuft natürlich nicht wie geplant, weil verschiedenste Interessengruppen wie Megakonzerne und Geheimdienste mitmischen – Und was anfangs wie ein leichter Job aussah, mündet letztendlich in der Rettung der Welt :-P Mike Kryzwik-Groß schafft es ganz hervorragend, in seinem Roman das Spielgefühl und die Atmosphäre des Cyberpunk-Rollenspiels zu transportieren. Dabei zieht er die LeserInnen in eine ausgesprochen dystopische Welt (in der weder das Berliner Anarchisten-Ghetto noch die luxuriöse Konzernwelt irgendwie einladend erscheint) – Man merkt beim Lesen einfach, wie viel Freude der Autor bei der Setting-Beschreibung hatte, und diese Freude transportiert sich auch auf die LeserInnen :-) Ein wenig zurück stehen da die Prota- & AntagonistInnen, welche insgesamt doch eher zweckmäßig charakterisiert wurden: Paul ist halt der nicht nur magisch, sondern auch emotional ausgebrannte Detektiv-Dickschädel (wahrscheinlich erinnert er auf dem Cover deshalb auch an Actionstar Bruce Willis in einer seiner Paraderollen) und Aggi der emanzipierte Cyberpunk-Männertraum-Sidekick. Den Rest des Runner-Teams hab ich schon wieder vergessen :-P Halt, nicht ganz: Aus der Nebenfiguren-Masse heraus ragt die Auftraggeberin Mailin, deren akribisch durchgetaktetes und hart erarbeitetes Luxusleben gleich in mehrfacher Hinsicht aus den Fugen gerät. Hier gelingt dem Autor eine Gratwanderung: Einerseits mag man diese Frau einfach nicht, andererseits hat man aber auch Mitleid mit ihr. Eine weitere Gratwanderung, die Mike Kryzwik-Groß gelingt, ist das Story-zu-Action-Verhältnis. Denn sind wir ehrlich, das ist ein „Shadowrun“-Roman, da muss es ordentlich krachen :-D Und das tut es auch. Es gibt viele Feuergefechte, die spannend und nachvollziehbar beschrieben werden, und natürlich den Einsatz von allerlei Technik-Schnickschnack und Magie. Dabei artet der Roman aber an keiner Stelle in Action-Monokultur aus – Pauls Ermittlungen stehen im Fokus! Wenn es doch mal eine zünftige Schießerei gibt (und davon gibt es viele ;-)), dann ist diese nie purer Selbstzweck, sondern sie ist logisch mit der Geschichte verknüpft... Generell merkt man dem Autor im Allgemeinen seine Schreiberfahrung und im Speziellen seine „Shadowrun“-Erfahrung an. Der Roman, obschon mit 384 Seiten von ordentlichem Umfang, liest sich rasch und gut weg. Ich will jetzt nicht unbedingt von einem Pageturner reden, dieser Begriff wird mit heutzutage viel zu inflationär verwendet, aber wenn man einmal anfängt, dann liest man auch mal problemlos 100 Seiten am Stück ;-) Den Preis von 12,95 €, den „Pegasus Spiele“ (welche mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben) verlangt, zahlt man da gerne. Fazit: „Shadowrun: Alter Ego“ (Link) ist ein gelungener Cyberpunk-Thriller, der dem Setting entsprechend viel Balleraction und „Shadowrun“-Schnickschnack enthält ;-) Nichtsdestotrotz kommt auch der Detektiv-Plot nicht zu kurz. Die wahren Highlights des Romans sind aber die atmosphärischen Ortsbeschreibungen – Man merkt einfach, dass Autor Mike Kryzwik-Groß für das anarchisch-dystopische Berlin brennt :-) Und er hat mich mit seiner Begeisterung angesteckt, sodass ich sehr gerne 84 % beziehungsweise 4,2 / 5 Sternchen eines bereits heute sehr bösartigen Megakonzerns vergebe ;-) PS: Und als guter Privatschnüffler weiß Paul Dante natürlich, dass man immer mehrere Quellen braucht. Daher verweise ich gerne auf die Würfelheld-Rezension (Link).
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